7.6.2012: nachrichten | ||
7.6.2012 FiBL-Studie: zarteres Fleisch dank Kälbermassage Werden Kälber in den ersten Tagen nach ihrer Geburt sanft massiert, wächst ihr Vertrauen zum Menschen. Das bedeutet weniger Stress bis zum Schlachttag und zarteres Fleisch.
Der erste Kontakt eines Kälbchens mit dem Menschen verläuft meist wenig angenehm. Schmerzhafte Prozeduren wie das Einstechen von Ohrmarken oder die Kastration stehen auf dem Programm. "Gerade Tiere, die anschliessend ohne viel Kontakt zum Menschen aufgezogen werden, kann so etwas scheu und wild machen und im Umgang mit dem Menschen lebenslang Stress bedeuten", sagt Johanna Probst vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL in Frick AG. Grund genug für Probst und ihre Kollegen, nach Wegen zu suchen, diesen Stress zu reduzieren. In einer noch unveröffentlichten Studie für ihre Masterarbeit hatte Probst bereits entdeckt, dass regelmässige sanfte Berührungen in den fünf letzten Lebenswochen die Momente vor der Schlachtung weniger traumatisch für die Tiere machen. "Viel logischer wäre es aber, damit anzufangen, wenn die Tiere jung sind", sagt Probst. "Insbesondere, wenn das den Umgang mit ihnen für die Landwirte erleichtert." Also streichelten die Forscher 13 Kälber vom zweiten bis vierten Lebenstag für je zweimal zehn Minuten mit einer Massagemethode, die von der kanadischen Tiertrainerin Linda Tellington-Jones ursprünglich zur Beruhigung nervöser Pferde und Haustiere entwickelt wurde. In den nächsten drei Wochen folgten drei weitere Massagen. 2 Std Streicheleinheiten pro Kalb Um zu testen, ob die insgesamt zwei Stunden Streicheleinheiten pro Kalb das Vertrauen in den Menschen nachhaltig gestärkt hatten, liess Probsts Team in den folgenden Monaten immer wieder eine unbekannte Person auf die jungen Tiere zugehen. Das Ergebnis: Gekraulte Rinder hätten die Person sowohl im Stall als auch auf der Weide wesentlich näher an sich herankommen lassen. Der Effekt habe bis zur Schlachtung im Alter von zehn Monaten angehalten. Auf dem Schlachthof hätten die gestreichelten Tiere seltener gescheut und geringere Mengen des Stresshormons Cortisol erzeugt. Das machte sich hinterher auch in der Fleischqualität bemerkbar. Stress beeinflusst den Energiehaushalt der Muskeln ungünstig, was sich anschliessend auf den Reifungsprozess des Fleisches auswirkt. Das Fleisch der entspannteren Tiere war in späteren Tests deutlich zarter als das der Kontrollgruppe. Ob die Kälbermassage auch für den landwirtschaftlichen Alltag taugt, ist noch offen. Obwohl der Zeiteinsatz von insgesamt nur zwei Stunden pro Rind viel geringer ist als beispielsweise bei den extrem teuer zu mästenden japanischen Kobe-Rindern, die ihr Leben lang täglich massiert werden, glaubt Probst, dass viele Bauern selbst vor sechs Massagen im Kälberalter zurückschrecken. "Andererseits bekommen wir immer wieder Feedback von Landwirten, die sagen, dass sie es wichtig finden, dass so ein guter Kontakt mit den Tieren hergestellt wird", sagt die Forscherin. Als nächstes will das Team deshalb testen, ob sogar noch weniger Behandlungszeit reicht, um ähnlich nachhaltige Effekte zu erzieln. Kollegen loben den Ansatz der Forscher Catherine Douglas von der Newcastle University in England findet es "sehr ermutigend, dass man die Effekte auch noch mindestens neun Monate später wissenschaftlich nachweisen kann". Der Schlüssel ist nach Meinung von Paul Hemsworth von der australischen University of Melbourne weniger im rein körperlichen Genuss, den die Massage auslöst, als in der Qualität der Mensch-Tier-Beziehung: "Auch meine Studien bestätigen, dass positiver Kontakt mit Menschen Angstreaktionen bei Tieren mildern und viel zu ihrem Wohlbefinden und ihrer Produktivität beitragen kann." Um seine Forschungsergebnisse in die Praxis zu integrieren, entwickelt Hemsworth nun Trainingsprogramme für landwirtschaftliches Personal, die dessen Haltung gegenüber den Tieren mit Elementen aus der kognitiven Verhaltenstherapie beeinflussen sollen. Ziel ist es, den Umgang mit Tieren ohne zusätzlichen Zeitaufwand auch bei Routineprozeduren positiver zu gestalten. Hemsworths Erkenntnisse sind bereits in erste kommerziell einsetzbare Multimedia-Trainingsprogramme für Pfleger von Schweinen, Kühen und Hühnern eingeflossen. Auch Douglas' Forschung deutet darauf hin, dass die Qualität der Mensch-Tier-Beziehung wichtig ist: In einer Befragung britischer Landwirte zeigte sich, dass Kühe, die individuelle Namen und somit vermutlich eine persönlichere Beziehung zu ihren Pflegern hatten, deutlich mehr Milch gaben. (spiegel.de/FiBL) | ||