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4.5.2011 Wissenswertes und Aktuelles zum Zuckermarkt Weltweit werden etwa 160 Mio. Tonnen Zucker produziert. Rund 45 Mio. davon gelangen auf den freien Weltmarkt. Beinahe vier Fünftel des weltweit produzierten Zuckers wird heute aus Zuckerrohr hergestellt, das ausschliesslich in tropischen und subtropischen Regionen angebaut werden kann. Der Anteil des Rübenzuckers an der Weltproduktion ist stark rückläufig. Während die EU seit der Reform des Zuckermarktes nur noch 14 Millionen Tonnen produziert, hat Brasilien seine Zuckerproduktion in den letzten Jahren verdoppelt. Für viele kleinere Länder der Dritten Welt ist die Zuckerwirtschaft ebenfalls von enormer Bedeutung, z.B. Guyana oder Mauritius. Die Schweiz hat vor drei Jahren die Zollpräferenzen für Zucker aus Brasilien aufgehoben, weil dieser wegen seiner dominanten Marktstellung Zucker aus anderen Entwicklungsländern vom Markt drängt. Weltmarktpreis Der Weltmarktpreis für Zucker entsteht hauptsächlich an den Warenterminbörsen in New York und London. Dort wird nicht mit echtem Zucker gehandelt, sondern mit sogenannten Future-Kontrakten. Das sind Verträge über die Lieferung einer bestimmten Menge, zu einem bestimmten Zeitpunkt und einem bestimmten Preis. Der Weltmarktpreis für Rohzucker schwankt stark, er ist abhängig von tatsächlichen oder vermuteten Einflüssen auf Angebot und Nachfrage. Das sind nicht nur Klima und Wettereinflüsse, welche für Rekord- oder Missernten sorgen können. Sondern auch plötzliche Nachfrage-Änderungen z.B. bei Bioethanol, dem Treibstoff, der aus Zuckerrohr hergestellt wird. Die Nachfrage nach diesem Treibstoff hängt stark vom Ölpreis ab: Ist das Öl teuer, ist Bioethanol gesucht, wenn der Ölpreis sinkt, ist das Gegenteil der Fall. Bild: Zuckerrohr Zucker ist der einzige Agrarrohstoff der Schweiz, der preislich mit der EU konkurrieren kann. Zucker kann ohne Einfuhrbeschränkung importiert werden. Es braucht lediglich eine Generaleinfuhrbewilligung. Der Schweizer Zuckerpreis berechnet sich aus den Angeboten im Ausland franko Schweizer Grenze, plus Prämien und Grenzabgaben. Die Grenzabgaben bestehen aus Zoll, Gebühren und einem Beitrag an die Pflichtlagerhaltung, dem sogenannten Garantiefondsbeitrag. Brasiliens Herrschaft Der Zuckermarkt war im letzen Jahr so volatil wie seit 1970 nicht mehr. Schuld daran dürfte nach Ansicht der FAO unter anderem die wachsende Konzentration bei den Exporteuren gewesen sein. Während die fünf führenden Zuckerexporteure (Brasilien, EU, Thailand, Indien, Australien) zwischen 2005 und 2009 rund 66 % des Welthandels unter sich aufteilten, werden es im Wirtschaftsjahr 2010/11 laut FAO voraussichtlich 74 % sein. Mehr als die Hälfte davon wird allein Brasilien liefern. Bezogen auf den Rohzuckermarkt liefert Brasilien sogar 65 % des Welthandels. Wenn man bei dieser Rechnung auch noch jene Ausfuhren der EU und der USA abzieht, die unter Handelsabkommen erfolgen und damit dem freien Weltmarkt entzogen sind, dann bringt es Brasilien sogar auf 75 % der Rohzuckermenge, die global gehandelt wird! Diese hohe Konzentration auf ein einziges Land ist – wie ein zu hoher Zuckerkonsum – nicht wirklich gesund. Dass Brasilien derzeit fast als einziges Land zum tiefen Weltmarktpreis produzieren kann, hat mehrere Gründe. So können die Zuckerrohrfabriken ihre Anlagen bis zu zehn Monate auslasten – statt wie in der Schweiz nur drei Monate. Monokulturen und ausbeuterisch tiefe Löhne tragen aber mindestens so viel zu den tiefen Produktionskosten bei. Im Nordosten Brasiliens wird teilweise immer noch Regenwald für die Zuckerproduktion abgeholzt. Im Südosten wird auf riesigen ebenen Flächen mit modernen Maschinen und nicht selten dem Geld ausländischer Investoren sehr effizient produziert. Monokultur und die für Zuckerproduktion typischen prekären Arbeits- und Anbaubedingungen herrschen aber auch hier. Der Um- und Ausbau des Zuckersektors wird staatlich gefördert. Immer öfter investieren auch europäische Zuckerhersteller in Brasilien. Verzuckerte Entwicklungshilfe Damit auch die ärmsten Zuckerproduktionsländer des Südens eine Chance auf den Absatz ihres Zuckers in den Exportmärkten haben, gewähren Europa und die Schweiz den sogenannten "Least Developed Countries" (LDC) seit Mitte 2009 einen unbeschränkten, zollfreien Marktzutritt. Bis dahin galten grosszügige Zollpräferenzen. Zudem liefern etwa 50 AKP-Staaten (Asien, Karibik, Pazifik) rund 1,3 Mio. Tonnen Weiss- oder Rohzucker zollfrei oder zu garantierten Preisen in die EU. In vielen dieser Staaten ist die Zuckerwirtschaft der wichtigste Arbeitgeber überhaupt. Die Einfuhrgarantien werden deshalb als Bestandteil der Entwicklungspolitik angesehen. Warum Schweizer Zucker? Die Schweiz ist mit 20'000 Hektar und einem Ertrag von rund 230'000 Tonnen Zucker weltweit gesehen ein kleiner Zuckerproduzent. Dafür dient Schweizer Zucker in erster Linie der Inlandversorgung, während die Zuckerimporte vor allem für Exportprodukte wie Getränke, Schokolade, Kekse etc. verwendet werden. Die Schweiz hat so gesehen einen Selbstversorgungsgrad von gut 90 %, das bedeutet, dass 90 % des in der Schweiz konsumierten Zuckers in der Schweiz produziert worden ist.
Die Qualität des Schweizer Zuckers ist hervorragend. In vielen Anwendungen lässt sich Schweizer Zucker aus Qualitätsgründen nicht durch Importzucker aus Übersee ersetzen. Die Zuckerproduktion ist ein wichtiger Wirtschaftszweig: Etwa 6'400 Landwirte bauen Rüben an. 250 Menschen arbeiten in den Zuckerfabriken in Aarberg und Frauenfeld. Alles in allem generiert die Schweizer Zuckerwirtschaft eine Wertschöpfung von rund 250 Mio. Franken pro Jahr. Dazu kommt, dass die Schweizer Zuckerfabriken in Frauenfeld und Aarberg auf dem neuesten technischen Stand und die Transportwege in der Schweiz kurz sind. Der Schwerpunkt des schweizerischen Rübenanbaus befindet sich im Mittelland, zwischen Genfer- und Bodensee, sowie auf kleineren Flächen im Jura, Wallis, Baselland und St. Galler Rheintal. Transparente Branchenlösung Die Zuckerfabriken und die Rübenpflanzer handeln jedes Jahr die Anbau- und Übernahmebedingungen für die Zuckerrüben gemeinsam aus. Das Resultat der Verhandlungen wird in einem Branchenabkommen festgehalten. Dabei geht es um die gesamthaft zu produzierende Zuckermenge die Verteilung der Lieferrechte auf die einzelnen Rübenpflanzer die Kriterien für die Gehaltsbezahlung, z.B. für den Zuckergehalt der Rüben die Festlegung der Richtpreise und die Zahlungsbedingungen In der Interprofession Zucker sitzen vier Vertreter der Zuckerfabriken Aarberg und Frauenfeld AG und sechs Vertreter (mit vier Stimmrechten) des Schweizerischen Verbandes der Zuckerrübenproduzenten (SVZ). Die Interprofession trifft sich drei- bis viermal jährlich. Witterungsbedingte Ertragsschwankungen können zwar nicht verhindert werden, aber innerhalb der Interprofession kann die Produktion wenigstens soweit angepasst werden, dass eine gleichmässige Versorgung des Marktes möglich ist. So wurde z.B. nach drei Rekord-Erntejahren die Anbaufläche im Jahr 2010 von knapp 21'000 auf 18'000 Hektaren gesenkt, die Kampagnendauer von 100 auf 75 Tage reduziert und die Produktion in gegenseitigem Einvernehmen von 275'000 auf 215'000 Tonnen Zucker heruntergefahren. Inzwischen sind die Lager leer und die Nachfrage nach Inlandzucker gross, so dass im 2011 wieder die volle Quote produziert werden kann. Sofern Petrus und damit das Wetter mitspielt. Ökoeffiziente Produktion Manfred Bötsch, der Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW), ist überzeugt, dass der Zuckeranbau in der Schweiz Zukunft hat: "In Zukunft werden nicht nur die komparativen Kosten wichtig sein, sondern mehr und mehr die Ökoeffizienz von Kulturen und Produktionsformen eine Rolle spielen. Die Schweizer Zuckerrübenproduzenten gehören beim Zuckerertrag je Flächeneinheit, je kg Stickstoff, je kg Pflanzenschutzmittel, je Energie-Input oder je Liter Wasser zur Spitzengruppe. So gesehen macht es ökologisch mehr Sinn in wärmeren und trockeneren Regionen von Südfrankreich etwa Soja oder Getreide zu pflanzen und gegen Zucker aus der Schweiz zu tauschen, als dort mit enormem Aufwand Bewässerungen einzurichten, um Zuckerrüben anbauen zu können." Was bringt die Zukunft? Die weltweiten Zuckervorräte befinden sind im Verhältnis zum Konsum auf einem tiefem Niveau. Die EU wird in Zukunft deutlich weniger Exportzucker produzieren, Brasilien wird seine Vormachtstellung vermutlich noch stärker ausbauen. Wohin sich der Weltmarkt- und EU-Zuckerpreis entwickelt ist schwer zu sagen, die Nachfrage nach Bioethanol hat darauf ebenfalls einen grossen Einfluss.
Die Zuckerfabriken sind gefordert. Sie wollen den Mehrwert von "Schweizer Zucker" hervorheben und "Natürliche Süsse" in verschiedenen Varianten anbieten und verkaufen. Sie wollen aber auch neue Geschäftsbereiche finden, die im weitesten Sinn mit Zucker oder der Zuckerrübe zu tun haben. Die Kosten der inländischen Zuckerproduktion hängen stark von der Auslastung der beiden Zuckerfabriken ab, sie sind darauf angewiesen, dass weiterhin genügend Zuckerrüben angebaut werden. Dazu muss sich der Anbau für die Rübenpflanzer auch wirtschaftlich lohnen. Sie sind dabei auf politische Unterstützung angewiesen. Wenn diese eines Tages schwinden sollte, dann sind die Tage des Schweizer Zuckers gezählt. Zuckerversorgung wird unsicherer Nadine Degen, die Geschäftsführerin des Schweizerischen Verbandes der Zuckerrübenpflanzer, wirft in ihrem Rückblick auf das letzte Jahr auch Fragen für die Zukunft auf: "Wer hätte sich noch vor zwei Jahren vorstellen können, dass der Zuckerpreis in der Schweiz und in der EU plötzlich unter dem Weltmarktpreis liegt? Dass es für Entwicklungsländer lukrativer ist, ihre Ware auf dem Weltmarkt zu veräussern, als in die Schweiz zu exportieren? Und wer hätte gedacht, dass wir keinen Zoll mehr auf Zucker erheben können? Genau das ist aber 2010 passiert. Die Welt ist kleiner geworden, und damit sind auch etablierte marktwirtschaftliche Weisheiten zunehmend zu hinterfragen. Gerade im Zuckermarkt, wo sich die Produktion in den vergangenen Jahren auf einige wenige Hauptproduktionsländer konzentriert hat – fünf Länder liefern heute knapp 60 % der Weltproduktion – , zeigen sich die Grenzen. Wenn die Produktion geographisch derart konzentriert ist, wirken sich witterungsbedingte Extremereignisse verheerend auf das Angebot aus. Und das heisst: Je weniger Produzentenländer, desto grösser die zu erwartende Volatilität der Preise. Ist das wirklich erstrebenswert?" (Text: LID) Weiterlesen: Warum uns Zucker das Leben versüsst | |||||||