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12.9.2011 Fleischeinkäufe ennet der Grenze boomen
Büsst der Euro im Vergleich zum Franken an Wert ein, können Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten zu günstigeren Preisen im umliegenden Ausland einkaufen. Diese Gelegenheit wird, wie die Zahlen belegen, auch rege genutzt. Betrug der Einkaufstourismus bei Fleisch gemäss der Einkaufstourismusstudie 2009 von Coop noch 600 Millionen Franken, so hat dieser nach unseren Schätzungen für 2010 und Mai 2010 bis April 2011 zwischen 100 und 200 Millionen Franken zugelegt (Tab. 1). Dies entspricht einer Zunahme von etwa 18 bis 39% bzw. für’s 2011 im Vergleich zu 2009 sogar von 50 bis 60%. Damit erhöhen sich die Ausgaben des Grenztourismus beim Einkauf von Fleisch seit 2009 um zirka 300 bis 400 Millionen Franken. Um die Millionenbeträge greifbarer zu machen, kann die Anzahl der Schweizer Haushalte herangezogen werden. Laut dem Bundesamt für Statistik gibt es in der Schweiz 3`399`300 Haushalte (BFS, Taschenstatistik 2011). Nach unseren Berechnungen haben Schweizer Haushalte 2009 im Durchschnitt 180 Franken (600 Millionen) für Fleisch im Ausland ausgegeben, 2010 waren dies 240 Franken (Annahme: 800 Millionen) und 2011 dürften sogar 290 Franken (Annahme: 1000 Millionen) resultieren.
Seit Einführung der ersten Einkaufstourismusstudie von Coop im Jahr 1990 hat der Einkaufstourismus bei Lebensmittel und Gütern des täglichen Bedarfs sukzessive zugenommen. Der Wert des Einkaufs von Fleisch im Ausland betrug damals noch 200 Millionen Franken, ist aber nach unseren Schätzungen bis 2011 auf rund das Fünffache bzw. eine Obergrenze von einer Milliarde Franken angewachsen.
Interessant ist auch der Vergleich zwischen der Wechselkursentwicklung des Euros und des Einkaufstourismus bei Fleisch. 2009 kostete ein Euro zwischen Fr. 1.54 und 1.45, während er diesen Sommer im Vergleich zum Franken seinen Tiefstwert erreichte und zeitweise unter Fr. 1.05 fiel. Damit deutet sich ein Zusammenhang zwischen dem Kursverhältnis Euro-Franken und dem Umfang der grenznahen Fleischeinkäufe an, der sich aufgrund der knappen Datenlage statistisch leider nicht erhärten liess. Umsatzrückgänge und die Konsequenzen Sämtliche der herangezogenen Quellen weisen für 2010 und 2011 auf einen steigenden Einkaufstourismus bei Fleisch hin. Bereits per Ende diesen Jahres dürfte allein bei Fleisch die Milliardengrenze erreicht werden. Dieser Abfluss von Kaufkraft hat nicht nur Auswirkungen auf den Umsatz der grenznahen Metzgereien und des Detailhandels, sondern führt zu weitaus grösseren Konsequenzen. So hat beispielsweise die Migros Basel zu Beginn des Jahres die geplanten Investitionen gekürzt und den Personalbestand leicht reduziert. Damit entgehen nicht nur den Lieferanten der Migros Basel, sondern auch anderen Branchen Umsätze. Durch die Kürzung der Investitionen wird es zudem schwieriger, Innovationen und Produktivitätssteigerungen zu entwickeln und zu realisieren. In Zeiten der Globalisierung und des technologischen Wandels kann eine gesamte Branche, aber auch die ganze Volkswirtschaft durch derartige Entwicklungen rasch ins Hintertreffen geraten; vor allem dann, wenn als Folge davon die Wertschöpfung ins Ausland verlagert wird und dadurch einheimische Arbeitsplätze verloren gehen. Davon betroffen sind nicht nur die Fleischverarbeiter, sondern die gesamte Schweizer Volkswirtschaft und damit die gesamte Schweizer Bevölkerung. (Text: SFF) Die Situation im Kanton Thurgau
Es ist eine altbekannte Tatsache, dass Lebensmittel und insbesondere Fleisch in der Schweiz nicht teurer geworden sind. Ebenso entspricht es einem Faktum, dass die Fleischfachgeschäfte in Grenznähe immer mit dem Grenz- und Einkaufstourismus gelebt haben. Gleichwohl ist es die Summe der kleinen Umstände, die die jetzige Situation in den gewerblichen Familienunternehmen der Fleischbranche verschärft hat. Aufgrund der zunehmenden Frankenstärke lassen die Grenzgänger aus den Nachbarländern den Einkauf von Fleischspezialitäten wie Fleischkäse, Trockenfleisch und Schweizer-Wurstspezialitäten bleiben. Deutsche Grenzgänger verzichten zudem auf Besuche von Gaststätten und Aussichtspunkten in der grenznahen Schweiz. Unter dieser Situation leidet der Restaurateur und auch der Lieferant für das “Zvieri Plättli“. Für unsere Fachgeschäfte fallen in der jetzigen Zeit somit gleich zwei Kundensegmente teilweise weg: der deutsche Tourist und ein Teil der Schweizer Kundschaft, die sich vor allem in der Ferienzeit im grenznahen Raum mit Fleischerzeugnissen und Frischfleisch eindecken. Andererseits stürzt ein ein- oder zweimaliger Fleischeinkauf unserer Schweizer Kundschaft im grenznahen Ausland unsere Geschäfte nicht ins Verderben: Denn die Schweizer Fleischqualität und vor allem deren Bearbeitung ist, natürlich subjektiv gesehen, um einiges besser als in unseren Nachbarstaaten. Für mein Fachgeschäft schätze ich die Umsatzeinbussen derzeit auf rund 10%. Bei denjenigen Metzgerkollegen, deren Geschäfte unmittelbar an der Grenze liegen, ist die Situation allerdings wesentlich dramatischer. Eine gewisse Distanz zur Landesgrenze verschafft den anderen Berufskollegen so etwas wie einen Distanzschutz, den auch die hinter dem Bodensee liegenden Fleischfachgeschäfte in Anspruch nehmen können. Es ist uns selbstverständlich bewusst, dass es Familien mit Budgets gibt, die darauf angewiesen sind, Alltagsartikel möglichst kostengünstig einkaufen zu können, und die folglich die Möglichkeit der Einkäufe im grenznahen Ausland dankbar annehmen. Nichtsdestotrotz schmerzen die Minderumsätze, die aus den Fleischeinkäufen ennet der Grenze wie auch aus den geringeren Einkäufen der Touristen aus der Schweiz und aus dem Ausland resultieren, natürlich jeden Tag! Sollte der Franken weiterhin so stark bleiben und der Einkaufstourismus im heutigen Ausmass anhalten, müssten griffige Massnahmen getroffen werden, wie z.B.: - Massiver Abbau von administrativen Vorschriften, die unsere Kleinbetriebe belasten und in ihrer Entwicklung einengen, wie z.B. der überbordende Papierkrieg wie auch die übermässigen Kontrollaktivitäten unserer Vollzugsbehörden - Reduktion der überrissenen und überperfekten baulichen Infrastrukturvorschriften, die es heutzutage beim Bau einer Schlachtanlage, in den Verarbeitungsräumen aber auch in den Ladenlokalitäten einzuhalten gilt - Aufheben der schweizerischen Sondervorschriften, die den Wettbewerb mit den ausländischen Mitbewerbern massiv erschweren (“Swissness“, Deklarationsvorschriften, etc.) - Weniger vorauseilender Gehorsam unserer Bundesbehörden beim Nachvollzug von EU-Recht und insbesondere auch weniger Perfektionismus bei dessen Vollzug sowie mindestens so lange Übergangsfristen, wie dies die EU handhabt - Weitergabe der Währungsgewinne der Zulieferer an die Fleischfachgeschäfte - Stärkung der Eigenverantwortung der Betriebe und nicht Bevormundung durch die Behörden, wie die Betriebe ihre Eigenverantwortung wahrzunehmen haben. Die erwähnten Massnahmen beinträchtigen in keiner Art und Weise die Lebensmittelsicherheit und die Fleischhygiene in der Schweiz, würden aber unsere Wettbewerbsfähigkeit wesentlich stärken und unsere innovativen Fleischfachgeschäfte für die Herausforderungen der Zukunft fit machen. (Text: Werner Herrmann, Metzgermeister und Inhaber der Metzgerei Herrmann AG in Sulgen TG) Weiterlesen: Weniger Schweizer Grenzeinkäufer im Ausland | ||||||||