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Saures im Gaumen in Süsses verwandeln

Seit zehn Jahren arbeiten Forscher an der Entschlüsselung der Moleküle, welche die fünf Geschmackstypen hervorrufen: süss, sauer, salzig, bitter und umami (bouillonartig). Das in der Natur vorkommende Miraculin lässt Saures süss erscheinen. Und Biochemie-Firmen entwickeln Glutamat-Alternativen und Bitterblocker. Die grösste Knacknuss ist aber eine vorgetäuschte Salzigkeit.




Die sensorischen Rezeptoren sind weitgehend bekannt. Für die Wahrnehmung von Süssem etwa ist nur ein einziger Rezeptor verantwortlich - ein Eiweiss-Duo namens T1R2 und T1R3, obwohl es eine Vielzahl an Zuckern gibt. Und die Süsswahrnehmung lässt sich manipulieren.






In der Natur gibt es bereits Stoffe, welche den Gaumen täuschen. Das prominenteste Beispiel ist Miraculin. Das Glykoprotein kommt in Beeren des afrikanischen Strauchs Synsepalum dulcificum vor und verwandelt die Sauer-Wahrnehmung ins Gegenteil: Saures schmeckt dann wie Sachharose.

Miraculin selbst ist geschmacklos, doch wenn die Zunge Miraculin ausgesetzt wird, nimmt sie saure Lebensmittel wie Zitrusfrüchte als süss wahr. Wird Miraculin gleichzeitig mit Säuren konsumiert, so braucht es einen Moment, bis sich der Effekt einstellt. Bis das Miraculin wirkt, schmeckt eine Mischung mit Säuren zuerst sauer, nach einer Verzögerung stellt sich dann der süsse Geschmack ein.

Miraculin heftet sich an den Süssrezeptor, löst aber keine Reaktion aus – zumindest nicht bei neutralem pH-Wert, wie japanische Forscher der University of Tokyo im Oktober 2011 berichteten. Isst man aber anschliessend eine saure Speise, verschiebt sich das Milieu im Gaumen in den sauren Bereich – und Miraculin nimmt eine neue Form an. Als Folge aktiviert es den Süssrezeptor.

Miraculin könnte zukünftig als kalorienarmer, für Diabetiker geeigneter Süssstoff genutzt werden. Es wäre der ideale Zusatz für zuckerfreie Konfitüren und andere Fruchtprodukte. Die Herstellung ist derzeit allerdings noch zu teuer. Und ein Nachteil von Miraculin: Der Effekt hält zu lange an. Noch Stunden später schmeckt vieles süss.

Man kann die Miraculin-Wunderbeeren im botanischen Garten der Uni Basel degustieren und erhält Tipps, um den afrikanischen Strauch als Topfpflanze zu kultivieren. Die Website https://botgarten.unibas.ch informiert, bei welchen Lebensmitteln Miraculin wie wirkt:
Äpfel: die Süsse verdoppelt sich.
Bier: schmeckt wie Panaché.
Aus Salzgurken werden Süssgurken.
Erdbeeren: eine Überraschung und eine Wucht. Schon fast kitschig süss.
Grapefruit wird süss und mild wie ganz ausgereifte Orangen.
Mandarinen werden extrem süss, fast schon unangenehm.
Sauerkraut wird zum Süsskraut.
Senf erinnert ein bisschen an süssen Schlagrahm. Die Nase nimmt aber weiterhin die Schärfe wahr.
Zitronen kann man wie süsse Mandarinen essen.
Bei Wasser keine Änderung.



Miraculin-Wunderbeere Synsepalum dulcificum

(Bild: Uni Basel)


Die Lebensmittelbranche sucht auch Zuckerverstärker. Diese schmecken selbst zwar nicht süss, steigern aber die Süsskraft von Zucker über einen Mechanismus, der sich mit der Gestalt und Funktion des Süssrezeptors erklären lässt. Dessen aktiver Bereich besitzt die Form einer Venusfliegenfalle. Süss schmeckende Substanzen binden tief in der Falle, die sich daraufhin schliesst und das Süssempfinden auslöst. Zuckerverstärker hingegen docken an einer anderen Stelle an, und zwar so, dass sie die geschlossene Form stabilisieren und dadurch den Zuckergeschmack steigern.

Die Firma Senomyx in San Diego sucht neue Lebensmittelzusätze und entwickelte mehrere Zuckerverstärker, die kalorienarme Speisen und Getränke ohne unangenehme Geschmacksnoten möglich machen, die bei Süssstoffen oft auftreten. Sie kooperiert mit dem Aromenhersteller Firmenich sowie mit Pepsico. Einer der beiden Partner werde vermutlich Mitte 2015 ein Produkt mit einem neuen Süssverstärker auf den Markt bringen, kündigte Senomyx-Geschäftsführer John Poyhonen an.

Alternative zu Glutamat

Gesucht wird ferner nach Alternativen zu dem in Verruf geratenen Geschmacksverstärker Natriumglutamat, der den Umami-Rezeptor aktiviert. Der Trend zu vegetarischer Ernährung treibt die Suche nach solchen Stoffen an. Sie sollen Sojawurst und anderem Fleischersatz ein herzhaftes Aroma verleihen.

Umami wird wahrgenommen, wenn die Eiweissbausteine T1R1 und T1R3 an den Rezeptoren andocken. Darüber hinaus wird die Intensität des Umami-Geschmacks von Glutaminsäure durch die Purine Inosinmonophosphat (IMP) und Guanosinmonophosphat (GMP) erheblich verstärkt, was auch durch Zugabe ihrer Salze (vor allem Dinatriumguanosinat und Dinatriuminosinat) erreicht werden kann.

Viele Lebensmittel, unter anderem reife und insbesondere getrocknete Tomaten, Käse (bei Parmesan bis zu 7 % Glutaminsäure), Muttermilch, Sojasauce und Fischsauce, enthalten schon von Natur aus relativ hohe Anteile von Glutamat. Da Glutaminsäure eine der 21 Aminosäuren ist, aus denen Proteine gebildet werden, ist sie in jedem eiweisshaltigen Lebensmittel enthalten.

Homocysteinsäure, Cystein-S-sulfonsäure und Ibotensäure haben eine ähnliche Wirkung wie Glutamat. Tricholomasäure (in den Pilzen Tricholoma muscarium natürlich vorkommend) gehört ebenfalls zu den Geschmacksverstärkern. In der industriellen Lebensmittelherstellung wird besonders häufig Mononatriumglutamat (E 621) eingesetzt. Die stärkste Wirkung wird bei Mischungen mit 95 % Glutamat und 5 % Guanylat oder Inosinat erzielt.


Die fünf Geschmackstypen oder vielleicht sogar sechs. Notabene: Schärfe (zB durch Capsaicin, dem Chilischarfstoff) ist kein Geschmackstyp sondern eine Schmerzempfindung. Fett hingegen könnte als Geschmackstyp gelten: es wirkt im Gaumen nicht nur via Cremigkeit auf den Tatsinn oder indirekt via Aromen in der Nase. Es gibt Rezeptoren für Fettsäuren, und diese entstehen mithilfe von Speichellipasen bei fetthaltigen Speisen.


Senomyx hat zwei Glutamat-Alternativen im Programm. Die Firma Imax Discovery in Dortmund hat ebenfalls zwei Umami-Geschmackstoffe identifiziert, die in zwei Jahren marktreif sein dürften, wie der Geschäftsführer Thomas Henkel erläutert.

Die grösste Knacknuss: Salz-Modulatoren

Nicht so gut steht es um Stoffe, die dem Hirn Salzigkeit vorgaukeln sollen. Eine Arbeitsgruppe am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (Dife) hat etwa die Aminosäure Arginin als Salz-Verstärker ausfindig gemacht. Damit Salzarmes nicht fad schmeckt, müssen sie jedoch in grossen Mengen beigemischt werden. Auch das beeinträchtigt das Gesamtroma.

Sowohl Senomyx als auch Imax Discovery beginnen mit der Suche nach sogenannten Modulatoren, die den Salzgehalt in Lebensmitteln ohne Geschmackseinbusse reduzieren. Ziel ist, das Risiko für Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Leiden zu senken.

Die Suche nach Salzverstärkern steckt allerdings noch in den Kinderschuhen, auch weil der menschliche Salzrezeptor noch nicht endgültig verstanden ist. Salzgeschmack wird vorrangig über einen Ionenkanal vermittelt, der Natriumionen leitet. Substanzen, die den Natriumfluss steigern, verstärken die Salzempfindung.

Dife-Forscher haben sowohl in Geschmackstests als auch in In-vitro-Versuchen mit Froschzellen, die den gleichen Natriumkanal bilden, mehrere Salzverstärker getestet, darunter Aminosäuren und verwandte Verbindungen. Ihre Wirkung müsse für den Einsatz in Lebensmitteln aber noch verbessert werden, räumt der Dife-Forscher Maik Behrens ein.

135 Rezeptoren für Bitterkeit

Auf Bitterstoffe reagieren hingegen viele verschiedene Rezeptor-Typen. "Mit den rund 135 Rezeptorvariationen kann der Mensch über 1000 verschiedene Bitterstoffe, die in der Natur vorkommen, erkennen", sagt Wolfgang Meyerhof, Biochemiker am Dife.

Gemeinsam mit dem Biotechnologen Jay Slack von der Firma Givaudan Flavors Corporation hat der Potsdamer Wissenschaftler einen anderen vielversprechenden Stoff aufgetan und kürzlich im Fachblatt Current Biology vorgestellt: 4-(2,2,3-trimethylcyclopentyl)-Buttersäure blockt effektiv den Bittergeschmack von Süssstoffen wie Saccharin, und zwar ohne deren Süssgeschmack negativ zu verändern. "Dies ist der erste spezifische Bitterblocker", sagt Slack. Er könnte den Geschmack von künstlich gesüssten Produkten verbessern. (Infos: Dife, Uni Basel, Süddeutsche, NZZ, Wikipedia)

Weiterlesen: Ist Fett als 6. Geschmackstyp wahrnehmbar?

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