4.9.2014: nachrichten | ||
4.9.2014 Kassensturz kritisiert Schweizer Genlabor-Gemüse Eine Untersuchung von «Kassensturz» zeigt: Dem meisten Schweizer Kohlgemüse, auch bio, werden im Labor fremde Gene implantiert: sogenannte CMS.
Bio Suisse ist in einem Dilemma. Ein grosser Teil des verkauften Kohlgemüses mit der Bio-Knospe widerspricht eigentlich dem Bio-Gedanken. Das Gemüse wird mit Methoden gezüchtet, die der Gentechnik nahe sind und damit nicht bio-tauglich – die sogenannten CMS-Sorten. Das zeigen Labor-Analysen der SRF-Konsumenten-Sendung «Kassensturz». «Kassensturz» liess Proben aus der ganzen Deutschschweiz – bio und konventionell – auf CMS testen. Das Resultat: Zwei Drittel der eingesandten Broccoli-, Blumenkohl- und Kohlrabi-Proben enthalten CMS. Von 13 untersuchten Proben bei konventionellem Gemüse stammten fast alle von CMS-Sorten. Auch Bio-Gemüse wird mit der umstrittenen Methode hergestellt, obwohl es gemäss neusten Bio Suisse-Richtlinien nicht mehr erlaubt ist. «Hier werden die Artgrenzen überschritten», sagt Amadeus Zschunke vom Bio-Zuchtbetrieb Sativa Rheinau in der Sendung «Kassensturz». Rettich werde im Kohl eingebracht, was so in dieser Form natürlich nicht stattfinden könne. «Das ist im Bio-Landbau nicht erlaubt und für die Laien der Gentechnik nahe», sagt Zschunke. Umstrittenes «CMS»-Gemüse bleibt im Regal Dieses so genannte CMS-Gemüse ist aber so weit verbreitet, dass die Regale zum Beispiel bei Blumenkohl oder Broccoli schlicht leer wären, wenn Bio Suisse das umstrittene CMS-Gemüse aus dem Handel nehmen würde. CMS steht für eine Eigenschaft, welche die Pflanze steril macht. Diese Eigenschaft hilft den Saatgut-Firmen, rascher schönes und möglichst einheitliches Gemüse zu züchten. Bei manchen Pflanze, wie Rüebli, Zwiebeln oder Sonnenblumen, kommt die CMS natürlich vor. Doch nicht bei Broccoli oder Blumenkohl. «Starker Eingriff in die Zelle» Deshalb greifen die Saatgut-Firmen bei Kohl in die Zellen ein. Sie schleusen mittels einer Zellfusion ein Gen, das CMS erzeugt, vom Rettich in den Broccoli oder Blumenkohl ein. Das heisst, sie lassen kernlose Rettich-Zellen mit Broccoli-Zellen verschmelzen. Am Ende enthält der Broccoli so auch Rettich-Erbgut. Auch bei Rosenkohl, Chicorée, Chabis, Romanesco, Wirsing oder Kohlrabi kommt diese Technik zum Einsatz. Für Bio Suisse geht dieser Eingriff in die Zelle zu weit, sagt Geschäftsführer Daniel Bärtschi im Interview mit dem Konsumentenmagazin «Espresso» von Radio SRF1: «Die CMS-Technik macht starke Eingriffe in die Zellen dieser Gemüsearten. Bio Suisse will diese Sorten mittel- bis langfristig ersetzen.» Konsumenten haben keine Wahl Doch im Moment ist das CMS-Gemüse immer noch im Handel, weil es schlicht zu wenig Saatgut gibt, das nicht mit der CMS-Technologie gezüchtet wurde. «Es gibt zwar anderes Saatgut auf dem Markt. Das daraus wachsende Gemüse entspricht jedoch nicht der Qualität, die der Konsument und der Detailhandel verlangt», sagt Daniel Bärtschi. Konkret heisst das, dass neue Bio-Sorten gezüchtet werden müssen, die CMS-frei sind und einen guten Ertrag liefern. Das dauert mehrere Jahre. In der Zwischenzeit haben Konsumenten keine Wahl. Denn CMS ist nicht deklariert, weil es gemäss Gesetz nicht als Gentechnik gilt. Gentechnik oder nicht? Erstaunlich: Deshalb wissen nicht einmal die Bauern, ob ihre Gemüse CMS enthält oder nicht, sagt Moana Werschler vom Verband der Gemüse-Produzenten im «Kassensturz». «Eine Deklaration ist deswegen im Moment nicht möglich», sagt sie. Auch die Detailhändler verweisen auf das Gesetz, das eine Deklaration nicht vorschreibt. Alle Detailhändler geben an, dass ihnen die verwendeten Gemüse-Sorten nur bei den wenigsten Lieferanten bekannt sind. Die Konsumenten bleiben also im Ungewissen. Der Saatgutkonzern Syngenta sieht keinen Grund für eine Deklaration. Auf Anfrage von «Kassensturz» schreibt Syngenta, die Eigenschaften von CMS liessen sich auch mittels herkömmlicher Kreuzung erreichen, allerdings viel zeitintensiver als durch die Zellfusion. «Laut Gesetz wird dieses Zusammenführen von Pflanzenzellen nicht der Gentechnik zugeordnet, wenn das Ergebnis auch über die herkömmlichen Züchtungsmethoden erreicht werden kann», schreibt Syngenta. Bio-Züchter widersprechen jedoch dieser Sichtweise. Man könne nicht von einer Beschleunigung des natürlichen Prozesses sprechen. Rettich und Broccoli gehörten zwar zur gleichen Pflanzenfamilie. Eine Kreuzung aus diesen beiden Pflanzen sei aber unter natürlichen Bedingungen nicht lebensfähig. Der Weltverband des Biolandbaus IFOAM hat die CMS-Technik verboten. Gesetz hinkt den Züchtern hinterher Ob die Konsumenten künftig besser über neue Züchtungsmethoden informiert werden müssen, klärt derzeit auch der Bund ab. Das Bundesamt für Umwelt analysiert zwanzig neue Züchtungsmethoden, von denen einige in wenigen Jahren auf den Markt kommen könnten. Das Problem: Das Gesetz hinkt den wissenschaftlichen Möglichkeiten hinterher. Bei vielen dieser Methoden wird zwar Gentechnik bei der Züchtung eingesetzt, sie lässt sich jedoch beim Gemüse im Laden nicht mehr nachweisen. Das Bundesamt für Umwelt prüft derzeit, welche dieser Methoden als Gentechnik klassifiziert werden müssen, damit Konsumenten auch wirklich die Wahlfreiheit haben. Auf die Frage, ob CMS auch künftig nicht deklariert werden muss, sagt Bettina Hitzfeld vom Bundesamt für Umwelt im Interview mit «Kassensturz»: «Zum jetzigen Zeitpunkt ist das so: Aber wir werden den Prozess abwarten, wie die unterschiedlichen Techniken dann eingestuft werden.» Auch eine Neubeurteilung von CMS als Gentechnik ist offensichtlich nicht ausgeschlossen. Was ist CMS? Das Kürzel steht für Cytoplasmatische Männliche Sterilität, eine Eigenschaft, welche die Fortpflanzung beeinflusst. CMS ist bei vielen Gemüse-Sorten durch Mutation natürlich entstanden. Nicht jedoch bei Kohlgemüse wie Broccoli oder Blumenkohl. Die im Labor erzeugte CMS beim Broccoli bewirkt, dass die Broccoli-Pflanzen keine Pollen ausbilden. (Text: Kassensturz vom 2.9.2014. Volltext: http://www.srf.ch/konsum/themen/konsum/ schweizer-gemuese-aus-gen-labor-konsument-hat-keine-wahl) | ||