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Die Schweizer Nahrungsmittel-Hersteller als Opfer von übertriebenen Rohstoffvorgaben?
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Der Präsident der Foederation
Schweizerischer Nahrungsmittel-Industrien
(fial), Rolf Schweiger, legte
an einer am 13. Juni 2012 in Bern
durchgeführten Medienorientierung
dar, dass die Schweizer Nahrungsmittel-
Industrie dem vom Bundesrat
vorgeschlagenen neuen Wappenschutzgesetz,
das die von Bund
und Kantonen seit Jahren permissiv
geduldete Verwendung des Schweizer
Kreuzes für Produkte legalisiert,
positiv gegenüber steht.
Schwer tut
sich die Schweizer Nahrungsmittel-
Industrie indessen mit der Revisionsvorlage
für das Markenschutzgesetz,
weil die "Swissness" ihrer Produkte
nach den jüngsten Entscheiden der
Kommission für Rechtsfragen des
Ständerates neben dem entscheidenden
Verarbeitungsschritt, der in
der Schweiz stattfinden muss, einzig
davon abhängen soll, dass ein Produkt
mindestens zu 80 Prozent aus
Rohstoffen schweizerischer Herkunft
besteht.
Die Tatsache, dass es im
Gesetzesentwurf Ausnahmen für
in der Schweiz nicht vorkommende
oder vorübergehend nicht in genügender
Menge vorhandene Rohstoffe
gebe, mache die Vorlage nicht besser,
sagte Rolf Schweiger. Die exklusive
Gewichtung der Herkunft des
Rohstoffs blende die für die Produkte
insgesamt viel gewichtigeren Faktoren
wie überliefertes Savoir faire,
Qualität der Verarbeitung, Forschung
und Entwicklung völlig aus. Die Interessen
der Agrarlobby würden ganz
offensichtlich höher gewichtet, als
die Arbeitsplätze, welche die Nahrungsmittel-
Industrie in der Schweiz
garantiert.
Ausländische Abnehmer
führten Schweizer Lebensmittel primär
in ihren Sortimenten, weil sie
von hoher Qualität sind und weil sie
in der Schweiz hergestellt wurden.
Sie stünden bei den ausländischen
Konsumenten in erster Linie für Werte
wie "Zuverlässigkeit", "Exklusivität"
und "internationale Spitzenqualität";
für Tugenden also, für welche
die rohstoffarme Schweiz mit ihren
Produkten in der Welt bekannt sei,
so Schweiger weiter.
Regelung muss gesamtwirtschaftlich
Sinn machen
Für Rolf Schweiger macht die Revision
des Markenschutzgesetzes aus gesamtwirtschaftlicher
Sicht nur dann
Sinn, wenn die Schweizer Wirtschaft
und damit auch die einheimische
Nahrungsmittel-Industrie dadurch
gestärkt werden. Diesem Anspruch
werde die Vorlage nur dann gerecht,
wenn die Kommission für Rechtsfragen
des Ständerates wieder zu der
vom Nationalrat beschlossenen Differenzierung
zwischen schwach und
stark verarbeiteten Lebensmittel zurückfinde.
Bei einem schwach verarbeiteten
Produkt wie beispielsweise
einem Käse oder einem Schinken,
hätten Konsumentinnen und Konsumenten
eine Erwartung an die Herkunft
des Rohstoffes, was bei stark
verarbeiteten, aus zahlreichen Rohstoffen
hergestellten Produkten wie
Beutelsuppen, Biskuits oder Fertigmahlzeiten
anders sei. Für diese Produkte,
bei denen das "Savoir faire"
wichtiger als der Rohstoff sei, trage
eine kumulativ geltende Gewichts- und
Wertvorgabe von je 60 Prozent
den Konsumentenerwartungen besser
Rechnung.
Verliert das Basler Läckerli den
Schweizer Pass?
Miriam Blocher, die Inhaberin und
Geschäftsleiterin der Läckerli Huus
AG, erklärte anhand des "Original
Basler Läckerli", das seit über 100
Jahren am Markt ist, die Auswirkungen
der Swissnessvorlage auf
ihr Unternehmen. Miriam Blocher:
"Wenn 80 Prozent der Rohstoffe
schweizerischer Herkunft sein müssen,
ist das Basler Läckerli, obschon
in der Schweiz – genauer im Kanton
Basel-Land – hergestellt, kein
Produkt schweizerischer Herkunft
mehr. Bei 60 Prozent Gewicht bleibt
das Basler Läckerli ein Schweizer
Produkt."
Die Rohstoffvorgaben
müssten ferner erfüll- und umsetzbar
sein. Probleme gebe es bei
verschiedenen Rohstoffen mit den
erhältlichen Mengen und teilweise
mit der Qualität, so Blocher weiter.
Sie illustrierte dies am Beispiel des
Mehls, das bei der Liefermühle nach
einer exakten Spezifikation eingekauft
wird. Der Müller muss aufgrund
der variierenden Getreidequalität
Mischungen vermahlen, deren
Auslandanteil je nach Ernte ändert.
Entscheidend sei für sie die Konstanz
der Qualität.
Swissness als Standortfaktor
Daniel Meyer, General Manager der Kraft Foods Schweiz GmbH, die in Bern-Brünnen mit 250 Mitarbeitenden
das Tobleronewerk betreibt, illustrierte die Tücken der Rohstoffvorgaben
anhand von Milch und Zucker. Daniel Meyer: "Würde das Parlament sich für stark verarbeitete
Lebensmittel für die 80-Prozent-Limite entscheiden, verliert der Produktionsstandort Schweiz, nebst den Auswirkungen der bereits belastenden
Wechselkursentwicklung, weiter an Attraktivität. Davon sind besonders international agierende Firmen wie Kraft Foods und letztendlich
Produkte wie Toblerone betroffen.
Die Marke Toblerone und deren Profitabilität geraten weiter unter Druck und hindern das weltweite Wachstum dieser Schweizer Ikone." Die 80-Prozent-Limite schränke die Planungsfreiheit und die Produktentwicklung
unnötig ein, sagte Meyer weiter. Um den Konsumenten vor Täuschungen zu schützen, reichten die Regeln des geltenden Lebensmittelrechtes
aus.
Die fial präsentierte eine nicht repräsentative
Auswahl von Produkten, deren Swissness gefährdet ist. Die Gründe dafür liegen bei der Erhältlichkeit
der Rohstoffe oder bei deren
Qualität, die den vom Produkt objektiv gebotenen Anforderungen nicht gerecht werden. Zu erwähnen sind Produkte wie Beutelsuppen, Bio Ketchup, Biskuits, Bonbons, Dosenravioli,
Essiggurken, Getreideriegel, Gewürze, Glacen, Ice-Tea-Konzentrat,
Konfitüren, Kräuterzucker, Le Parfait, Ovomaltine, Mayonnaise, Müeslimischungen, salzige Snacks, Saucen und Senf. (Text: fial)
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Wer hats erfunden? Natürlich nicht die Afrikaner, und auch nicht die Mexikaner oder andere
Völker, die ihre Kräuterbonbons lieber mit Chili oder Curcuma herstellen als mit Spitzwegerich, Pfefferminze, Thymian, Schafgarbe, Holunder, Malve, Andorn, Schlüsselblume, Bibernelle, Frauenmantel und Salbei.
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Kommentar von Armin Müller, Chefökonom «Handelszeitung»
Die Politik will neu definieren, was als «Swiss made» gelten und mit dem Schweizer Kreuz werben darf. Die sogenannte Swissness-Vorlage hat diese Woche in der Ständeratskommission eine weitere Hürde genommen.
Demnach dürften nur noch Lebensmittel mit der Schweizer
Herkunft werben, die gewichtsmässig aus 80 Prozent Schweizer Rohstoffen bestehen. Bei Industrieprodukten müssten mindestens 60 Prozent der Herstellungskosten in der Schweiz anfallen.
Helvetische Produkte wie Toblerone, Basler Läckerli, Kambly-Biscuits, Thomy-Senf, Knorr-Suppen, «Original Willisauer» Steinobstbrände, Le Parfait, Bündnerfleisch oder Fertig-Fondue würden demnach nicht mehr als «Swiss made» gelten. Die Auseinandersetzung um das Gesetz
macht zwei Dinge deutlich: Wie rücksichtslos die Bauernlobby im Kampf für ihre Privilegien dem Werkplatz Schweiz zu schaden bereit ist. Und wie ungenügend das Verständnis der Politiker dafür ist, wie die moderne Wirtschaft funktioniert und was die Schweiz wirklich reich macht.
Die Bauern agitieren mit ihrer Rohstofffixierung unredlich. Sie importieren
selber die Hälfte der Futtermittel. Gemäss ihrer 80-Prozent-Regel
dürften sie das Schnitzel ihres mit brasilianischem Soja gefütterten Schweins eigentlich gar nicht als «Schweizer Fleisch» verkaufen.
Die extreme Fixierung auf quantitative Kriterien und Rohstoffe ist gerade
im Fall der Schweiz grotesk. Alles, was das Land reich gemacht hat, beruht eben gerade nicht auf quantitativen, sondern auf qualitativen
Kriterien: Zuverlässigkeit, Präzision, Fleiss, Flexibilität, Stabilität, Fairness, Sauberkeit. Es ist bezeichnend, dass Ricola ihre Kräuterbonbons
mit dem Spruch «Wer hats erfunden? – Die Schweizer» bewirbt.
Die erfolgreiche Schweizer Industrie produziert in international arbeitsteiligen
Verfahren, da liegen Welten zwischen Rohmaterial und Fertigprodukt. Wertschöpfung – und damit Arbeitsplätze und hohe Löhne – generiert sie nicht aus Rohstoffen, sondern aus dem Know-how, wie man daraus qualitativ hochwertige Produkte fertigt.
Die Swissness-Vorlage in ihrer heutigen Form ist untauglich und schadet
dem Werkplatz Schweiz. Lassen wir die Konsumenten entscheiden, ob die Produkte ihren Qualitätsansprüchen an «Swiss made» genügen. Das ist allemal besser als die Rohstofffixierung gemäss den Wünschen der Bauern. Denn der einzige Rohstoff, auf den es in der Schweiz wirklich
ankommt, sind die grauen Hirnzellen. (Armin Müller, Chefökonom «Handelszeitung»)
(gb)
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