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23.12.2009: nachrichten
23.12.2009
Kritik an revolutionärer Fleischproduktionsmethode

Vom Retorten-Fleisch zum schmerzfreien Nutzvieh - Forscher wollen mit Biotechnologie die Fleischproduktion revolutionieren. Über Chancen, Risiken, Probleme und ethische Fragen.



Dass Koteletten nicht auf Bäumen wachsen ist klar, und vegetarische Fleisch-Alternativen (Bild) sind bereits etabliert. Aber wie sinnvoll ist Fleisch von Gentech-Tieren oder aus der Retorte? Wissenschafter streiten sich.

Während die einen jeglichen Fleischkonsum grundsätzlich ablehnen, machen sich andere Gedanken darüber, wie der weltweit wachsende Hunger nach Fleisch gestillt werden kann, ohne dass dabei das Tierwohl auf der Strecke bleibt. Ein weiteres Problem der modernen Tierhaltung ist, dass sie im Vergleich zu Produktion von vegetarischen Lebensmitteln sehr viel Energie und Ressourcen verbraucht. Wissenschaftler suchen daher nach Möglichkeiten, Fleisch auf alternativem, schonendem Wege zu produzieren.

Der amerikanische Philosoph Adam Shriver etwa schlägt in der Fachzeitschrift "Neuroethics" (Bd. 2, S.115) vor, Nutztiere genetisch so zu verändern, dass sie keinen Schmerz mehr empfinden. Die Tiere würden zwar noch Reize wahrnehmen, aber ähnlich wie bei einem Menschen, der starke Schmerzmittel einnimmt, würden sie diese nicht mehr als unangenehm oder gar quälend empfinden. Die Produktion solcher Tiere ist zwar noch Zukunftsmusik, aber wären sie wirklich eine Möglichkeit, das Dilemma um das Tierwohl zu lösen?

Abgesehen von der technischen Machbarkeit gibt es noch weitere Einwände gegen die schmerzlosen Tiere. Würden solche Lebewesen tatsächlich gezüchtet, wäre dies Kritikern zufolge eine Bankrotterklärung für jegliches Tierschutzbestreben, denn anstatt die Haltungsbedingungen den Tieren anzupassen, werden die Nutztiere weiter instrumentalisiert.

"Damit würde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet", meint Herwig Grimm, diplomierter Landwirt, Philosoph und Forscher an der Ludwig-Maximilians-Universität in München mit dem Schwerpunkt Tierethik und Ethik in der Landwirtschaft. Er erklärt: "Ein so verändertes Tier wäre dann nur noch ein Automat. Es gäbe plötzlich zwei Arten von Tieren, für die genetisch veränderten würde wahrscheinlich gar kein Tierschutz mehr als nötig erachtet." Es wäre nicht mehr weit her mit der Würde dieser Tiere, die ja eigentlich am Ausgangspunkt der Überlegung steht.

Zudem sieht Grimm auch praktische Probleme bei der Haltung von schmerzlosen Tieren. "Mit der Züchtung solcher Tiere gerät die Tierhaltung in ein gefährliches Fahrwasser, denn den Tieren fehlt nicht nur das Schmerzempfinden, ihr Verhalten ist für den Landwirt auch nicht mehr deutbar." Um herauszufinden, ob es seinen Tieren gut geht, muss ein Landwirt ihr Verhalten richtig interpretieren können. Dafür muss er sich auf die sichtbaren Zeichen verlassen, denn ein Tier kann sich nicht anders mitteilen. Ohne das Schmerzempfinden und die entsprechenden Reaktionen des Tieres fehle eines der wichtigsten Signale, erklärt der Landwirt und Ethiker.

Technische Machbarkeit hin, ethische Bedenken her – am Ende entscheidet der Markt. Fleisch von genetisch veränderten Tieren wird dann produziert, wenn sich genügend Käufer dafür finden. Ob das bei Fleisch solcher schmerzlosen Tiere überhaupt je der Fall sein wird, ist jedoch fraglich.

Eine andere Möglichkeit, die Nutztierhaltung zu vermeiden, wäre ein Produktionsprozess, bei dem die Tiere einfach umgangen werden. Was paradox klingt, existiert schon seit längerem als Prototyp: das sogenannte In-vitro-Fleisch. Dieses Fleisch ist ein Laborprodukt – kein Tier muss dafür leiden oder sterben. Ein paar Muskelzellen genügen, aus denen dann in Fermentern künstliches Gewebe gezüchtet wird.

Jason Matheny von der Organisation "New Harvest", die sich der Entwicklung von Ersatzfleisch verschrieben hat, schätzt, dass das künstliche Fleisch in fünf bis zehn Jahren auf dem Markt sein wird. Er erklärt die weiteren Vorteile: "Bedenkliche Stoffe wie Antibiotika oder Hormone wären beim In-vitro-Fleisch kein Thema. Auch der Fettgehalt könnte genau gesteuert werden. Ausserdem werden keine unessbaren Teile wie Knochen, Atmungsapparat, Haut, Verdauungs- und Nervensystem produziert". Bei der Produktion von In-vitro-Fleisch würden zudem im Vergleich zur Tierhaltung 90 Prozent weniger Treibhausgase freigesetzt und 95 Prozent weniger Land und Wasser verbraucht.

Die Vorteile des In-vitro-Fleisches liegen, anders als diejenigen der schmerzlosen Tiere, also auf der Hand. Und doch mutet die Idee futuristisch an. Muskelstränge, die in einer Brühe aus Nährstoffen in einer Maschine hergestellt werden scheinen sehr weit vom natürlichen Vorbild eines Bauern mit kleiner Kuhherde entfernt zu sein.

Doch das gilt ohnehin schon für die moderne Tierhaltung. Matheny erklärt: "Die heute in der Massentierhaltung gezüchteten Tiere haben mit ihren Vorfahren nicht mehr viel gemeinsam. Hühner zum Beispiel sind so gezüchtet worden, dass sie doppelt so schnell wie normal wachsen, Truthähne können sich wegen der überzüchteten Brust nicht mehr natürlich paaren.

Wenn zehntausend Tiere in einem Verschlag aus Metall gehalten und mit Wachstumshormonen vollgestopft werden, hat dies nichts mehr mit Natur zu tun." Für ihn stünde das künstliche Fleisch in einer Reihe mit anderen Lebensmitteln wie Joghurt, Brot oder Wein, die mittlerweile alle in hochtechnisierten Verfahren hergestellt werden. (Text: ddp/wissenschaft.de)

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