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20.6.2012
| Druckansicht | Adipositas: Kritik an Nahrungsmittelindustrie
Eine Milliarde Menschen weltweit hungern, zwei Milliarden haben Übergewicht. Forscher schreiben den Riesen der Lebensmittelindustrie Mitschuld an diesem Ungleichgewicht zu.
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Zwar zeigt die obligatorische Nährwert-Deklaration, wie viele Kalorien die Produkte von CocaCola Inc. enthalten. Aber die Autoren der Studie kritisieren, dass das Unternehmen so von seiner Verantwortung ablenkt, die es durch die Vermarktung der zuckerhaltigen Getränke habe.
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In mehreren Beiträgen im Fachjournal "PLoS Medicine" fordern amerikanische Wissenschafter, Gesundheitsrisiken der industriell hergestellten Lebensmittel und Getränke stärker zu prüfen und bekannt zu machen. Zunehmender Verzehr von in Fabriken hergestellten Lebensmitteln trage zur Ausbreitung von Übergewicht und Diabetes bei. Nach Angaben der WHO steht das Risiko, an Folgen von Übergewicht zu sterben, an fünfter Stelle weltweit nach anderen Risiken.
Übergewicht bei Kindern sei eine der grössten Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit im 21. Jahrhundert.Diese Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt ein Autorenteam der beiden US-Institute Public Health Advocacy Institute in Boston (Massachusetts) und der Berkeley Media Studies Group (Kalifornien).
Eine Ursache seien zuckerhaltige Getränke. "Zwischen 1977 und 2004 haben Kinder in den USA ihre Kalorienaufnahme mehr als verdoppelt, im Jahr 2004 stammten 13 Prozent der Kalorien von zuckerhaltigen Getränken", heisst es. Die süssen Drinks hätten zwischen 1977 und 2007 zu einem Fünftel zur Gewichtszunahme bei US-Bürgern beigetragen.
Ähnlichkeiten zur Tabakindustrie?
Die Wissenschaftler analysieren auch Programme, die Getränkehersteller gestartet haben. Diese ähnelten Kampagnen der Tabakindustrie, so der Vorwurf, und zielten zu sehr auf die Eigenverantwortung der Verbraucher ab. Dazu gehöre "Live Positively" von Coca-Cola in den USA.
Zwar zeigten Labels nun, wie viele Kalorien die verschiedenen Produkte der Firma enthalten. So solle es für die Verbraucher leichter sein, "Entscheidungen zu treffen, und ein gesundes, aktives Leben zu führen" - Zitat Coca-Cola. Die Autoren kritisieren aber, dass das Unternehmen so von seiner Verantwortung ablenke, die es durch die Vermarktung der zuckerhaltigen Getränke habe.
Nach Angaben eines deutschen Coca-Cola-Sprechers gehört "Live Positively" (in Deutschland: "Lebe die Zukunft") zu einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie des Konzerns. "Zu einer gesunden Lebensweise zählen eine ausgewogene Ernährung, zu der alle Lebensmittel wie auch Softdrinks gehören können, sowie ausreichend Bewegung", so der Sprecher. "Wir bieten eine breite Palette alkoholfreier Getränke an, die Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung sein können, zunehmend auch Produkte ohne Zucker oder Kalorien."
Big Food umgehen
Drei Möglichkeiten stünden zur Verfügung, um mit "Big Food" umzugehen, schreiben Marion Nestle (New York University, USA) und David Stuckler (Cambridge University, Grossbritannien) in "PLoS Medicine".
Erstens: Selbstregulierung und keine Einmischung vonseiten der Zuständigen für die öffentliche Gesundheit. Ausserdem Vertrauen darauf, dass der Verbraucher nicht zu gesundheitsschädigenden Nahrungsmitteln greift.
Zweitens: öffentliche Partnerschaften mit der Industrie, um gesündere Produkte herzustellen und zu vermarkten.
Drittens: eine kritische Auseinandersetzung - denn die Interessenkonflikte seien für "Big Food" zu gross, es gehe schliesslich um Profite.
Ernährung zum Gesundheitsthema machen
Würden Studien zusammen mit der Industrie finanziert, so sei die Wahrscheinlichkeit vier bis acht Mal höher, dass die Ergebnisse im Sinne der Unternehmen interpretiert werden können. Die Herausgeber von "PLoS Medicine" haben sich für die dritte Variante entschieden - und blasen Alarm. Sie wollen sich nicht auf die Selbstregulation der Unternehmen verlassen.
"Public Health-Experten müssen erkennen, dass der Einfluss von "Big Food" auf die globale Ernährung ein Problem darstellt." Verantwortliche für Gesundheit sollten dem Thema Ernährung eine ebenso hohe Priorität einräumen wie dem Kampf gegen HIV/Aids, Infektionen und andere Krankheiten.
Initiativen könnten sich zum Beispiel gegen Werbemassnahmen speziell für Kinder richten, auf bessere Ernährungsrichtlinien für Schulmahlzeiten abzielen oder auch auf Steuern auf zuckerhaltige Getränke, heisst es in "PLoS Medicine".
Coca-Cola halte Steuern nicht für ein geeignetes Instrument, da es die Hauptursache für Übergewicht, das Missverhältnis zwischen Kalorienaufnahme und Kalorienverbrauch, nicht angehe, sagte der Sprecher des Unternehmens dazu. Es gebe keine an Kinder unter zwölf Jahren gerichteten Marketingaktivitäten und eine Richtlinie, nicht an Grundschulen zu verkaufen. (Ärzte Zeitung, 19.06.2012)
Kinder-Köder
(Deutsche Welle) - Die Lebensmittelindustrie nutzt die EM-Euphorie, um ihre Produkte zu vermarkten. Doch Verbraucherschützer warnen vor Kickern, die Süsses und Fettes als gesund verkaufen sollen. In Kindernahrung ist zu viel Fett, zu viel Salz und zu viel Zucker. Das kritisieren Kinderärzte und Verbraucherschützer schon lange. Und jetzt wird für das ungesunde Essen auch noch kräftig während der EM geworben, beklagen die Grünen. Sie haben Nahrungshersteller vorgeworfen, diese "Kinder-Köder-Taktik" verstosse gegen die Selbstverpflichtung vieler Unternehmen der Branche, keine Werbung an Kinder unter zwölf Jahren zu richten.
Für Bärbel Höhn, Grünen Fraktionsvize im Deutschen Bundestag, sind viele Fan-Lebensmittel "wahre Kalorienbomben". Unlängst hatte ihre Fraktion in Zusammenarbeit mit dem Chefarzt der Potsdamer Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Michael Radke, mehrere Dutzend Nahrungsprodukte untersuchen lassen, die von Herstellern als EM-Fanprodukte beworben wurden. Demnach handelte es sich dabei zu drei Vierteln um Süsswaren, süsse Getränke oder Snacks. Weitere zehn Prozent waren alkoholhaltige Getränke.
Die Hälfte der untersuchten Lebensmittel enthielt den Angaben zufolge mehr als 500 Kalorien pro 100 Gramm. Die Studie kritisierte, dass die EM-Produkte mit aufgedruckten Comicfiguren, Teamstickern, Sammelbildchen oder Fussball-Tattoos besonders Kinder ansprächen. Durch Sammelaktionen versuchten die Hersteller, Kunden an ihre Produkte zu binden und zum Mehrkauf anzuregen.
Unverständliche Angaben
Für Kinderarzt Michael Radke ist das Wichtigste an der Studie ein Punkt, den er und seine Kollegen schon lange kritisieren: "dass die Deklarationen auf Süssigkeiten und Nahrungsmitteln für Kinder nicht eindeutig sind. Wenn Sie Grosseltern sind und wollen ihren Enkeln Süssigkeiten kaufen, dann haben Sie keine Chance ohne riesengrosse Lupe zu lesen, was auf diesen Verpackungen steht. Selbst wenn Sie es lesen können, haben Sie immer noch nicht verstanden, was dahinter steckt."
Die mangelnde Kennzeichnung einerseits und die Werbung für Süsses und Fettes mit der Aussage "gesund" kritisieren Verbraucherschützer schon lange. Die Organisation "Food Watch" hatte Anfang des Jahres rund 1500 Kinderlebensmittel unter die Lupe genommen. Ihr Ergebnis: Bei fast drei Viertel der Produkte handelte es sich um süsse und fette Snacks, die nach den Empfehlungen des Bundesernährungsministeriums nur sparsam verzehrt werden sollten. Fazit: Mit dem industriellen Angebot an Kinderlebensmitteln ist eine ausgewogene Ernährung praktisch unmöglich.
Trick mit der Portionsgrösse
Der Grund für das Anpreisen im Grunde ungesunder Lebensmittel liegt nach Meinung von "Foodwatch" auf der Hand. "Mit Obst und Gemüse lässt sich nur wenig Profit machen – mit Junkfood und Softdrinks schon mehr. Es lohnt sich ganz einfach nicht, gesunde Produkte ans Kind zu bringen." Während die Hersteller mit Obst und Gemüse Margen von weniger als 5 Prozent erzielen, erreichen sie bei Süsswaren, Softdrinks und Snacks Umsatzrenditen von 15 Prozent und mehr. Schon jetzt müssen Lebensmittelproduzenten die Inhaltsstoffe auf der Packung zusammen mit dem sogenannten GDA-Wert angeben.
Der "Guideline Daily Amount" ist ein Richtmass für den Tagesbedarf von Zucker, Fett, gesättigte Fettsäuren und Salz. Die Schwierigkeit besteht darin, dass sich die GDA-Angaben auf eine Portion beziehen, deren Grösse der Hersteller selbst wählt. Oft nehmen die Verbraucher aber deutlich mehr zu sich, so dass die Information keinen Wert besitzt.
Kinderarzt Radke plädiert deshalb für eine Gesundheitsampel, die Verbraucherschutzverbände schon lange fordern: "Es geht um eine einfache und gut verständliche Deklaration: grüne Ampel gut, rote Ampel schlecht, also wenig Energie oder Salz." Jeder wisse, dass ein übermässiger Salzkonsum gerade für Kinder nicht gut sei. Salzhaltige Snacks, wie Kartoffel-Chips bekämen deshalb eine rote Ampel. Diese einfachen Dinge, die man regeln könnte, würden nicht geregelt, "und das kritisieren wir."
Das Problem seien nicht die deutlich gesundheitsschädlichen Stoffe, fügt der Berliner Arzt hinzu. Diese Stoffe seien in Lebensmitteln und Kinderspielzeug verboten. Doch bei Zucker, Salz und Fett komme es auf die Dosierung an. Hier würden die Verbraucher in die Irre geführt.
Und das vor allem während der Fussball-Europameisterschaft mit prominenter Unterstützung, betont Radke: "Da wirbt ein Mitglied der Fussball-Nationalmannschaft für ein kräftiges Frühstück mit Kelloggs-Cornflakes. Wenn man sich aber mal die Packung ansieht, dann stellt man fest, dass ein riesengrosser Anteil Zucker in diesen Cornflakes enthalten ist. Das ist also nicht etwa ein kräftiges Frühstück, sondern muss als Süssigkeit gelten."
Gesetzliche Vorschriften für die Dosierung von Zucker und Fett in Lebensmitteln gibt es nicht. Hier ist der Bürger selbst gefragt. Neben der klaren Deklaration der Inhalte von Lebensmitteln durch die Industrie, könnten aber auch die Supermärkte mit einfachen Schritten viel tun, meint Mediziner Radke, denn "solange die vielfältigen bunten Riegel, die ganzen Süssigkeiten in unmittelbarer Kassennähe in Augenhöhe von Kindern konzentriert angeboten werden, haben wir ein Problem." (Deutsche Welle)
(gb)
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