Heute im Tagi-Magi: Was treibt 7 Millionen Menschen, täglich einen der 14 000 Coffeeshops in 42 Ländern (diese Zahlen beim schnellen Wachstum des Unternehmens ohne Gewähr) zu besuchen, darunter Studenten, Kader, Italiener, Liebhaber fremder Kulturen, kritische Geister? Warum sind wir bereit, 6 Franken für einen Pappbecher oder Mug mit einem Shot-Kaffee und viel aufgeschäumter Milch auszugeben? Wie funktioniert diese Kaffeephilosophie, die jährlich einen Umsatz über 9 Milliarden Dollar macht? Es geht darum, dass Starbucks auf die Gegebenheiten des heutigen Lebens reagiert, allein geografisch.Und es gibt Leute, die fühlen sich hier wohler als zu Hause.
Starbucks hat früh erkannt, dass ständige Verfügbarkeit eine Dienstleistung aufwertet. Man ist unterwegs und mit den Bedürfnissen immerzu online, kein Aufwand, und die Hände halten den dampfenden Becher. Wenn man bis anhin keine Lust auf Kaffee verspürte, könnte einen das altmodisch wirkende, dunkelgrüne Logo mit der Meerjungfrau, das Unternehmenstradition suggeriert, auf die Idee bringen, Lust auf Kaffee zu haben, wenn es unweigerlich in den Blick rückt.
Geschimpft wird über die Preise. Ein Financial Adviser, der am Bleicherweg einen Cappuccino (5.60 Franken) trinkt, ärgert sich: «Der Kaffee hier ist völlig überteuert.» Er nennt sich «Opportunist». Opportunisten trifft man oft bei Starbucks. Sie rechtfertigen sich jedes Mal wortreich. Aber sie könnten der Kette ja auch fernbleiben. Oder einen Decaf Latte bestellen, einen koffeinfreien Kaffee, um sich abzuregen, vor allem, wenn sie hören, jetzt bitte nicht verschlucken: Qualität hat eben ihren Preis.
Weiterer Kritikpunkt Umwelt, die Papp- und Plastikbecher verdienen keinen grünen Orden. Doch rechnet man das Verhalten im Alltag auf, könnte man entgegnen: Zu Starbucks fährt man im Gegensatz zur Szenebeiz oder zum Landgasthof nie mit dem Auto, weil die Lokale so zentral, an den Knotenpunkten des öffentlichen Verkehrs, liegen.
Der Cappuccino-Code
Jeder kann sein Lieblingsgetränk zusammenstellen. Es braucht Insiderkenntnisse, um den Banana Java Chip Frappuccino Blended Coffee (7.60 Franken) zu ordern, der in der Top 10 der beliebtesten Getränke an siebter Stelle liegt. Wer den Thekenslang beherrscht, ist demnach eingeweiht. Über diesen Code definiert man sich gemeinsam.
Kluge Gedanken aus der Temple University in Philadelphia.
Nur, dass man neben der Weltläufigkeit auch globales Gerechtigkeitsempfinden ausdrückt, wenn man mit der Meerjungfrau durch die Gegend spaziert, trifft es wohl weniger. Viele Starbucks-Kunden wissen nicht mal etwas von der Ethik des Unternehmens, geschweige denn, dass sie bewusst Gutes tun, indem sie mehr für einen Kaffee bezahlen.
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Bei Starbucks stimmt alles, nur der Kaffee ist zu stark geröstet (schade um die guten Bohnen). Tipp: der Filterkaffee (Bild) ist milder.
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Hingegen: Der Konsum an sich wird durch den Preis aufgewertet. Was mehr kostet, hat einen höheren emotionalen Wert. Plötzlich lösen Marken Gefühle aus. Werden mit Charaktereigenschaften bedacht. Das Teure hat man lieb. Geldausgeben macht glücklich. Vor allem, wenn mit einem Latte zugleich Status warm die Kehle runterrinnt.
Starbucks wird deshalb auch als Symbol einer Upgrade-Mentalität gesehen, als Produkt eines «neuen Luxus»: Weil ihn sich viele leisten, ist er nicht mehr exklusiv, sondern inklusiv. «Elitär» trifft nun auf die Masse zu. Historiker Bryant Simon spricht von «performance of luxury», was insbesondere für die amerikanische Gesellschaft gelte, die besessen sei vom Aufsteigen. Wer so viel Geld für einen Kaffee ausgibt, zeige, dass er es habe.
Was Shopping für vorab junge Konsumbürger auch immer bedeutet: Sie zahlen für dieses Etwas, für diesen verborgenen Wert, gern mehr. Darum ist fraglich, ob die auch in der Schweiz geplanten Kaffeebars von McDonald’s Starbucks bedrohen werden. Ein McCafé in der Fastfood-Kette zu besuchen, verspricht schon vom Klang her ein anderes Erlebnis. Was billig ist, gibt kein so gutes Selbstgefühl.
Und was ist mit den unabhängigen Cafés? El Greco, il caffè, Hueguenin, Sprüngli, Café de ville, Kafischnaps, Kornhauscafé – sie laufen gut und werden weiter laufen. Sie haben ihre eigenen Stammkundschaften, kleinen Szenen, die geistig oft auch «corporate» sind. Sie behaupten sich in der Abgrenzung zu, gewissermassen: dank Starbucks. Starbucks gegenüber viel positiver eingestellt als manch anderer ist Johanna Bartholdi, die Geschäftsführerin des Schweizer Cafetier-Verbands. Der Erfolg der Coffeeshop-Kette bestätige sie, dass die Leute gewillt sind, mehr Geld für eine Tasse Kaffee zu zahlen.
Zur Erinnerung: Bartholdi brachte die Idee von der 5-Franken-Mindestkonsumation auf den Tisch; ein Betrag, den jeder Gast zu zahlen hätte, auch wenn er nur einen Kaffee trinkt, damit defizitäre Betriebe – in der Schweiz etwa 1400 von 2100 Cafés – rentieren. Sie löste einen Proteststurm aus. Abgesehen davon also, dass man sich seinen Kaffee durchaus etwas kosten lasse, beeindrucke Starbucks mit der «Pflege von Kaffee»: Man denke an Leute mit Laktose-Intoleranz, biete Kaffeedegustationen an, setze mit aromatisierten Getränken Trends, deklariere die Bohnen.
Bartholdi, die man «rein beruflich» ab und zu im Starbucks am Bleicherweg in Zürich trifft, wo sie einen «Cappuccino Tall à 5.60 Franken und im Sommer auch mal einen Frappuccino» trinkt, sagt gut gelaunt am Telefon: «Starbucks hatte einen aufrüttelnden Effekt auf die Kaffeekultur. Viele Betriebe wurden aus dem Dornröschenschlaf geweckt und mussten über die Bücher. Starbucks verkauft nicht nur Kaffee, sondern Geschichten.» Sie nennt das Wort, bisher vermieden: «einen Lifestyle». So sei Kaffee wieder zu einem jugendlichen Getränk geworden, mit mittel- und längerfristig erfreulichen Folgen: «Wenn die heutigen Jungen ins Alter kommen, wollen sie sitzen bleiben und bedient werden. Dann besuchen sie andere Cafés.»
Text: Ausschnitt aus dem Bericht im Tagi-Magi Das Magazin vom 10. November 2007
Bilder und Bildlegende: foodaktuell
(gb)
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