Varia | ||||||||
13.3.2012 Deutschland lanciert Tierwohl-Label Ob Eier, Fleisch oder Milchprodukte: Im hart umkämpften deutschen Detailhandel zählt nur eines – der Preis. Tierwohl als Verkaufsargument spielte bisher kaum eine Rolle. Das soll sich ändern – mit einem neuen Label. Orientiert hat man sich auch an der Schweiz.
"Fleisch wird in Deutschland über den Preis und nicht über die Qualität beworben", erklärte Lars Schrader an der vom Schweizer Tierschutz organisierten Nutztiertagung, die am 1. März in Olten stattfand. Zwar gebe es Labels für Fleisch, die für eine besonders artgerechte Tierhaltung stünden. Mit einem Marktanteil von rund einem Prozent seien Tierwohl-Produkte aber nur eine Nische. Schrader, der das Institut für Tierschutz und Tierhaltung am Friedrich-Loeffler-Institut in Celle leitet, ist Mitglied der "Initiativgruppe Tierwohl-Label" (siehe Kasten). Diese will dem Tierschutzgedanken in Deutschland neuen Schwung verleihen. Ist den Deutschen egal, wie Kühe, Hühner und Schweine gehalten werden? Fragt man Konsumenten, ob sie Fleisch tiergerechter Haltung bevorzugen, antworten 60 bis 80 Prozent der Leute mit Ja. Im Laden sieht es dann meist anders aus. Das hat aber auch damit zu tun, dass ein entsprechendes Angebot bislang fehlt. Heute gibt es nur Fleisch aus konventioneller Tierhaltung oder dann solches, das nach den strengen Öko-Richtlinien produziert wird. Dieses ist aber bedeutend teurer. Dazwischen klafft eine Lücke – das ändert sich nun.. Der Schweiz abgeguckt Im Februar 2010 entstand die „Initiativgruppe Tierwohl-Label”. Ihr gehören Mitglieder der ganzen Wertschöpfungskette an. Ihr Ziel: Die Entwicklung eines privatwirtschaftlichen Labels anzustossen. Vorgesehen ist ein zweistufiges Label. Beim Goldstandard sind die Anforderungen strenger als beim Silberstandard. Beiden gemeinsam ist, dass sie für eine artgerechte Tierhaltung stehen, die über die Mindesanforderungen hinausgehen. Bislang wurden die Standards für Masthühner und Mastschweine definiert. Bevor eigene Kriterien formuliert wurden, schaute man, was im Ausland gemacht wird. Die Schweiz hat eine Vorreiterrolle und diente zur Orientierung für die Labelproduktion. Bei den Hühnern kann man das Tierwohl-Label-Fleisch bereits im Süden Deutschlands kaufen. Schweinefleisch wird voraussichtlich Ende 2012 oder Anfang 2013 auf Testmärkten verkauft. Das Tierwohl-Label steht für eine artgerechtere Haltung. Masthühner müssen zum Beispiel Sitzstangen und bepickbare Objekte wie etwa Strohballen zur Verfügung gestellt bekommen. Zudem haben wir eine maximale Besatzdichte definiert, die deutlich über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgeht. Mastschweinen beispielsweise muss mehr Platz im Stall gewährt und die Buchten müssen strukturiert werden. Das Kürzen von Schwänzen ist nicht erlaubt. Zudem ist die betäubungslose Kastration verboten.
Überdies gibt es strenge Regeln bezüglich Verschreibung von Antibiotika definiert sowie Anforderungen punkto Transport und Schlachtung formuliert. Wenn die Bauern den Mehraufwand über höhere Preise erstattet bekommen, werden viele sehr gerne bereit dazu sein, mehr für das Tierwohl zu tun. (Text: LID / Michael Wahl). Tierwohl-Labels: In der Schweiz längst etabliert Anders als in Deutschland sind in der Schweiz Tierwohl-Labels längst etabliert. Migros (Terra Suisse) und Coop (Naturafarm, Naturaplan) führen ein breites Sortiment an Fleisch und Eiern, die von Tieren aus artgerechter Haltung stammen. Die Migros hatte mit M-Sano bereits 1974 ein Label lanciert, dessen Vorgaben über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausging. Coop zog in den 1980er Jahren nach. Der Labelanteil beim Fleisch ist seither stetig angestiegen. Bei Coop etwa beträgt er beim Rind- und Schweinefleisch rund 60 Prozent, wie Mediensprecherin Denise Stadler erklärt. Eine tierfreundliche Haltung wird nicht nur von den Detaillisten, sondern auch vom Bund gefördert – etwa mit den freiwilligen Programmen "Regelmässiger Auslauf im Freien" (RAUS) und "Besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme" (BTS). Beim 1993 eingeführten RAUS-Programm beteiligten sich im Jahr 2010 rund 36'600 Betriebe, was knapp 80 Prozent der direktzahlungsberechtigten Betriebe entspricht. Beim 1996 ins Leben gerufenen BTS-Programm machten 2010 rund 19'750 Betriebe mit – knapp 45 Prozent der direktzahlungsberechtigten Betriebe. Die Programme BTS und RAUS bilden für die meisten Label die Grundvoraussetzung. Für Hansuli Huber, Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes STS, sind die staatlichen Tierwohl-Förderprogramme eine "kleine Erfolgsstory". "Mehrere Millionen Tiere haben deswegen heute ein wesentlich besseres Leben," erklärte Huber an der Tierschutz-Nutztiertagung. (Text: LID) «Schweizer Tierschutz» kritisiert Nutztierhaltung Referat von Hansuli Huber, Schweizer Tierschutz STS: In der Schweiz sind tierfreundliche Haltungsformen wie Freilaufstall, Auslauf und Weide inzwischen recht verbreitet und keine Ausnahmeerscheinung mehr wie dies noch vor 20 Jahren der Fall war. Erhebliche Teile der Schweizer Landwirtschaft und Nutztierhaltung heben sich mittlerweile positiv vom Ausland ab. Allerdings: Unter den Blinden ist der Einäugige König. Noch immer leben hierzulande 10 Millionen Nutztiere in beengten Ställen ohne Auslauf ins Freie. Kälber werden für helles Fleisch gefüttert, sodass sie häufiger als jede andere Tierkategorie mit Antibiotika behandelt werden müssen. Milchkühe werden zu immer höheren Leistungen getrieben und Schweinemütter gebären mehr Ferkel als sie Zitzen haben. Karge Buchten zur Mast von Munis und Schweinen, ohne Stroh zum Liegen und ohne Auslauf ins Freie sind legal.
Die (Agrar)Politik will die Grenzen öffnen für immer mehr Nahrungsmittel aus bei uns verbotenen Produktionsbedingungen und Massentierhaltungen. Sie setzt damit die Bestrebungen für mehr Tierwohl im Inland unter massiven Druck. Der Handlungsbedarf in punkto Tierwohl ist also auch heute gegeben. Dabei sollten wir Tierschützer nicht allzu stark auf die Tierschutzgesetzgebung setzen. Einerseits wurde sie erst vor drei Jahren neu in Kraft gesetzt und viele Übergangsfristen sind noch am Laufen. Der politische Wille für eine Revision dürfte entsprechend gering sein. Zudem gilt es zu beachten, dass die Tierschutzgesetzgebung ja nicht besonders tierfreundliche Haltungsformen vorschreibt. Vielmehr legt sie die Grenze zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem fest. Als effizientestes Mittel zur Verbesserung des Tierwohls hat sich meiner Meinung nach eine Kombination von marktwirtschaftlichen und staatlichen Massnahmen herausgestellt. Nämlich das Schaffen von Konsumenten-Nachfrage nachLabelprodukten sowie die Förderung tierfreundlicher Haltungsformen mittels spezifischer Direktzahlungen. (Aus dem Referat von Dr. sc. nat. Hansuli Huber, Geschäftsführer Fachbereich des Schweizer Tierschutz STS, anlässlich der 14. STS-Nutztiertagung „Tierwohl, Konsum und Ethik“ vom 1. März 2012 in Olten) Weiterlesen: Tierschutz kritisiert Gastronomie | ||||||||