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23.2.2010 Folgen des Billigst-Trends Das Schlaraffenland (1569) vom holländischen Renaissance-Maler Pieter Brueghel Man könnte sich im Schlaraffenland wähnen. Zwar fliegen den Konsumenten noch nicht die gebratenen Tauben in den Mund, und doch scheint das nur eine Frage der Aerodynamik. Tatsache ist, dass die Auswahl an Lebensmitteln in Supermärkten schier unüberschaubar geworden ist, die Lebensmittelpreise so niedrig sind wie selten und nur zu 11 Prozent des Einkommens für Nahrungsmittel ausgegeben werden müssen. Das war auch einmal anders. Mitte der Sechziger Jahre mussten noch satte 40 Prozent fürs tägliche Essen und Trinken ausgegeben werden, von der damalig sehr eingeschränkten Sortimentsvielfalt einmal ganz zu schweigen. "Verbraucherherz, was willst Du mehr", möchte man fast unentwegt beim bewussten Einkauf ausrufen. Und doch lohnt sich eine nähere Betrachtung, denn dabei muss doch irgendeiner oder irgendetwas auf der Strecke bleiben. Die Skepsis ist angebracht. Das sah man schon an den Protesten der Milchbauern im Sommer 2009, die pressewirksam lieber ihre Milch in den Ausguss gossen, als sie für einen Preis zu verkaufen, der weit unter den Produktionskosten liegt. Auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin wurde vor allem der Preisverfall für die Produzenten von Nahrungsmitteln beklagt. "Wer Lebensmittel nur über den Preis kauft, der untergräbt langfristige, ehrliche Qualitätsarbeit", stellte zum Beispiel Gerd Sonnleitner fest, Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV). Verbrauchern sei das Gefühl für angemessene Nahrungsmittelpreise teils verloren gegangen. Auch Jürgen Abraham, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) beklagte den Preisverfall. Zwar erzielte die Ernährungsindustrie 2009 einen Umsatz von stattlichen 149,8 Mrd. Euro, was aber gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 6,5 Mrd. Euro bedeutet. Allerdings wurden auf der weltgrössten Verbraucherschau für Landwirtschaft und Ernährung wenig rosige Zukunftsszenarien ausgemalt. So warnten alle Beteiligten vor langfristigen Qualitätseinbussen bei Lebensmitteln, wenn die Preisspirale sich weiter nach unten dreht. Bundesernährungsministerin Ilse Aigner betonte: "Wenn nur noch der niedrigste Preis regiert, geht das nicht nur zu Lasten der Landwirte sondern auch früher oder später zu Lasten der Qualität und damit der Verbraucher". Ist also der Verbraucher daran Schuld, wenn es immer weniger Bauern gibt und bald vielleicht auch weniger gute Lebensmittel? Oder andersherum gefragt: Was macht der Verbraucher, wenn die Lebensmittelpreise steigen? Das war zuletzt im Frühjahr 2008 der Fall und eine Umfrage ergab eindeutig, dass man dann lieber zum Discounter geht, um Geld zu sparen. Und genau auf die Handelskonzerne scheinen sich alle anderen Beteiligten nun als Schuldige eingeschossen zu haben. So findet DBV-Präsident Sonnleitner, dass die zwölf Preissenkungsrunden der Lebensmitteldiscounter im vergangenen Jahr der gesamten Wertschöpfungskette geschadet haben und sieht ein "ungleiches Kräfteverhältnis zwischen Lebensmitteleinzelhandel, Ernährungsindustrie und Bauern". Er fordert politische Werkzeuge, um die Preise nicht nur für die fünf grössten Handelskonzerne sondern auch für die Betriebe transparent zu machen. Ideelle Unterstützung gibt es aus den Reihen der Bundesregierung. Bundesministerin Aigner sieht die Preise zwar gegenwärtig wieder etwas anziehen, beobachtet aber auch den "zum Teil immer rücksichtsloseren Wettbewerb der grossen Discounter" mit wachsender Besorgnis. Bild: Lidl-Supermarkt. Ein anschauliches Beispiel für Preisverhandlungen mit dem Lebensmitteleinzelhandel gab BVE-Vorsitzender Abraham: "Schlagen Sie mal dem Lebensmitteleinzelhandel vor, dass das Produkt zehn Prozent mehr kosten soll. Davon bekäme dann jeder je fünf Prozent mehr. Da ernten Sie ein homerisches Gelächter und Sie haben Glück wenn Sie weiterhin am Tisch sitzen bleiben dürfen". (Text: aid) | |