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Backwaren & Confiserie: Report
Backwaren & Confiserie
Gewerbliche kontra industrielle Glace-Qualität

Wie unterscheidet sich gewerblich und industriell hergestellte Glace bezüglich Herstellung und Rezepte? Glaceexperte Patrick Bürgisser gibt eine Übersicht über die Macharten, Qualitäts- und Sortenunterschiede.




Extravagante Glace-Kreationen wecken Neugier wie diese Entenleber-Glace vom Patissier-Weltmeister Rolf Mürner am CCA-Stand der ZAGG 2010.


Industrieprodukte haben bei Gourmets nicht das beste Image, aber sie werden im Massen beim Grossverteiler verkauft, denn sie bieten ein gutes Preis-Leistungsverhältnis. Handwerksprodukte dagegen gelten als exklusivere und teurere Gourmetprodukte. Soweit die Vorurteile. In Wirklichkeit besteht heute in den meisten Branchen ein qualitatives Kopf-an-Kopf-Rennen, so auch in der Glacebranche. Patrick Bürgisser, Glaceexperte und Dozent für Lebensmitteltechnologie und Sensorik an der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft SHL in Zollikofen BE gibt eine Übersicht:

Die Rezepturen, die Zutaten und das Aussehen aber auch die Machart der industriellen Glace hängt im Wesentlichen von der Preispositionierung ab. Produkte im tieferen Preissegment bestehen meist nur aus einem Mix und haben in den wenigsten Fällen Stückchen oder Saucen beigemischt.

Je höher der Preis im Laden, desto mehr Komplexität und sensorische Erlebnisse werden denn auch von den Konsumenten erwartet. So werden in den höheren Preissegmenten auch aus industrieller Fabrikation vielfach (im Rahmen der Möglichkeiten) kulinarische Meisterwerke auf den Markt gebracht (z.Bsp. Mövenpick of Switzerland, Häagen Dazs aber auch weitere Markenprodukte).



Champagner-Sorbet von Mövenpick


Bei industriellen Rezepten wird auf ein möglichst hohes Preisleistungsverhältnis geachtet. In den meisten industriellen Betrieben sind die Rezepte und die Verfahren denn auch hinsichtlich Kosten optimiert worden. So wird einerseits versucht bei den Grundzutaten auf möglichst günstige und standardisierte Rohstoffe zurückzugreifen und andererseits bieten dann vor allem sichtbare Zutaten wie Stückchen, Rippelsaucen, aber auch Aromen und Dekorationen Raum zur Profilierung. Je nach Marke und Preispositionierung lassen sich die Hersteller diese Art von Differenzierung auch etwas kosten.

Da im industriellen Herstellungsprozess die Mixbereitung meist zweistufig ist (Mischen-Reifen sowie Aromatisieren), basieren viele Rezepte auf sogenannten Grundmixen, woraus dann je nach Produktionsprogramm bspw. entweder Vanille-, Schokoladen- oder Moccaglace entsteht. Damit lässt sich viel Komplexität in der Fabrik einsparen, und der Produktionsplaner hat erst noch bis quasi zur letzten Minute die Möglichkeit das Aroma je nach Nachfrage zu ändern.


Vollautomatische und kontinuierliche Pralinato-Lutscherproduktion bei Frisco-Findus in Rorschach, einer Nestlé-Tochter


Eine typische Charaktereigenschaft für industrielle Glace ist auch der sogenannte Aufschlag (Luftanteil pro Volumen). Die meisten industriellen Glaceprodukte in der Schweiz haben einen Aufschlag von rund 100%, d.h. dass in einem Liter Glace ein halber Liter Luft enthalten ist, oder mit anderen Worten wiegt ein Liter Glace etwa 500g. Die Luft ist essentiell für das Abschmelzverhalten und die Cremigkeit. Häagen Dasz geht hier bewusst den Weg eines möglichst geringen Aufschlages und positioniert sich hier eher bei den artisanalen Produkten.

Des weitern müssen die Rezepte für die Produktion grosser Mengen garantiert maschinengängig sein, da während des Produktionsbetriebs kaum Zeit und Raum besteht, grundlegend in den Prozess einzugreifen. Dazu nötig ist ein ausgefeiltes, auf die Rezeptur (bzw. den Grundmix) abgestimmtes, optimiertes Stabilisierungssystem, das den kontinuierlichen Herstellprozess begünstigt. Nachdem die Glace in den Behälter eingefüllt ist, härtet man sie im Schockfroster. Dies führt somit zur Bildung kleiner Eiskristalle, was eine wichtige Voraussetzung für die optimale Cremigkeit ist.

Industrielle Produkte sind meist Standardsorten, und es gibt aus Gründen der Skaleneffekte nur wenig Ausserordentliches. Zwar wurden in den letzten Jahren neue Konsumbedürfnisse durch neue Produktelinien (z.B. Joghurtglace, Sorbet, Limited Editions, usw.) abgedeckt – 70% bis 80% des Umsatzes werden jedoch nach wie vor mit Vanille-, Schokoladen- und Erdbeerglace gemacht! Die Preise reichen je nach Marke und Spezialität von ca. 2.- bis 20.- CHF/Liter. Wenn die Kühlkette einwandfrei eingehalten wird, sind industrielle Produkte mindestens 1 bis max. 2 Jahre haltbar.



Gewerbliche Glaceproduktion, hier in der Bäckerei Wehren in Schönried BE.


Im Gewerbe werden die Rezepte meistens von Grund auf aufgebaut, oder man arbeitet mit einem Trockenfertigmix. Beide Verfahren ermöglichen vielfältige Kombinationsmöglichkeiten mit hoher Komplexität, indem Stückchen, Saucen oder auch Doppelmixe und Dekorationen verarbeitet werden. Artisanale Rezepturen haben in aller Regel einen eher tiefen Aufschlag und im Gegensatz zur Industrie, sind diese Produkte nicht ausgehärtet. Das heisst, sie bleiben über eine gewisse Zeit weich, formbar und geschmeidig (vergleichbar mit Soft-Ice). Produziert wird in Batches und pro Durchgang werden kleine bzw. Kleinst-Mengen hergestellt.

Beim Produktionsprozess kann der Glacier aufgrund des Batch-Verfahrens und der kleinen Menge besser manuell eingreifen. Gewerbliche Produkte umfassen Standardsorten, viele Spezialitäten, viel Experimentelles und zuweilen auch einige Ferienerinnerungsprodukte. Im Gegensatz zu den industriell hergestellten Produkten haben die artisanalen eine geringere Haltbarkeit, da sie nicht gehärtet sind und die meiste Zeit bei Licht und nicht sehr tiefen Temperaturen in der Schöpftheke bleiben. (Text: Patrick Bürgisser)



Patrick Bürgisser
Dipl. Lebensmittelingenieur ETH; Dipl. Wirtschaftsingenieur FH, Dozent Lebensmitteltechnologie an der Abteilung Food Science and Management


Patrick Bürgisser – zur Person:

Werdegang

2002 - 2003 Studium der Betriebswirtschaftslehre im Nachdiplom an der Privaten Hochschule für Wirtschaft Bern, Vertiefung in Unternehmensführung

1988 - 1994 Studium der Lebensmittelwissenschaften an der ETH Zürich, Vertiefung in Lebensmittelverfahrenstechnik

Berufliche Tätigkeiten:

Seit 2009 Dozent für Lebensmitteltechnologie an der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft, Studiengang Food Science & Management

2007 - 2009 Leiter Entwicklung und Qualitätsmanagement; Mitglied der Geschäftsleitung – Wernli AG, Trimbach

2001 - 2007 Leiter Entwicklung und Qualitätsmanagement; ab 2003: Mitglied der Divisionsleitung – Mövenpick Ice Cream (Division von Nestlé Schweiz AG)

1997 - 2001 Leiter Produktentwicklung – Hero Schweiz AG

1994 - 1997 Organisationsberater bei CSB – System AG (Software Systeme für die Lebensmittelindustrie)

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