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18.9.2012 Für den Abfallkübel produziert Ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel wird nie gegessen. Während in Entwicklungsländern der grösste Teil in frühen Wertschöpfungsstufen verloren geht, sind es hierzulande die Konsumenten, die für die Verluste hauptverantwortlich sind. Der Verlust und die Verschwendung von Lebensmitteln sind ein globales Phänomen. Allerdings eines mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen. In Entwicklungsländern geht der grösste Teil der Nahrung in den frühen Stadien der Wertschöpfungskette, bei der Produktion oder der Lagerung der Ware, verloren. Anders die Situation in den reichen Staaten, vorwiegend der nördlichen Erdhalbkugel: Dort landen die Nahrungsmittel im Müll, weil sie den Ansprüchen der Konsumenten oder der Lebensmittelindustrie nicht genügen. Gleich direkt beim Bauern, wenn die Kartoffeln zu gross sind, im Detailhandel, wenn etwas leicht beschädigt ist. Und beim Konsumenten, wenn sich das Joghurt dem Verfallsdatum gefährlich nähert. Diese werfen in Industrieländern mit geschätzten 222 Millionen Tonnen pro Jahr beinahe so viele Lebensmittel weg, wie im gesamten subsaharischen Afrika produziert werden. Konsumenten als Hauptschuldige Auf einen Drittel aller produzierten Nahrungsmittel wird die Menge an Essen eingeschätzt, die irgendwo in der Wertschöpfungskette verloren geht. Die Hälfte davon verschwindet in Industrieländern erst kurz vor dem eigentlichen Ziel, dem Teller, nämlich beim Konsumenten. Und diese Menge landet fast unweigerlich im Abfall. Markus Hurschler von foodwaste.ch, einer Onlineplattform, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Lebensmittelabfälle zu verringern, konstatiert in den letzten Jahrzehnten einen veränderten Umgang mit Lebensmitteln hin zu weniger Wertschätzung. "Nahrungsmittel sind die Grundlage unseres Lebens. Dass wir heute so grosse Mengen verschwenden, ist unhaltbar", so Hurschler. "Es geht dabei um globale Ernährungssicherheit und nachhaltige Nutzung knapper Ressourcen, aber gleichzeitig auch um unser eigenes Konsumverhalten und dessen Anpassung an globale Entwicklungen." Dass für den grössten Teil der Verluste in wohlhabenden Ländern die Verbraucher verantwortlich sind, hat verschiedene Gründe. So fehlt aufgrund der beruflichen Situation oft die Zeit oder Lust für eine genaue Haushaltsplanung, was dazu führt, das eher zu viel gekauft wird und Produkte im Kühlschrank stehen bleiben, bis sie nicht mehr konsumiert werden können. Auch das Zubereiten von Resten erfolgt nicht mehr im selben Masse wie früher. "Das Problem in den Haushalten ist, dass die grossen Mengen an Abfällen durch viele kleine Handlungen entstehen. Diese kleinen, regelmässigen Mengen an Abfall spürt man nicht im Budget", erklärt Hurschler. Perfekte Form und Farbe Doch auch in der Wertschöpfungskette, von der landwirtschaftlichen Produktion bis hin zum Detailhandel, kommt es zu namhaften Verlusten. Grund für diese Verluste sind meist genaue Vorgaben der Abnehmer in Bezug auf Form, Grösse oder Aussehen von Produkten, etwa von Karotten oder Kartoffeln. Was nicht ins Raster passt – zu krumm, zu gross, zu farblos ist – muss weg. Diese Produkte landen aber oft nicht im Müll, sondern in Biogasanlagen oder die Bauern verwenden sie als Tierfutter.
Ob die Konsumenten wirklich nur Ware in perfekter Form bevorzugen, wie es der Detailhandel sagt, ist unsicher. Markus Hurschler verweist auf die erfolgreichen Verkäufe in der Direktvermarktung oder Netzwerken wie der Community Supported Agriculture. "In diesen Vertriebskanälen gibt es weniger bis keine Normen zu Form und Grösse, dennoch sind die Konsumenten zufrieden damit. Das könnte darauf hindeuten, dass der Handel die Präferenzen teils selbst erzeugt", vermutet Hurschler. Auch laut der Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der UNO (FAO) zeigen Studien, dass Konsumenten gewillt wären, heterogene Produkte zu kaufen, sofern der Geschmack nicht beeinträchtigt ist. Die FAO schlägt in ihrem Bericht "Global Food Losses and Food Waste" deshalb vor, den Konsumenten auch Ware anzubieten, die weniger perfekt in Form und Farbe ist, und weitere Kundenumfragen durchzuführen, um die Bedürfnisse objektiv abzuklären. Dennoch ist sicher: Auch die Vorlieben der Kunden führen zu Abfällen im Handel. "Ein Beispiel ist das Verlangen nach frischem Brot bis Ladenschluss", so Hurschler. Das nicht mehr verkaufte Brot muss dann anderweitig verwendet werden. Markus Hurschler ist überzeugt davon, dass Lösungen nur durch eine Kooperation zwischen allen Akteuren entlang der Lebensmittelkette möglich sind. "Es braucht strukturelle Änderungen, die neue Produktions- und Konsumkonzepte erlauben." Allerdings wird es schwierig, ohne einen veränderten Umgang der Konsumenten mit Lebensmitteln zählbare Erfolge zu erreichen. "Insbesondere bei jungen Menschen muss die Sensibilität gegenüber Lebensmitteln gestärkt werden", sagt Hurschler. Das erfordere aber Zeit und die richtigen Informationen über Nahrungsmittel. Auch wenn das Thema derzeit grosse Aufmerksamkeit in den Medien geniesst: Ob sich bereits spürbar etwas in der Konsumentenhaltung geändert hat, kann Hurschler noch nicht beurteilen. Beim Kleinbauern ansetzen Weltweit gehen nach Schätzungen der FAO pro Jahr 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel verloren. Eine Menge, die ausreichen würde, die Hungerproblematik zu entschärfen, würde sie den ihren Weg auf die Teller finden. Im Gegensatz zu westlichen Staaten kommt in Entwicklungsländern Verschwendung beim Konsumenten kaum vor. Verantwortlich für die Verluste, die hauptsächlich in frühen Stadien der Wertschöpfungskette wie dem Anbau, der Lagerung oder dem Transport geschehen, sind eine schlechte Infrastruktur und oft mangelnde Ausbildung der Bauern. Um die Infrastruktur durch modernere Lagerhäuser, Kühlanlagen oder intaktere Strassen zu verbessern, bedürfte es grosser finanzieller Investitionen. Doch Geld ist meist keines oder kaum vorhanden. Die Stiftung Biovision, die sich die Verbesserung der Lebenssituation der Menschen in Afrika zum Ziel gesetzt und kürzlich einen generellen Konsultativstatus der UNO erhalten hat, setzt deshalb bei der Produktion an. "Die Ausbildung von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in Entwicklungsländern ist absolut zentral für die Reduktion der erheblichen Verluste durch Schädlinge und Unkraut, sowohl vor als auch nach der Ernte", sagt David Fritz, Kommunikations- und Kampagnenleiter bei der Stiftung Biovision. Technologie-intensive Lösungen sind aus finanziellen Gründen für die Bauern nicht umsetzbar. "Teure Technologien haben in diesen Ländern keine Chance. Es sei denn, sie werden von Grossproduzenten eingesetzt, die nicht zum Wohle der lokalen Bevölkerung produzieren und dieser in vielen Fällen auch mit ihrem grossen Bedarf an Land die Basis für ein menschenwürdiges Dasein entziehen." Die Erfahrungen von Biovision würden aber zeigen, dass mit Kursen und Verbreitung von Wissen viel erreicht werden könne, so Fritz. Auch der Weltagrarbericht kommt zum Schluss, dass der Einsatz von lokalem und traditionellem Wissen die Ernteverluste verkleinern kann. Oft liegt ein Mangel an Know-how vor, weil die Kleinbauern in Afrika nicht auf Generationen landwirtschaftlicher Tradition zurückblicken können. "Es handelt sich dabei oft um noch nicht lange sesshaft gewordene Nomaden", so David Fritz. "Kombiniert mit in jenen Gebieten besonders ausgeprägten Herausforderungen des Klimawandels, mit langen Dürreperioden gefolgt von heftigsten und zerstörerischen Regengüssen und entsprechend degradierten Böden, brauchen diese Leute Unterstützung, um Ernteausfälle und Verluste nach der Ernte zu reduzieren." Den Bauern selbst sei das bewusst und die Chance, einen von Biovision angebotenen Kurs zu besuchen, werde begeistert wahrgenommen. Mit Pflanzen gegen Schädlinge Biovision setzt auf das Vermitteln von Wissen über biologischen Landbau. "Ein wesentlicher Vorteil beim Biolandbau ist, dass ökologische Lösungen auf dem Feld von Bauer zu Bauer weitergegeben werden können und so ohne grossen finanziellen Aufwand viel schneller flächendeckend zum Einsatz kommen", sagt Fritz. Biovision unterstütze deshalb innovative Projekte wie etwa die Push-Pull-Methode in Ostafrika. Bei dieser werden neben der Nutzpflanze im Feld auch Pflanzen gezogen, die abstossend auf Schädlinge wirken. Bild (LID): kenianische Bäuerin im ihrem vom Maisstängelbohrer zerstörten Feld. Schädlinge sind für einen grossen Teil der Lebensmittelverluste in Afrika verantwortlich. Und um Verluste im Lager zu vermindern, werden Pflanzenextrakte eingesetzt, welche die Schädlinge fern halten. "Vorteil dieser Methoden ist, dass die Bauern wenig Kapital benötigen, da sowohl Saatgut als auch Pflanzenextrakte bereits auf dem Hof vorhanden sind oder durch geringe, einmalige Investitionen gekauft werden können", so Fritz. Auch die FAO empfiehlt in ihrer Studie, in Entwicklungsländern vor allem auf der Produzentenseite anzusetzen. Allerdings benötige es Anstrengungen in allen Wertschöpfungsstufen, um erfolgreich zu sein. In Industrieländern hätten Verbesserungen auf Produktions- und Industrielevel nur marginale Wirkung, solange die Konsumenten mit der Verschwendung fortfahren, kommt die FAO zum Schluss. Food Losses und Food Waste Als Lebensmittelverluste werden jene Produkte bezeichnet, die zwar zum Zwecke der Nahrungsmittelgewinnung angebaut, aber nie verzehrt wurden, weil sie irgendwo in der Wertschöpfungskette verloren gingen. Dabei wird nicht zwischen Waren unterschieden, die im Abfall landen oder die anderweitig, etwa als Tierfutter oder zur Biogasproduktion, verwendet werden. Nicht eingeschlossen im Begriff sind Produkte, die zwar als Lebensmittel gebraucht werden könnten, aber explizit zu einem anderen Zweck angebaut wurden, wie z.B. zur Herstellung von Agrotreibstoffen. (LID / Jonas Ingold) | ||||