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10.9.2012: nachrichten
10.9.2012
Agrarpolitik 2014: Verteilungskampf um 3,5 Mia

Mit der Beratung der Agrarpolitik 2014/17 stand heute im Nationalrat eine Mammutdebatte auf dem Programm. Die Grosse Kammer folgt grösstenteils dem Bundesrat.



19.09.2012 - (lid) – Wie soll die Agrarpolitik für die Jahre 2014 bis 2017 (AP 2014/17) ausgestaltet sein? Mit dieser Frage hatte sich heute die Grosse Kammer als Erstrat zu beschäftigen. Die Finanzen spielten für einmal nur eine untergeordnete Rolle. Dass der Bund die Bauern auch künftig mit rund 3,5 Mia. Franken jährlich unterstützt soll, war von vornherein kaum umstritten.

Heftig gerungen wurde hingegen über die Verteilung der Gelder. Die Fahne zur Änderung des Landwirtschaftsgesetzes zählte 92 Seiten, voll mit Änderungsbegehren, über die die Grosse Kammer einzeln zu befinden hatte. Der Nationalrat hatte denn auch den ganzen Mittwoch für die Debatte vorgesehen.

Der Berner SVP-Nationalrat und Bauernvertreter Andreas Aebi wollte erst gar nicht auf die Vorlage des Bundesrates eintreten. Das neue Direktzahlungssystem, das Herzstück der AP 2014/17, gehe zu sehr in Richtung Ökologisierung der Landwirtschaft. Genau in diesem Bereich hätten die Bauern in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt.

Bei der künftigen Agrarpolitik müssten die Akzente daher anders gesetzt werden: Etwa zugunsten der Bauernfamilien, die viel arbeiten müssten und dennoch wenig verdienten. Und zugunsten der Lebensmittel produzierenden Landwirtschaft. Denn die Abhängigkeit vom Ausland sei hoch: Heute werde pro Kopf und Jahr für 600 Franken Nahrungsmittel importiert, in der EU seien es nur 60 Franken.

Aebi befürchtet, dass durch den Anreiz zur Extensivierung die Kalorienproduktion weiter sinken könnte. Ins gleiche Horn stiess SVP-Nationalrat Albert Rösti, der die Vorlage mit der Aufforderung an den Bundesrat zurückschicken wollte, der Versorgungssicherheit mehr Gewicht einzuräumen.

Bei den Mitte- und Linksparteien fanden die SVP-Vertreter indes kein Gehör. Für Kathrin Lüthy (GLP/BE) ist das Direktzahlungssystem reformbedürftig, weil es ineffizient sei und Fehlanreize setze. Bauern würden deshalb heute möglichst viele Tiere halten, was aber zur Überproduktion führe. Die Zahlungen würden pauschal entrichtet, Anreize für eine nachhaltige Produktion gebe es kaum.

Louis Schelbert (Grüne/LU) betonte, dass auch beim neuen Direktzahlungssystem 70 Prozent der Beiträge für die Produktion vorgesehen seien. Der Bio-Landbau werde hingegen zu wenig gefördert. Nur ein Prozent der Beiträge sei für diesen Bereich vorgesehen. Bundesrat Schneider-Ammann erklärte, dass man mit der AP 2014/17 die Landwirtschaft leistungs- und wettbewerbsfähiger machen wolle.

Die Direktzahlungen sollen gezielter ausbezahlt, abgestimmt auf Ziele in der Bundesverfassung. Den von den SVP-Vertretern geäusserte Befürchtung, dass die Kalorienproduktion sinken könnte, trat Schneider-Ammann entschieden entgegen: Modellrechnungen hätten ergeben, dass die Bauern mit der AP 2014/17 mehr Nahrungsmittel produzieren werden. Und punkto Einkommen erklärte Schneider-Ammann, dass diese gesamthaft um 110 Mio. Franken zunehmen werden. Mit dem heutigen System hingegen wäre dies nicht möglich.

Schneider-Ammann konnte einen ersten Etappensieg verbuchen: Die SVP blitzte mit den beiden Anträgen auf Nichteintreten bzw. Rückweisung deutlich ab. Danach folgte die Detailberatung.

SVP-Nationalrat Albert Rösti verlangte namens einer Kommissionsminderheit, dass der Bundesrat künftig quasi automatisch die Allgemeinverbindlichkeit für Selbsthilfemassnahmen erteile, wenn die Branche solche mehrheitlich beschliesse. Bundesrat Schneider-Ammann hielt wenig von diesem Ansinnen: „Ich will keinen Automatismus.“ Wenn jede Selbsthilfemassnahme als allgemeinverbindlich erklärt werde, sei dies eine staatliche Intervention. Die Verpflichtung von Nichtmitglieder per Bundesratserlass solle die Ausnahme blieben.

Schneider-Ammann wies darauf hin, dass der Antrag der Kommissionsminderheit zur Folge hätte, dass er die Auswirkungen auf Konsumenten, Produzenten und Steuerzahler nicht mehr prüfen könnte. Der Nationalrat folgte der Argumentation des Bundesrates und schmetterte den Antrag ab. Gutgeheissen wurden allerdings minimale Anforderungen bei den Milchkaufverträgen, was die Position der Bauern künftig stärkt.

Schiffbruch erlitt der Antrag der Kommissionsminderheit um Markus Hausammann (SVP/TG), wonach Einfuhrzölle so festzusetzen seien, dass eine grösstmögliche Versorgung mit einheimischen landwirtschaftlichen Produkten sichergestellt sei. Von solcherlei Heimatschutz wollte der Bundesrat Schneider-Ammann nichts wissen: „Das Erreichen eines grösstmöglichen Selbstversorgungsgrades kann nur durch unverhältnismässige Zollerhöhungen erreicht werden, was wiederum zu kaum tragbaren volkswirtschaftlichen Kosten führt und mit unseren staatsvertraglichen Verpflichtungen nicht vereinbar ist.“

Abgeblitzt sind die Bauernvertreter zudem mit dem Antrag, die Landschaftsqualitätsbeiträge zu streichen. SVP-Nationalrat Andreas Aebi hielt diese für überflüssig, weil sich solche Leistungen auch über die Biodiversitätsbeiträge abgelten liesse, ohne eine eigene Kategorie einführen zu müssen. Ausserdem könne man nicht objektiv definieren, was schön ist und was nicht.

Kathrin Bertschy (GLP/BE) sah in den Landschaftsqualitätsbeiträgen eine Massnahme, die Kulturlandschaft zu fördern, was für den Tourismus von Bedeutung sei. Knapp, mit 98 zu 85 Stimmen bei zwei Enthaltungen, sprach sich der Nationalrat für die Landschaftsqualitätsbeiträge aus.

Anders als der Bundesrat sprach sich der Nationalrat dafür aus, auch für Land Direktzahlungen zu entrichten, das in der Bauzone liegt. Für eine Erweiterung entschied sich die grosse Kammer auch bei den Produktions- und Absatzbeiträgen: Für Futtergetreide sollen demnach auch Beiträge ausgerichtet werden können, wie die Nachrichtenagentur SDA berichtet. Weiter sollen von Verwertungsmassnahmen auch Beeren- Produkte profitieren können. Der Nationalrat konnte trotz neunstündiger Debatte die AP 2014/17 nicht zu Ende beraten. Am 26. September 2012 wird sich die Grosse Kammer voraussichtlich nochmals der Verlage annehmen.

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