Food aktuell
Varia
9.3.2011
Mineralölmigration aus Karton: Kommentar der fial


Mineralöl gelangt vom Zeitungsdruck via Altpapier in Karton, der meistens sinnvollerweise einen Recylingpapieranteil enthält.

Das Kantonale Labor Zürich hat vor rund einem Jahr erstmals analytisch nachweisen können, dass Mineralölspuren aus Verpackungskartons in Lebensmittel migrieren. Betroffen sind Trockenprodukte, die in direkten Kontakt mit dem Karton kommen, wie z.B. Reis, Griess, Teigwaren oder Backwaren. Die gefundenen Werte liegen in vielen Fällen deutlich über einem vom JECFA im Jahr 2002 festgelegten provisorischen Grenzwert.

Für eine toxikologische Risikobewertung fehlen noch die erforderlichen Unterlagen. Mögliche Lösungen könnten in einem Verzicht auf die Verwendung von mineralölbasierten Farben im Zeitungsdruck, dem Verzicht auf recycliertes Altpapier zur Herstellung von Kartons oder dem Einbau funktionaler Sperren in der Lebensmittelverpackung liegen. Jede dieser Lösungen hat aber erhebliche ökologische Nachteile.

Die Problematik der Migration von Fremdsubstanzen aus Verpackungsmaterialien in die Lebensmittel ist nicht neu: Wir erinnern uns an die mit Mineralöl besprühten Jutesäcke, in denen Kakao, Kaffee und Nüsse transportiert wurden. Später kamen die BADGE und NODGE Rückstände aus den Dosenbeschichtungen, der Weichmacher ESBO in den Deckelringen von Gläserkonserven und die ITX-Rückstände in Babynahrungen hinzu. Aktuell wird weltweit über die Bisphenol-Problematik (BPA) aus Plastikflaschen diskutiert. Die nun durch die hochentwickelte Analytik des Kantonalen Labors Zürich aufgedeckten Migrationen von Mineralölspuren aus recycliertem Altpapier, bzw. daraus hergestelltem Karton stellt sich in diese Reihe.

Lebensmittelsicherheit versus Ökologie

Karton wird sinnvollerweise aus Altpapier hergestellt. Rund 70 % dieses Altpapiers stammt aus Zeitungen und Druckschriften. Schätzungsweise ein Drittel des hergestellten Kartons wird für die Verpackung von Lebensmitteln, sei es als Primär-, Sekundär- oder Tertiärverpackung verwendet. Eine Lösung des Problems läge in der ausschliesslichen Verwendung von Frischfaserkarton. Damit würde jedoch der Bedarf an Holz, bzw. Cellulose drastisch steigen und das bewährte Recycling des Altpapiers in Frage gestellt.

Eine nach Verwendungszweck des Kartons getrennte Sammlung des Altpapiers wäre wohl auch möglich, aber kaum kurzfristig realisierbar. Der Lösungsansatz "Reinigung des Altpapiers" (sog. "Deinking)" wurde ebenfalls bereits geprüft, aber als wenig erfolgversprechend beurteilt. Denkbar wäre schliesslich ein Verzicht auf mineralölbasierte Druckfarben im Zeitungsdruck, was aber weitreichende und wohl auch kostentreibende Anpassungen bei den Druckmaschinen erfordert.

Funktionale Sperren

Ein zweiter Lösungsansatz liegt bei den Lebensmittelverpackungen selber, indem hier sog. "funktionale Sperren" eingebaut werden. Vor einer Migration schützen aber, wie die Analysen des Kantonalen Labors Zürich überraschenderweise zeigten, nicht einfache Plastikbeutel, z.B. aus Polyethylen. Gefordert sind sauerstoffundurchlässige Materialien, also zum Beispiel ein zusätzlicher Aluminiumbeutel oder eine entsprechende Beschichtung des Kartons. Auch hier stellen sich wiederum ökologische Fragen, sei es bezüglich des Energieverbrauchs (CO2-Ausstoss) oder der Recyclierbarkeit von Verbundpackungen. Der Zielkonflikt zwischen Lebensmittelsicherheit - auf hohem Niveau - und Umweltschutz ist damit vorprogrammiert.

Fehlende Grundlagen für eine Risikobewertung

Bei den in Lebensmitteln nachgewiesenen Rückständen handelt es sich um kurzkettige, flüchtige Kohlenwasserstoffe aus Mineralölen (< C25). Dabei wird unterschieden nach gesättigten Kohlenwasserstoffen (MOSH - mineral oil saturated hydrocarbons) und aromatischen Kohlenwasserstoffen (MOAH - mineral oil aromatic hydrocarbons). Wenn Rückstände in Lebensmitteln nachgewiesen werden, beträgt das Verhältnis von MOSH zu MOAH in der Regel 80 % zu 20 %. In tierexperimentellen Versuchen mit Ratten wurden bezüglich MOSH Ablagerungen im Körper und als Folge davon Entzündungen einzelner Organe festgestellt, allerdings auch nur bei einer Rattenart.

Für eine Übertragung dieser Resultate auf den Menschen sind weitere wissenschaftliche Untersuchungen notwendig. Die gesättigten Kohlenwasserstoffe werden aber nicht als kanzerogen eingestuft. Anders verhält es sich mit den MOAH, die zu den sog. Polyaromaten gehören. Einige - aber nicht alle - dieser Substanzen, wie z.B. das Biphenyl, stehen im Verdacht, krebserregend zu sein.

Toxikologie noch nicht beurteilbar

Eine toxikologische Beurteilung setzt die Quantifizierung dieser Substanzen und vor allem eine Expositionsabschätzung basierend auf den Konsummengen der betroffenen Lebensmittel und der Resorbierbarkeit im menschlichen Körper voraus. Dazu fehlen heute noch die erforderlichen Daten. Fest steht einzig, dass gewisse MOAH kanzerogen sein können. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Deutschland ist deshalb zum Schluss gekommen, dass eine gesundheitliche Bewertung zurzeit nicht möglich ist.

Die Migration von MOSH und MOAH in Lebensmittel ist aber auf jeden Fall unerwünscht, weshalb die betroffenen Industrien über die ganze Kette Massnahmen erarbeiten sollen, mit denen die Migration von Mineralölbestandteilen in Lebensmittel minimiert werden können. Das BAG hat sich in einer Mitteilung vom 11. Februar 2011 dieser Beurteilung angeschlossen (vgl. http://www.bag.admin. ch/themen/lebensmittel/04861/index.html?lang=de#charL)

"Kassensturz" mit reisserischer Schlagzeile

Die Sendung "Kassensturz" von SF DRS hat sich am 8. Februar 2011 des Themas angenommen. Sie hatte 21 Lebensmittel beim Kantonalen Labor Zürich auf Mineralölrückstände untersuchen lassen. Davon wiesen 16 Proben Werte über dem vom JECFA festgelegten provisorischen Grenzwert von 0,6 mg/kg auf. Nach einer an sich fundierten Recherche mit informativen Filmaufnahmen und Interviews mit Exponenten aus der Industrie wurde die Sendung mit der reisserischen Schlagzeile "Krebsgefahr durch Erdöl im Karton" angekündigt. Als Steigbügel diente dem "Kassensturz" ein Nachsatz des Vertreters des Kantonalen Labors Zürich, wonach es in diesen Mineralölen auch Komponenten haben könne, die möglicherweise kanzerogen sind.

SF DRS ging über die Bücher

Auf Intervention der fial distanzierte sich das Kantonale Labor von der Aussage "Krebsgefahr" zumal sich die Analysen auf MOSH bezogen. In der Folge änderte SF DRS den Titel im Internet auf "Gesundheitsgefährdung durch Erdöl im Karton". Die Sendung kann weiterhin eingesehen werden über: http://www.kassensturz.sf.tv/Nachrichten/Archiv/ 2011/02/08/Themen/Konsum/Gesundheitsgefahr-durch-Erdoel-im-Karton

Gesamtheitliche Lösungen sind gefragt

Die Lösung der aufgezeigten Problematik erfordert erneut eine Zusammenarbeit auf allen Stufen, d.h. von den Farbenherstellern über die Druckindustrie, die Kartonherstellung bis zur Lebensmittelindustrie. Im Bereich der Drucktinten, die für die Primärverpackungen von Lebensmitteln verwendet werden, besteht seit dem Jahr 2007 unter Leitung des Schweizerischen Verpackungsinstituts (SVI) eine "Joint Industry Group" (JIG). Diese steht im Kontakt mit dem BAG. Dank der guten Zusammenarbeit zwischen der Industrie und dem BAG hat die Schweiz mit der Ergänzung der Verordnung des EDI über Bedarfsgegenstände schon im Mai 2008 Positivlisten für die zulässigen Drucktinten festgelegt, mit denen nur migrationsarme Ausgangsmaterialien zugelassen werden und strenge Migrationswerte festgelegt sind. Damit ist die Schweiz der EU weit voraus!

Weiteres Vorgehen

Es gilt nun, im Rahmen der JIG und in Zusammenarbeit mit den Behörden auch für die Mineralölrückstände aus Verpackungskartons die bestmöglichen Lösungen zu finden. Da der Markt für Altpapier grenzüberschreitend ist und der von unserer Industrie verwendete Karton - mit Ausnahme des Wellkartons - durchwegs in der EU hergestellt wird, kann das Problem nur auf europäischer Ebene angegangen werden. (Text: fial-Letter Nr1 Februar)

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