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19.10.2010 Swissness-Vorlage: Kampf um Prozente Der Bauernverband ist bei der Swissnessvorlage zu Kompromissen bereit. Seine Vorschläge reichen der Nahrungsmittel-Industrie aber nicht aus. Knackpunkt sind hoch verarbeitete Produkte. Welche Art von Produkt mit der erfolgreichen Marke Schweiz beworben werden darf, hängt von der Definition von «Schweiz» ab, und diese wiederum von wirtschaftlichen Interessen: Verarbeiter betrachten das Knowhow als Schweizer Kompetenz, das sich an der Wertschöpfung messen lässt. Sie möchten bei hoher Inland-Wertschöpfung allenfalls günstigere Rohstoffe importieren und dennoch Swissness ausloben. Ein Beispiel sind Süsswaren, die vor allem aus Importzucker bestehen. Die Bauern dagegen verlangen strengere Kriterien und hoffen, dass sie so als Rohstoff-Lieferanten für Swissnessprodukte einen gesicherten Absatz erhalten. Allerdings könnten die Produktionskosten für Swissnessprodukte so hoch steigen, dass die Hersteller lieber Rohstoffe importieren und auf das Schweiz-Label verzichten. Labels mit Schweiz-Anmutung statt Schweizerkreuz, so etwa «Heidi», könnten eine Alternative werden. (Redaktion) (LID) - Eine Woche vor der Beratung der Swissnessvorlage durch die Rechtskommission des Nationalrates am 14. Oktober wollte der Bauernverband (SBV) seine Position nochmals deutlich machen. Im Grundsatz befürworte man die Vorlage des Bundesrates, wonach Lebensmittel dann als schweizerisch gelten, wenn 80 Prozent des Gewichts der Rohstoffe hiesigen Ursprungs sind. So weit, so bekannt. Die Überraschung kam ganz zum Ende der Ausführungen von SBV-Präsident Hansjörg Walter: "Wir sind bereit, bei hoch verarbeiteten Produkten Kompromisse zu machen, um der Industrie nicht unnötig Steine in den Weg zu legen." Will heissen: Der Bauernverband ist bereit, bei Produkten, die aus vielen, aber keinem dominierenden Rohstoff bestehen – wie etwa Suppen oder Biscuits –, den Gewichtsanteil auf 60 Prozent zu reduzieren, sofern mindestens 60 Prozent der Wertschöpfung in der Schweiz stattfindet.
Im Umkehrschluss heisst das, dass bei wenig verarbeiteten Produkten, wo ein Rohstoff dominiert (etwa bei Milchprodukten), die 80 Prozent Gewichtsregel zur Anwendung käme. Mit diesem Entgegenkommen will der SBV die Vorlage vor einem Scheitern bewahren. Die Verarbeiter reagieren unterschiedlich auf den Vorschlag des SBV. Unterstützung findet er bei gewerblichen Verarbeitungsbetrieben wie etwa der Mosterei Möhl oder der Käserei Züger. Deren Erzeugnisse sind nahe am Naturprodukt, weisen also einen dominierenden Rohstoff auf, womit für ihre Lebensmittel gemäss SBV-Vorschlag die 80 Prozent-Gewichtsregel gelten würde. Der Nahrungsmittelmulti Nestlé begrüsst zwar den Positionswechsel des SBV. Mediensprecher Philippe Oertlé bezeichnet dessen Vorschlag aber lediglich als Schritt in die richtige Richtung, als Basis für einen Kompromiss, den es aber noch zu finden gelte. Hoch verarbeitete Produkte Auch für die Föderation der Nahrungsmittel-Industrie (Fial) reicht der SBV-Vorschlag nicht aus. Zwar könne man sich bei den wenig verarbeiteten Produkten durchaus die Anwendung des 80 Prozent-Gewichtkriteriums vorstellen, wie sie der SBV vorschlägt, erklärt Franz U. Schmid, Co-Geschäftsführer der Fial. Doch bei den hoch verarbeiteten Produkten gehen die Meinungen weit auseinander. "Wir halten an unserer Forderung fest, dass hoch verarbeitete Produkte dann als schweizerisch gelten, wenn entweder 60 Prozent der Rohstoffe aus der Schweiz sind oder aber 60 Prozent der Wertschöpfung in der Schweiz stattfinden", erklärt Schmid. Walter bezeichnet diese Forderung der Verarbeiter aber als "absolut inakzeptabel". Er will nicht 60 ODER 60, sondern 60 UND 60. Denn reiche das Wertkriterium aus, würden verarbeitete Produkte auch dann als schweizerisch gelten, wenn deren Inhaltsstoffe vollumfänglich aus dem Ausland stammen würden. "Die Landwirtschaft wäre damit von der Wertschöpfung, die sich mit Swissness generieren lässt, vollkommen ausgeschlossen", erklärt Walter.
SBV und Fial haben zwar im Vorfeld der parlamentarischen Beratung Gespräche über allfällige Kompromisse geführt. Einen gemeinsamen Nenner haben sie dabei aber nicht gefunden, die Fronten sind nach wie vor verhärtet. Der Ball liegt derzeit bei der Rechtskommission des Nationalrates. Diese entscheidet möglicherweise am 15. Oktober, eine Subkommission einzusetzen. Das wäre eine Umsetzung eines Vorschlages der Wirtschaftskommission – und ein klares Indiz dafür, dass auch innerhalb der Kommission über die heikle Swissness-Frage alles andere als Konsens herrscht. (Text: LID / Michael Wahl. Bilder und Legenden: foodaktuell.ch) Kommentar des Schweizerischen Gewerbeverbandes sgv Das Ziel der Vorlage, die Marke Schweiz nachhaltig zu schützen, wird vom sgv unterstützt. Es ist sicherzustellen, dass Schweizer Unternehmen im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz nicht diskriminiert werden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass weiterhin flexible Lösungen möglich sind und bestehende Usanzen berücksichtigt werden; so muss das Appenzeller Mostbröckli auch in Zukunft als «schweizerisch» ausgelobt werden können. Die bundesrätliche Vorlage ist nicht KMU-tauglich, sie ist viel zu kompliziert. Mit dem von 50 auf 60 Prozent erhöhten Inlandrohstoff-Erfordernis für Industrieprodukte und den verlangten 80 Prozent bei den verarbeiteten Naturprodukten werden die heutigen Regeln zum Teil deutlich verschärft. Dies hat zur Folge, dass ganze Branchen und viele Unternehmen die heutige «Swissness-Prämie» von bis zu 20 Prozent verlieren und damit gegenüber der ausländischen Konkurrenz benachteiligt werden. Konsequenz: Der Produktionsstandort Schweiz würde geschwächt statt gestärkt, Arbeitsplätze gingen verloren oder würden ins Ausland verlegt. Weiterlesen: Swissness: Vorschlag für Fleischbranche untauglich | |||||||