Food aktuell
Varia
20.6.2010
Wissenswertes: Agrar-Freihandel Schweiz-EU

Der Bundesrat strebt einen Agrarfreihandel mit der EU an, der auch die vor- und nachgelagerten Stufen umfasst. Wie der Name sagt, geht es dabei um den freien Handel, nicht jedoch um die Übernahme der Agrarpolitik der EU oder gar den Beitritt zur europäischen Währungsunion oder der EU.


Der freie Handel wird derzeit durch verschiedene Zölle, Kontingente und Exportsubventionen behindert (tarifäre Massnahmen), sowie durch diverse Vorschriften die die Herstellung, Kennzeichnung, Zulassung etc. betreffen (nicht-tarifäre Massnahmen). Die Handelsbeschränkungen finden auf beiden Seiten statt, also sowohl in der EU als auch in der Schweiz. Beim Agrarfreihandel sollen die tarifären Handelshemmnisse auf allen Stufen abgebaut werden, Exportsubventionen würden sofort gestrichen, für Zölle und Kontingente sollen bei "sensiblen Produkten" wie Milch, Fleisch, Getreide, Ölsaaten, Gemüse und einheimische Früchte, Übergangsfristen ausgehandelt werden.

Auch der Abbau der nicht-tarifären Handelshemmnisse wird "angestrebt", also eine umfassende Angleichung der Schweizer Gesetzgebung. Das betrifft das gesamte Lebensmittelrecht, aber auch Vorschriften über Tiergesundheit, Vermarktungsnormen, Pflanzenschutzmittel, Dünger, Futtermittel und Sortenschutz. In sensiblen Bereichen müssten Sonderregelungen gefunden werden, etwa bei der Marktzulassung genetisch veränderter Organismen, bei den Herkunftsbezeichnungen oder beim Tierschutz. Es sind derzeit vor allem die nicht-tarifären Massnahmen, welche die Verhandlungen kompliziert machen.

Gleich lange Spiesse?

Innerhalb der EU wird die Landwirtschaft auf verschiedenste Art und Weise unterstützt. Die Beiträge und Massnahmen variieren von Land zu Land und oft auch von Region zu Region. Sie verändern sich zudem oft, allein in den letzten zehn Jahren wurde die Agrarpolitik der EU viermal reformiert. Es ist deshalb ausgesprochen schwierig, die Auswirkungen der verschiedensten Massnahmen detailliert zu erfassen. Noch viel schwieriger dürfte es sein, in der Schweiz "gleich lange Spiesse" einzuführen. Selbst dann blieben noch Unterschiede zwischen der Schweiz und der EU:

• Die Kaufkraft in der Schweiz wird weiterhin hoch bleiben (der gesamte Dienstleistungsbereich wie Banken, Versicherungen etc. wird vom Freihandel ja nicht tangiert)
• damit wird auch das Kostenumfeld in der Schweiz hoch bleiben (Schweizer Bauern-familien werden nach wie vor mehr Geld brauchen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, als EU-Bauern)
• die Grössenverhältnisse der Betriebe, aber auch der Verarbeitungsindustrie werden trotz Freihandel kaum je europäischen Dimensionen erreichen
• der Wechselkurs des Euros bleibt weiterhin bestehen, und damit ein Faktor, der den Exporterfolg wesentlich mitbeeinflusst

Nicht so schnell wie gedacht...

Die EU und die Schweiz verhandeln seit Ende 2008 über eine weitere Liberalisierung im Agrar- und Lebensmittelbereich. Ursprünglich war vorgesehen, die Verhandlungen bis Mitte dieses Jahr abzuschliessen und die Botschaft zum Freihandelsabkommen Anfangs 2011 vorzulegen, so dass Mitte 2011 die parlamentarischer Beratungen hätte beginnen können. Allerdings ist schon heute heute klar, dass dieser Zeitplan nicht eingehalten werden kann, die Verhandlungen werden mindestens noch das ganze Jahr dauern. Dass Bundesrätin Doris Leuthard im Wahljahr eine Botschaft zum Freihandel vorlegt, gilt als eher unwahrscheinlich. Somit wird das Freihandelsabkommen wohl kaum, wie ursprünglich vorgesehen, schon im Jahr 2013 in Kraft treten. Ganz abgesehen davon, dass ein Referendum dagegen erwartet werden muss.


In ganz Europa gehen immer wieder Bauern auf die Strasse um gegen die fallende Preise als Folge der Liberaliserung und des globalen Handels zu demonstrieren. (ICSA)

Je länger die Welthandelsorganisation WTO existiert, desto länger werden die Verhandlungsrunden. Seit 2001 diskutieren die 123 Mitgliedstaaten der WTO in der so genannten Doha-Entwicklungsrunde über die weitere Senkung von Zöllen, bisher erfolglos. Mehrere Länder, vor allem die USA, aber auch die EU, waren nicht bereit, die Zölle und Subventionen im Agrarbereich auf das gewünschte Mass zu senken. Auf der anderen Seite wollten vor allem Indien und Brasilien keine weitergehenden Eingeständnisse bei der Öffnung ihrer Märkte für Industrieprodukte machen. In den letzten sieben Jahren ist die WTO-Verhandlungsrunde nicht mehr wesentlich vorangekommen.

Nach wie vor hat die EU besonders bei tierischen Produkten einen namhaften Grenzschutz. Der Abbau handelsverzerrender Subventionen im Bereich der Landwirtschaft, wie er in der Doha-Runde gemäss Stand vom Juli 2008 vorgesehen ist, bewegt sich für die EU in der Höhe von 23 Milliarden Euro (für die USA wären es 14,5 Mrd. Euro). Für die europäischen Bauern ist deshalb klar, dass ein Abschluss der Doha-Runde bedeutet, dass sich die EU-Agrarpreise an die Weltmarktpreise annähern werden.

Fortlaufende Liberalisierung

Neben der WTO-Runde stehen auch bei der EU weitere Freihandelsabkommen an. Vor allem die Handelsbeziehungen mit den benachbarten Mittelmeerländern Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Marokko, Syrien, Tunesien, die Palästinensische Behörde und der Türkei sollen vorangetrieben werden. Die "Europa-Mittelmeer-Partnerschaft" wurde im November 1995 in Barcelona ins Leben gerufen. Ursprünglich sollte diese euromediterrane Freihandelszone ab 2010 gelten. Doch die Verhandlungen harzen. Die europäischen Gemüsebauern wehren sich dagegen, denn sie müssten dann mit Gemüsepreisen aus dem Maghreb konkurrieren. Von den Auswirkungen dieser Freihandelszonen wäre übrigens auch die Schweiz betroffen, falls sie einem Agrarfreihandel mit der EU zustimmt. Denn dann müsste die Schweiz diesen Drittstaaten die gleichen Bedingungen gewähren wie ihrem Vertragspartner EU.

Noch grösser ist die Idee der Pan-Euro-Med-Kumulierungszone: Ein zollfreier Handelsraum mit einheitlichen Ursprungsregeln für die Handelspartner aus Ägypten, Algerien, Färöer, Island, Israel, Jordanien, Libanon, Marokko, Norwegen, Schweiz, Liechtenstein, Syrien, Tunesien, Türkei, Westjordanland und Gazastreifen. Jedes Land soll – so die Idee – seine Ursprungserzeugnisse in jedes beliebige andere Mitgliedsland zollfrei einführen können.

Als Ursprungserzeugnisse gelten nicht nur Waren, die ihre Herkunft einem der Mitgliedsländer verdanken, sondern auch Waren, die in einem oder mehreren beteiligten Ländern be- oder verarbeitet werden. Konkret könnte also ein Produkt aus marokkanischen Rohstoffen mit der Herkunftsbezeichnung EU vermarktet werden, wenn es in Italien verarbeitet wurde. Noch ist es nicht so weit, denn erst einmal müssten alle teilnehmenden Länder die Pan-Euro-Med-Protokolle für gültig erklären. Und das ist derzeit nicht der Fall.

Unilaterale, bilaterale und sonstige Abkommen

Daneben treibt die EU diverse uni- und bilaterale Abkommen voran. Erst kürzlich hat sie ein Abkommen mit Südkorea unterzeichnet, welches für die Landwirtschaft zwar keine grosse Bedeutung haben wird, die europäische Autoindustrie jedoch in Not bringen könnte. Ein Handelsabkommen mit der gesamten Andengemeinschaft kam nicht zustande, nachdem sich die linksgerichteten Regierungen von Ecuador und Bolivien wegen der offensiven Forderungen der EU aus den Verhandlungen zurückzogen. Dafür setzt die EU die Verhandlungen mit Kolumbien und Peru fort.

Wieder aufgenommen werden sollen auch die Verhandlungen mit den südamerikanischen Mercosur-Ländern Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Das bedeutet vor allem für die Rinder-, Schweine- und Geflügelproduzenten der EU massiven Druck, denn mit den südamerikanischen Fleischpreisen können sie nicht annähernd mithalten. Der europäische Bauernverband Copa-Cogeca warnt bereits davor, dass das Abkommen rund 25 Millionen Arbeitsplätze in der EU bedroht.

Im Osten steht die EU die "Östliche Partnerschaft” mit den Ländern Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, der Republik Moldau und der Ukraine an. Wobei die Kornkammer Ukraine eine Sonderstellung einnimmt: mit ihr führt die EU seit zwei Jahren Gespräche über ein bilaterales Freihandelsabkommen. Die Verhandlungen könnten noch dieses Jahr abgeschlossen werden, der Getreidehandel soll vorerst vom Abkommen nicht betroffen werden. Langfristig gilt die Ukraine mit ihren fruchtbaren Schwarzerdeböden als potenzieller Beitrittskandidat der EU, was die europäischen Getreideproduzenten in Bedrängnis bringen könnte.



Rückblick auf die EU-Entwicklung: Von 6 auf 27 Staaten

Am 1.Januar 1958 trat der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, EWG, in Kraft. Die EWG kümmerte sich – wie der Name sagte – in erster Linie um wirtschaftliche Belange. Mit der Zeit kamen jedoch diverse Aufgaben aus dem Bereich der Sozial-, Umwelt- und Regionalpolitik dazu. So wurde dann am 1992 dann in Maastricht jener Vertrag unterzeichnet, der aus der EWG die Europäische Union, die EU, machte. Die sechs Gründerstaaten Belgien, West-Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande erhielten im Laufe der Jahre Zuwachs: 1973 traten das Vereinigte

Königreich, Irland und Dänemark bei. Die norwegische Regierung wollte damals auch, doch ein Referendum gegen den Beitritt wurde von der Bevölkerung abgelehnt. In den Achtzigerjahren folgten Griechenland, Portugal und Spanien. Mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 vergrösserte sich die Zahl der Bürger innerhalb der Europäischen Gemeinschaft um rund 16 Millionen ehemalige DDR-Bürger. Schweden, Finnland und Österreich wurden 1995 integriert. Norwegen nahm einen zweiten Anlauf, doch auch dieser scheiterte an einem Referendum.

2004 traten acht ehemals kommunistische mittel- und osteuropäische Staaten (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowenien, Slowakei und Ungarn) der EU bei, sowie der im Mittelmeer gelegene Inselstaat Malta und die geografisch zu Asien gehörende Insel Zypern, wobei bei letzterer faktisch nur der griechische Südteil der Insel aufgenommen wurde. 2007 kamen dann noch Rumänien und Bulgarien hinzu. Inzwischen umfasst die Bevölkerung in der EU rund eine halbe Milliarde Menschen. Zu den Anwärtern auf einen Mitgliedsstatus gehören Mazedonien, Kroatien, Türkei und seit letztem Jahr auch Island. Als potenzielle Beitrittskandidaten gelten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro und Serbien.

Neben zahlreichen Erweiterungen gab es auch Verkleinerungen: So war das ursprünglich zu Frankreich gehörende Algerien nach seiner Unabhängigkeit 1962 nicht mehr Teil der EG und auch nicht der EU. Und das zu Dänemark gehörende autonome Grönland trat 1985 nach einem Referendum willentlich aus der Gemeinschaft aus. Die Erweiterung der EU hat beträchtliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Zu den sechs Millionen Bauern in den 15 alten Mitgliedstaaten kamen mit der Erweiterung sieben Millionen Bauern hinzu. Die 12 neueren Mitgliedstaaten vergrösserten die landwirtschaftliche Nutzfläche um 55 Millionen Hektar, also rund 40 Prozent. Allerdings stieg die Produktion nicht in demselben Masse an, sondern nur um 10 bis 20 Prozent – ein untrügliches Zeichen dafür, dass das landwirtschaftliche Produktionspotenzial der neuen Mitgliedstaaten bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist.

Verteilte Macht an der Spitze

Heute prägen drei Organe die EU Politik: • Die EU-Kommission ist das Ausführungsorgan der EU. Sie setzt die Beschlüsse um.
• Der Rat der Europäischen Union, der Ministerrat, vertritt die einzelnen Mitgliedsländer.
• Das Europäische Parlament wird direkt von den Bürgern gewählt und vertritt die Interessen der EU-Bürger.

Die Kommission kann zwar neue Rechtsvorschriften vorschlagen, in den allermeisten Fällen müssen jedoch sowohl das Parlament als auch der Rat zustimmen, wobei in beiden Organen eine qualifizierte Mehrheit erreicht werden muss. Es gilt also stets Konsens zu finden, nur mehrheitsfähige Lösungen haben in der EU eine Chance.

Gemeinsam gegen den Hunger

Die Gründer der EWG hatten den ersten und zweiten Weltkrieg mitgemacht. Sie hatten Krieg und Hunger erlebt und strebten verständlicherweise eine Politik an, die sowohl Frieden als auch die Ernährungsgrundlage sicherstellte. Deshalb lag es auf der Hand, dass sie sich von Anfang an für eine gemeinsame Agrarpolitik einsetzten. Eine Agrarpolitik, die in erster Linie darauf abzielte, die Produktivität zu steigern. In einem ersten Schritt bot die Gemeinsame Agrarpolitik GAP den Bauern jede Menge Produktionsanreize. Es gab Subventionen, Garantiepreise, Investitionshilfen und vieles mehr.

Der Erfolg bliebt nicht aus: Seit den Achtzigerjahren kam es regelmässig zu Überschüssen bei den wichtigsten landwirtschaftlichen Produkten. Grosse Mengen mussten eingelagert werden, oder sie wurden – mit Hilfe von Subventionen – exportiert. Das kostete viel und führte zu Handelsverzerrungen, während gleichzeitig der Umweltschutz auf der Strecke blieb. In den Neunzigerjahren führte man dann erste Produktionsbeschränkungen ein, angefangen bei der Milchquote (analog zur Milchkontingentierung in der Schweiz). Die Anbaufläche wurde begrenzt, die Flächenstilllegung propagiert und extensivere Produktionsmethoden favorisiert.

Parallel dazu besann man sich auf die Entwicklung des ländlichen Raumes. 2003 einigte man sich schliesslich auf eine grundlegende Reform der GAP, mit dem Ziel, die Direktzahlungen produk-tionsunabhängig(er) auszurichten. Seither wurde ein grosser Teil der Direktzahlungen von der Produktion "entkoppelt". Seit 2005 müssen die Bauern auch bestimmte Standards in den Bereichen Umwelt, Lebensmittelrecht, Pflanzenschutz und Tierschutz erfüllen, um überhaupt Direktzahlungen beziehen zu können, sogenannte "Cross Compliance" (was ungefähr so viel heisst wie "Bindung an Auflagen").

Gemeinsame Agrarpolitik hat ihren Preis

Weil die gemeinsame Agrarpolitik mehr als 40 Jahre lang der wichtigste Politikbereich Europas war, ist es nicht verwunderlich, dass er auch einen grossen Teil des EU-Budgets beansprucht, mit 55 Mrd. Euro jährlich ist es sogar beinahe die Hälfte. Das klingt nach viel, weshalb die EU-Kommission stets darauf verweist, dass es gemessen am Brutto-Inlandprodukt BIP erstaunlich wenig ist: nämlich nur 0,5 Prozent. Rechnet man die länderspezifischen Beiträge (9 Mrd. für die Co-Finanzierung der zweiten Säule) noch hinzu, kommt man auf 0,58 Prozent des BIP. Vergleicht man den Betrag mit der Schweiz, so stellt man fest, dass in der Schweiz pro Kopf zwar rund drei Mal mehr für die Landwirtschaft ausgegeben wird, dass die Ausgaben jedoch bezogen auf das BIP sogar leicht tiefer ausfallen: Der landwirtschaftliche Rahmenkredit der Schweiz beansprucht etwa 0,56 Prozent des BIP. (Quelle: LID)

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