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29.6.2011 Tierschutz in Kälberhaltung und Kalbfleischfarbe Tierschutz in der Kälberhaltung und Kalbfleischfarbe
1. Geschichtliches Nicht zur Aufzucht oder Rindermast bestimmte Kälber wurden auch in früheren Zeiten geschlachtet; meist im Alter von acht, zehn Monaten, gefüttert mit etwas Milch und Heu und Gras – entsprechend rötlich war das Fleisch. Zwischen den Weltkriegen „entdeckten“ findige Metzger die Spezialität des weissen Kalbfleisches. Wegen Überproduktion lagen damals die Milchpreise, welche die Bauern lösten, im Keller. So verfiel man auf die Idee, Kälber ausschliesslich mit der überschüssigen Milch zu mästen. Die einseitige und nährstoffreiche Diät ergab bei einem Schlachtalter von rund fünf Monaten ein zartes, helles Fleisch, wie man es bis anhin nicht gekannt hatte. Diese neue „Spezialität“ löste rasch einen viel besseren Preis am Markt als Rindfleisch. 1951 wurde der Schweizer Kälbermastverband gegründet, der fortan die beruflichen Kälbermäster und deren Interessen vertrat. Das Los der Milchmastkälber war damals meist trist. Oftmals in dunklen Ställen angebunden oder in enge Kisten gesteckt, bis auf die täglichen zwei Milchmahlzeiten permanent einen Maulkorb umgebunden, damit sie ja kein Hälmchen Heu oder Stroh ergattern konnten. Zusammen mit den Hühnerbatterien waren es die Bilder derart gehaltener Mastkälber – z.B. im Schweizer Spielfilm „De Grotzepuur“ mit Schaggi Streuli (1975) – welche das Schweizer Volk im Dezember 1978 Jahre bewogen, „Ja“ zu sagen zu einem umfassenden Tierschutzgesetz, das drei Jahre später in Kraft trat. 1980 fanden die Behörden im CH-Kalbfleisch Hormonrückstände, was einen veritablen Skandal auslöste. Als eine der Reaktionen darauf wurde die Vereinigung der Ammen- und Mutterkuhhalter als Alternative zur in die Kritik geratenen Kalbfleischproduktion gegründet. Deren Produkt nannte sich zuerst „Babybeef“, dann ab Mitte der 1980er Jahre „Natura-Beef“ (+NB+); Vermarktung primär via Bell/Coop. Der STS half bei der Vermarktung/Propaganda für +NB+ mit. Die einseitige (Milch)Diät in der Kälbermast und die restriktive Haltung samt deren Folgen für die Tiergesundheit waren bereits in den 1970er Jahren (z.B. Prof. Boehncke in Deutschland) Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung. Verschiedene Autoren beschrieben die fütterungsbedingten Kälberprobleme (z.B. Magengeschwüre; Blutarmut). Blum et al. (Uni-Bern) sowie die FAT und die FA-Grangeneuve publizierten insbesondere in den 1990er Jahren relevante wissenschaftliche Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Fütterung und Tiergesundheit (Anämie), Fleischfarbe, etc.. Die ETH-Zürich und die FAT publizierten auch Arbeiten zu den gesundheitlichen Vorteilen der Aussenhaltung. In neuerer Zeit führte insbesondere die Uni-Bern und ETH/Forschungsanstalt Tänikon Untersuchungen zur Kälbergesundheit und -haltung durch. 1995 traten mit der Neuausrichtung der Agrarpolitik und der Einführung der Direktzahlungen die beiden Tierwohl-Förderprogramme BTS (Für Kälber: Gruppenhaltung auf Stroh) und RAUS (Für Kälber: Auslauf ins Freie) in Kraft. 1998 prangerten STS und Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) in einer „Kalbfleischwoche“ die Fehlernährung von Mastkälbern zur hellen Kalbfleischerzeugung an. Als Konsequenz gab die Metzgerbranche bekannt, die Abzüge für rosa-Kalbfleisch fallenzulassen. In der Folge starten Migros („TerraSuisse“) und Coop („Naturafarm“) eigene Kalbfleisch-Labelprogramme. Das BTS-Programm wurde nach Ablauf der Übergangsfristen der Tierschutzvorschriften für Kälber 2005 storniert. Der STS hatte sich für eine Weiterführung stark gemacht. Die RAUS-Beteiligung bei Mast- und Aufzuchtkälbern ist im Vergleich zu den anderen Tierkategorien bis heute unterdurchschnittlich. Mit AP2014/17 signalisiert der Bund eine Beitragserhöhung. 2008 lancieren Mutterkuh Schweiz und Coop ein neues Mastkälberhaltungskonzept basierend auf der Mutterkuhhaltung („Veau sous la mère“). 2011 Die einseitige Leistungszucht beim Milchvieh lässt auch in der CH den Ruf nach einer Abschlachtungsmöglichkeit von neugeborenen Kälbern laut werden. Die Branchenorganisationen wollen dem gewitzt nach den Negativ-Erfahrungen mit der EU-Herodesprämie 1996 — mit einem Projekt „Wurstkälber“ (Schlachtung im Alter von 7-8 Wochen) begegnen. Sondersession April 2011 NR Maya Graf reicht die Ip „Kälbermast. Verbesserungspotential“ ein: Jährlich werden in der Schweiz rund 650 000 Kälber geboren und aufgezogen. Die Kälbermast stellt einen für die Landwirtschaft strategisch und wirtschaftlich wichtigen Betriebszweig dar. Gleichzeitig scheinen sich hier einige tierschutz- und konsumrelevante Probleme zu stellen. Ich bitte den Bundesrat daher folgende Fragen zu beantworten: 1. Welche objektiven resp. wissenschaftlichen Fakten z.B. der Fleischqualität (punkto Inhaltsstoffe, Zartheit, Bekömmlichkeit/Gesundheit, etc.) begründen einen Abzug im Schlachthof alleine aufgrund der Kalbfleischfarbe? 2. Ist rosa-rotes oder rötliches Kalbfleisch, das ansonsten alle Fleischqualitätskriterien erfüllt, nach Meinung des Bundesrates von untergeordneter Qualität für Konsumenten und Köche? Falls Ja, weshalb? 3. In welchen Fütterungs- und Haltungsvorschriften unterscheiden sich die Kälbermäster in der CH und der EU und welche Konsequenzen für das Tierwohl und die Kalbfleischqualität haben allfällige Unterschiede? 4. Wie hoch beziffert er den Antibiotika-Verbrauch in der Schweizer Kälbermast: Absolut (t/Jahr) und relativ (%-Anteil des gesamten Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung)? 5. Welche Lösungswege könnten gemäss ihm beschritten werden zur Drosselung des Antibiotika-Verbrauches in der Kälbermast, ohne dass die Kälber darunter leiden? 6. Unterscheidet sich der Antibiotikaeinsatz in der EU-Kälbermast von den Schweizer Gepflogenheiten punkto Einsatzmenge und -häufigkeit, verwendete Wirkstoffe, etc.? 7. Wäre es bezüglich Tierwohl anstrebenswert, die RAUS-Beiträge zu erhöhen? 8. Welche Wege könnten beschritten werden, um gegenüber der Konsumentinnen und Konsumenten die Produktionsumstände wie Haltungs- und Fütterungsbedingungen von importiertem Kalbfleisch zu deklarieren? 2. Tierschutzgesetzgebung und Tierschutz-Verbesserungen in der Kälbermast 1981 TSCHG/V - Verbot Maulkörbe - Eingestreute Liegefläche - Stroh oder anderes Rauhfutter zur Beschäftigung - Mindesteisengehalt/Verhinderung Anämie 1997 Revision TSCHV - Gruppenhaltung auf Stroh (Übergangsfrist) - Einzelhaltung in Iglu (Falls Sichtkontakt Artgenossen, Minimalauslauf) - Verwenden elastische Ringe und ätzende Substanzen zum Entfernen Hörner/Hornansatz - Enthornen und Kastrieren nur unter Schmerzausschaltung 2008 TSCHG - Art. 16 (Eingriffe an Tieren) 2008 TSCHV - Art. 37, 1-5; neu: Zugang zu Wasser sowie Heu, Mais oder anderes geeignetes Futter zur freien Aufnahme (Stroh allein gilt nicht als geeignetes Futter) - Art. 38, 1-4 - Art. 39, 1 3. Unterschiede Tierwohl CH-EU - Gruppenhaltung – aber Ausnahmen für „Kleinbetriebe“ mit 6 und weniger Tieren und erst ab der 8. Lebenswoche in der EU - Eingestreute Liegeflächen nicht vorgeschrieben – Vollspaltenböden zulässig in der EU - Mit Ausnahme Bio-Betriebe kaum Verbreitung Label-Tierhaltung mit strengeren Vorschriften als Gesetzgebungen in der EU | ||||