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11.1.2011 Ursachen des deutschen Dioxin-Skandals Der deutsche Dioxin-Skandal zieht weitere Kreise. Die Wahrscheinlichkeit, dass kontaminierte Eier oder Futtermittel in die Schweiz gelangt sind, ist gering.
Der norddeutsche Fettverarbeiter Harles & Jentzsch steht im Fokus des aktuellen Dioxin-Skandals. Die Firma hat im November und Dezember 2010 bis zu 3‘000 Tonnen Fettmischung, die mit Dioxin verseucht war, an 25 Futtermittelhersteller in ganz Deutschland geliefert. Diese lieferten bis zu 150‘000 Tonnen Tierfutter an Geflügel- und Schweinehalter in zwölf Bundesländern. Die Fettmischung enthielt verbotenerweise Fettsäuren, die als Abfallprodukte aus der Biotreibstoffproduktion stammen und die für die Papierherstellung vorgesehen waren. Ob die gefährlichen Rohstoffe bei Harles & Jentzsch absichtlich oder versehentlich verwertet wurden, ist bis jetzt unklar. Mit Dioxin belastete Eier wurden auch in die Niederlande exportiert und dort zu Mayonnaise und anderen Produkten verarbeit. Solche Produkte wurden auch schon weiterverkauft nach England. Der Imageschaden und der wirtschaftliche Schaden für die deutsche Eier- und Futtermittelwirtschaft ist massiv, die Konsumenten sind verunsichert. Inzwischen sind über 4‘700 Schweine- und Geflügelbetriebe gesperrt, die meisten davon in Niedersachsen. Der Deutsche Bauernverband will die Firma für die Schäden haftbar machen und verlangt für künftige Fälle einen Entschädigungsfonds, der von der Futtermittelbranche gespeist wird. Harles & Jentzsch fiel einem privaten Labor offenbar bereits im März 2010 durch dioxinbelastete Fette auf, die Resultate wurden den Behörden aber nicht mitgeteilt. Unübersichtlicher Fettmarkt Fette braucht es in der Tiernahrung als Energielieferanten. Dafür gibt es zwei Varianten: Reine Fette oder Öle aus Soja oder von Schweinen oder Rindern, oder eben Fettsäuremischungen. Letztere sind sehr viel günstiger, aber riskanter, weil die Herkunft häufig unklar ist. Die Rückverfolgbarkeit bei diesen Mischungen sei praktisch unmöglich, sagt Rudolf Marti, Direktor der Vereinigung Schweizerischer Futtermittelfabrikanten (VSF). Raffinierte Fettsäuremischungen werden auf den internationalen Fettmärkten hin und her verschoben, neu zusammengemischt, verarbeitet und weiterverkauft. Schweiz wohl nicht betroffen Die Schweiz sei mit grosser Wahrscheinlichkeit von dem Dioxin-Skandal nicht betroffen, sagt Marti. Die Mitglieder des VSF mit mehreren Tausend Kunden könnten das Risiko nicht eingehen, Fettsäuremischungen einzusetzen. Auch Peter Stadelmann, Geschäftsführer des Burgdorfer Mischfutterherstellers, betont, man verwende nur reines Sojaöl, Rinderfett und Schweinefett von höchstens drei verschiedenen Lieferanten. Entsprechend gab auch der Eierproduzentenverband GalloSuisse in einer Medienmitteilung Entwarnung: Die Schweizer Eier seien dank einer seriösen Mischfutterindustrie „sauber”. Bei den Bundesbehörden ist man offenbar verunsichert, weil die Informationen aus der EU nicht automatisch fliessen – die Schweiz ist dem EU-Warnsystem für solche Fälle nicht angeschlossen. Der Anschluss ist eines der Ziele eines Agrarfreihandelsabkommens mit der EU. Eva Reinhard, Vizedirektorin beim Bundesamt für Landwirtschaft, erklärte im Schweizer Radio, vorsichtshalber würden die Stichproben bei den Futtermittelkontrollen erhöht. Noch 1600 Betriebe gesperrt In Deutschland konnten 3000 wegen des Dioxin-Skandals gesperrte Bauernhöfe wieder freigegeben werden, weil von ihnen keine Gefahr ausgeht. Rund 1600 Betriebe bleiben aber nach wie vor gesperrt. Laut deutschem Landwirtschaftsministerium könne es erst eine generelle Entwarnung geben, wenn der Fall restlos aufgeklärt ist, wie die Nachrichtenagentur SDA schreibt. Angaben der deutschen Konsumentenschutzorganisation Foodwatch, wonach Pestizidrückstände für die Verseuchung verantwortlich seien, wies das Ministerium als reine Spekulation zurück. Derweil haben mehrere Staaten Massnahmen ergriffen, um den Import von mit Dioxin verseuchten Lebensmitteln zu verhindern. So hat Südkorea die Einfuhr von deutschem Schweinefleisch ausgesetzt und die Slowakei hat ein Verkaufsverbot von deutschem Geflügelfleisch und Eiern ausgesprochen. Italien und Russland kündigten an, die Kontrolle von Fleischimporten zu verschärfen. Die EU-Kommission hat derweil Exportverbote in einer Stellungnahme als übertrieben kritisiert. Von der Dioxin-Belastung der Produkte gehe keine unmittelbare Gefahr aus. Auch Schweinefleisch betroffen Bislang waren nur Eier und Hühnerfleisch tangiert: Heute 11. Januar aber wurden erstmals deutlich überhöhte Dioxin-Werte bei Schweinefleisch festgestellt. Die von Lebensmittelkontrolleuren gemessenen Dioxin-Gehalte lagen 50 Prozent über dem zulässigen Höchstwert, wie die Nachrichtenagentur SDA berichtet. Betroffen ist ein Schweinemäster aus Niedersachsen. Von dessen 536 Tieren müssen nun 140 geschlachtet werden. Die restlichen Schweine werden, sobald sie schlachtreif sind, auf Dioxin getestet. Der Mäster habe das Futter mit Dioxin belastetem Fett, das er aus Schleswig-Holstein bezog, selbst gemischt. In ganz Deutschland sind derzeit 558 Betriebe gesperrt, davon befinden sich 330 in Niedersachsen, 143 in Nordrhein-Westfalen und 62 in Schleswig-Holstein. (Text: LID / Roland Wyss-Aerni)
Fragen und Antworten zu Dioxinen in Lebensmitteln Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung hat Fragen und Antworten zu Dioxinen, gesundheitlichen Risiken und den Höchstgehalten in Lebensmitteln zusammengestellt. Was sind Dioxine? Die Stoffgruppe der Dioxine umfasst chemisch ähnliche Substanzen, die Dibenzo-p-dioxine (PCDD) und Dibenzofurane (PCDF). Allen diesen Substanzen gemeinsam ist eine charakteristische Struktur mit Kohlenstoffringen und daran gebundenen Chloratomen. Insgesamt besteht die Gruppe der Dioxine aus rund 200 Verbindungen, die unterschiedlich zusammengesetzt und daher auch unterschiedlich toxisch sind. Wie entstehen Dioxine? Dioxine werden nicht zu bestimmten Zwecken hergestellt, sondern entstehen als Nebenprodukte vor allem bei Verbrennungsprozessen. Sie können auch bei Waldbränden und Vulkanausbrüchen entstehen. Sie entstehen immer dann, wenn organischer Kohlenstoff in Anwesenheit von Chlor verbrannt wird und Temperaturen von mindestens 300 Grad auftreten. Dioxine haften an Staubpartikeln und verbreiten sich auf diese Weise in der Umwelt. Welche Auswirkungen haben Dioxine auf die Gesundheit? Dioxine sind sehr langlebige Verbindungen. Sie reichern sich im Fettgewebe an und werden so gut wie nicht abgebaut. Als chronische Wirkungen von Dioxinen wurden bei Tierversuchen Störungen der Reproduktionsfunktionen, des Immunsystems, des Nervensystems und des Hormonhaushalts beobachtet. Als empfindlichste Zielorgane gegenüber den Dioxin-Expositionen wurden dabei die Leber und die Schilddrüse identifiziert. Bei einigen Dioxinen geht man davon aus, dass sie das Risiko, an Krebs zu erkranken, erhöhen können. Akute Vergiftungen durch hohe Dioxin-Dosen sind beim Menschen nur nach Industrieunfällen, der Aufnahme hoher Konzentrationen am Arbeitsplatz und nach absichtlichen Vergiftungen beschrieben. Am häufigsten treten dabei als Folge lang anhaltende entzündliche Hautveränderungen auf, die als „Chlorakne“ bezeichnet werden. Veränderungen der klinisch-chemischen Parameter (vor allem ein Anstieg der Konzentrationen an Triglyceriden, Cholesterin und Transaminasen im Blut) weisen auch auf Leberschädigungen bzw. auf Veränderungen im Fettstoffwechsel hin. Bei den bislang gemessenen, vergleichsweise geringen Dioxinkonzentrationen, die sich aktuell in den belasteten Lebensmitteln finden, stehen nicht unmittelbare, sondern langfristige Wirkungen auf die Gesundheit im Vordergrund. Akute Wirkungen in Folge der Dioxinaufnahme über Lebensmittel sind beim Menschen nicht bekannt. Bei der Abschätzung des gesundheitlichen Risikos für den Verbraucher sind neben den Konzentrationen an Dioxinen in Lebensmitteln stets die üblicherweise verzehrten Mengen der jeweiligen Lebensmittel zu berücksichtigen. Über welche Lebensmittel werden Dioxine aufgenommen? Da Dioxine überall in der Umwelt vorkommen, lässt sich ein Übergang in die Nahrungskette nicht vollständig vermeiden. Menschen nehmen Dioxine hauptsächlich über tierische Lebensmittel auf: Fleisch, Fisch, Eier und Milch sowie die daraus hergestellten Produkte. Landwirtschaftliche Nutztiere nehmen sie vor allem mit Bodenpartikeln auf, entweder direkt, zum Beispiel beim Picken, oder wenn die Bodenpartikel am Futter haften. Dioxine reichern sich im Fettgewebe von Tieren an, weshalb die genannten Lebensmittel höhere Gehalte als pflanzliche Lebensmittel aufweisen. Was sind WHO-PCDD/F-TEQ? WHO-PCDD/F-TEQ sind so genannte Toxizitätsäquivalente. Sie weisen den insgesamt 17 toxikologisch wichtigsten Dioxinen und Furanen eine Rangfolge zu. Das System der Toxizitätsäquivalente hat die WHO eingeführt, um der unterschiedlichen Giftigkeit der Stoffgruppe der Dioxine Rechnung zu tragen: Die Giftigkeit der Einzelsubstanzen wird dabei mit der am meisten toxischen Verbindung verglichen, dem 2,3,7,8 -TCDD, besser bekannt als „Seveso-Dioxin“. Durch Multiplikation mit den Toxizitätsäquivalentfaktoren (TEF) werden zunächst die Gehalte der einzelnen Verbindungen als Toxizitätsäquivalente berechnet. Deren Addition ergibt dann die Gesamtkonzentration der Toxizitätsäquivalente (TEQ). Welche Höchstgehalte gibt es? Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eine tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (TDI = tolerable daily intake) festgelegt worden. Dabei handelt es sich um diejenige Menge an Dioxinen, die über die gesamte Lebenszeit pro Tag, ohne spürbare Auswirkungen auf die Gesundheit der Verbraucher, aufgenommen werden kann. Der TDI wurde von der WHO im Jahre 2000 im Bereich von 1 bis 4 Picogramm WHO-PCDD/F-PCB-TEQ pro kg Körpergewicht festgelegt. Ein Picogramm entspricht einem Billionstel (10-12) Gramm. Vom Scientific Committee on Food (SCF) der Europäischen Union (EU) wurde 2001 eine tolerierbare wöchentliche Aufnahme (tolerable weekly intake, TWI) von 14 Picogramm WHO-PCDD/F-PCB-TEQ pro kg Körpergewicht festgelegt. Für ausgewählte Lebensmittel sind in der EU gesetzliche Höchstgehalte festgeschrieben. Die Festlegung der Höchstgehalte orientiert sich im Wesentlichen an der nicht vermeidbaren Belastung der Lebensmittel durch Dioxine aus der Umwelt, der so genannten Hintergrundbelastung. Die Höchstgehalte sind im Anhang, Abschnitt 5, der Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln gelistet. Demnach gilt für Hühnereier und Eiprodukte ein Höchstgehalt von 3,0 Picogramm WHO-PCDD/F-TEQ (Summe aus Dioxinen) pro Gramm Fett, für Fleisch und Fleischerzeugnisse von Geflügel ein Wert von 2,0 Picogramm WHO-PCDD/F-TEQ pro Gramm Fett. (BfR 10. Januar 2011) | ||||||