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Backwaren & Confiserie
Trend zu natürlichen Farbstoffen

Für Lebensmittel mit Azofarbstoffen ist in der EU seit 20.7.2010 ein Warnhinweis nötig. Die Wissenschafter sind sich zwar nicht einig, ob dies sinnvoll ist, und in der Schweiz ist der Warnhineis vorerst nicht obligatorisch. Aber Coop und Migros gehen einen Schritt weiter und verbannen Produkte mit Azofarbstoffe aus den Regalen. So oder so: Während der letzten zehn Jahre besteht in Europa eine deutliche Tendenz zu natürlichen Farbstoffen oder färbenden Zutaten. Ein Statusbericht in zwei Teilen. (Teil 1)



Seit dem 20. Juli 2010 muss in der EU auf Lebensmitteln, welche mit Tartrazin E102, Chinolingelb E104, Gelborange S E110, Azorubin E122, Ponceau 4R E124 und Allurarot AC E129 gefärbt sind, der Warnhinweis "kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen" angebracht werden. Dies trotz der Tatsache, dass die Studie, welche einen solchen Zusammenhang zwischen den Farbstoffen und Hyperaktivität aufzeigen wollte, wissenschaftlich widerlegt ist.

Das Schweizerische Lebensmittelrecht sieht aktuell keinen solchen Warnhinweis vor. Eine solche Anforderung würde den Grundsätzen des Lebensmittelgesetz (LMG; SR 817.0), das auf wissenschaftlicher Evidenz aufbaut, widersprechen. Hingegen begrüsst das Bundesamt für Gesundheit die aktuellen Bestrebungen der Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA), alle bereits zugelassenen Lebensmittelzusatzstoffe erneut einer Risikobeurteilung zu unterziehen.

Druck durch die Grossverteiler

Allerdings: Einige Produzenten haben schon auf freiwilliger Basis damit begonnen, eigene Massnahmen zu ergreifen. Und kürzlich gaben Coop und Migros bekannt, dass sie für ihr Sortiment auf Azofarbstoffe verzichten wollen. Die Migros verabschiedet sich bis ins Jahr 2012 schrittweise von Produkten, die diese Farbstoffe enthalten, sagte Migros-Sprecherin Martina Bosshard. Auch Coop verzichtet bei Eigenmarken auf künstliche Farbstoffe. Laut Coop-Sprecher Nicolas Schmied ist dies bereits bei 98 Prozent der eigenen Produkte der Fall. Den Zulieferern anderer Markenprodukte empfiehlt Coop auf künstliche Farbstoffe zu verzichten.

Wenn beide Grossverteiler Anforderungen an ihre Lieferanten stellen, die über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen, kommt dies einem Parallel-Gesetz gleich, denn wer Coop oder Migros beliefert, ist vor die Wahl gestellt, die Rezepte umzustellen oder als Lieferant auszuscheiden.

Aufwändige Rezeptumstellung

Den Stein ins Rollen gebracht hatten Schweizer Konsumentenschützer. Für sie wäre ein Verbot künstlicher Farbstoffe sinnvoll. «Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb synthetische Farbstoffe eingesetzt würden, solange sie in Verdacht stünden, die Gesundheit zu beeinträchtigen», sagte im Juli Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz. «Die Hersteller könnten auf natürliche Farbstoffe umsteigen». Dies ist leichter gesagt als getan.


Die Umstellung von Rezepten mit künstlichen Azofarbstoffen auf natürliche Lebensmittelfarbstoffe ist keine Kleinigkeit sondern für jede Produktart ein mehr oder weniger grosses Projekt mit aufwändigen Herstellversuchen, sensorischen und Lagertests. Es gibt zwar schon lange natürliche Farbstoffe auf dem Markt, aber mit vielen gravierenden Nachteilen gegenüber den künstlichen:

Natürliche Farbstoffe haben oft dezente pastellfarbige Töne statt intensiv-brilliante.

Natürliche sind oft empfindlich gegenüber dem Milieu wie dem pH-Wert und ändern ihren Farbton bei pH-Verschiebung.

Natürliche sind oft nicht hitzestabil bei der Produktherstellung.

Natürliche erzeugen teilweise einen Nebengeschmack.

Natürlich gefärbte Produkte haben eine viel kürzere Farbstabilität und bleichen vor allem unter Licht- oder Wärmeeinwirkung relativ schnell aus.

Nicht alle Farbtöne lassen sich überhaupt mit natürlichen realisieren.

Auch die natürlcihen Farbstoffe als solche haben eine kürzere Haltbarkeit und müssen kühl gelagert werden.

Nicht zuletzt steigen die Rezeptkosten, da der Kilopreis bei natürlichen höher liegt und ebenso die nötige Dosierung.


Gewerbliche Konditoreien und Confiserien verwenden dank Vorteilen des Handwerks und der kürzeren Produkt-Laufzeit zwar weniger Zusatzstoffe als industrielle, aber bei den Farbstoffen haben auch sie keine einfachen Alternativen. Dies zeigt sich auch darin, dass deren Hauptlieferant Pistor nur künstliche Farbstoffe im Angebot hat (von der Basler Firma Hollinger). «Bisher wurden andere Farbstoffe nicht nachgefragt», sagt Pistor-Sprecherin Karin Achermann. «Es ist aber geplant, Azo-freie Farbstoffe ins Sortiment aufnehmen».

Der Markt reagiert

Auch die Pistor-Eigenmarkenprodukte sind von der Farbstoff-Problematik tangiert. «Fruchtkonfitüren und -gelées am meisten betroffen», so Achermann. «Hier haben unsere Lieferanten bereits damit begonnen, ihr Sortiment sukzessive umzustellen». Und auch bei Pistor ist man sich bewusst: «Zur Zeit fehlt eine für alle Produktgruppen brauchbare Alternative in Form von natürlichen Farbstoffen. Umstellungen sind sehr komplex».

Die Fachschule Richemont «ist im Moment noch an der Evaluation geeigneter, natürlicher Farbstoffe und wird die Resultate im Richemont Fachblatt publizieren», sagt Richemont-Laborleiter Andreas Dossenbach.

Die Vorgeschichte gemäss BAG

Ende 2007 hatten Englische Forscher in Southampton eine Studie bezüglich der Wirkung der genannten Farbstoffe und des Konservierungsmittels Natriumbenzoat auf das Verhalten von Kindern im Alter von 3 beziehungsweise 8/9 Jahren publiziert (McCann et al, 2007[1]). Die Autoren kamen zum Schluss, dass zwischen dem Konsum der verschiedenen Farbstoffe beziehungsweise dem Konservierungsmittel und der Hyperaktivität bei Kindern ein Zusammenhang besteht.

Das BAG und die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) haben die sogenannte Southampton-Studie analysiert. Die Schlussfolgerungen der Studie wurden widerlegt. Es wurden unter anderem die folgenden Punkte kritisiert:

•die Aktivität und Aufmerksamkeit wurde durch teilweise ungeschulte und nicht-neutrale Personen gemessen;

•die Messgrösse global hyperactivity aggregate (GHA, Mass für Hyperaktivität) fasst verschiedene Einzelbewertungen zusammen. Die klinische Bedeutung der Messgrösse GHA ist unklar;

•die Studie lässt keine Aussagen zur Dosis-Wirkungsbeziehung zu (hat die konsumierte Menge einen Einfluss auf die Änderungen im Verhalten?);

•es wurden Mischungen von Farbstoffen verwendet. Aussagen zu möglichen Wirkungen der Einzelsubstanzen sind so nicht möglich.

Die EFSA hat bereits vor 2007 begonnen, alle Lebensmittelfarbstoffe neu zu beurteilen und für die Farbstoffe E104, E110 und E124 die zulässige tägliche Aufnahmemenge (ADI) herabgesetzt. Die Senkung des ADI erfolgte jedoch nicht basierend auf Effekten, wie sie in der Southampton Studie erwähnt wurden, sondern basierend auf klassischen toxischen Effekten, wie sie für viele Substanzen beobachtet werden, wenn sie in hoher Dosierung verabreicht werden. Diese Anpassung des ADI gewisser Farbstoffe wird bei den in Lebensmitteln zugelassenen Höchstmengen berücksichtigt werden und sich somit auf die konsumierte Menge dieser Farbstoffe auswirken.

Situation in der EU

Der Warnhinweis wurde in der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008[2] festgelegt. Seit dem 20. Juli 2010 müssen alle mit den aufgeführten Farbstoffen gefärbten Lebensmittel den Warnhinweis tragen, mit der Ausnahme von Getränken über 1.2 % Alkohol, Farbstoffen zur Kennzeichnung von Fleischerzeugnissen, sowie Stempelaufdrucke und Farbverzierungen auf den Eierschalen. Die Aufmachung des Warnhinweises wird nicht vorgeschrieben. Der Hinweis kann irgendwo auf der Lebensmittelpackung oder -etikette angebracht werden. Es gibt auch keine Vorschriften zur Schriftgrösse der Angaben.

Situation in der Schweiz

Das Schweizerische Lebensmittelrecht sieht aktuell keinen solchen Warnhinweis vor. Eine solche Anforderung würde den Grundsätzen des Lebensmittelgesetz (LMG; SR 817.0), das auf wissenschaftlicher Evidenz aufbaut, widersprechen. Laut LMG müssen Lebensmittel grundsätzlich sicher sein. Sollte ein Farbstoff in der zugelassenen Menge tatsächlich nicht sicher sein, erachtet das BAG einen Warnhinweis als das falsche Mittel. In diesem Fall müsste die akzeptierbare Menge reduziert oder der Farbstoff müsste ganz verboten werden, um den Gesundheitsschutz zu wahren.

Werden die Farbstoffe in einem Produkt verwendet, müssen sie im Verzeichnis der Zutaten deklariert werden. Gemäss Art. 6 der Verordnung über die Kennzeichnung und Anpreisung von Lebensmitteln (LKV; SR 817.022.21) hat diese Deklaration mit der Gattung und mit der Einzelbezeichnung oder E-Nummer zu erfolgen (z.B. Farbstoff (E102) oder Farbstoff (Tartrazin)). So können Personen, die die Farbstoffe meiden möchten, mit einem Blick auf das Verzeichnis der Zutaten erkennen, ob die Farbstoffe verwendet werden oder nicht. Schweizer Lebensmittelproduzenten, die trotz der fehlenden, wissenschaftlichen Evidenz einen Warnhinweis anbringen möchten, dürfen einen solchen aufführen. Auch importierte Ware, welche einen solchen Warnhinweis aufweist, muss für den Schweizer Markt nicht umetikettiert werden. (Text: BAG)

Teil 2 folgt demnächst: Tipps und Erfahrungen beim Umstellen auf natürliche Färbung.

Weiterlesen: Zusatzstoffe in der Konditorei

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