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22.10.2013 Olma-Rückblick und Referat Ueli Maurer Die St.Galler Olma ist am 20.10.2013 nach elf Tagen zu Ende gegangen. Bundespräsident Ueli Maurer hielt eine Rede zum Thema Ernährungssicherheit.
Die Olma lockte 380‘000 Besucher an – 2 Prozent weniger als im Vorjahr. 630 Aussteller präsentierten ihre Produkte und Dienstleistungen an der Olma, der Messe für Landwirtschaft und Ernährung. Der Gastkanton Solothurn stellte seinen Auftritt unter das Motto „Mir gäh dr Sänf drzue“. Mit über 2‘200 Teilnehmenden stellte der Festumzug einen der grössten in der nunmehr 71-jährigen Geschichte der Olma dar, teilen die Organisatoren mit. Auf grosse Begeisterung stiessen die Tierausstellung im Stall und die täglichen Vorführungen in der Arena. Über 20 Sonder- und Produkteschauen vermittelten Wissen zu Themen wie „Beruf Grosstierarzt“ oder „drahtlose Kommunikation“. (LID) Bundespräsident Ueli Maurer hielt am 10.10. zur Eröffnung eine Rede zum Thema Ernährungssicherheit: Wenn man in Frieden und Wohlstand lebt, werden die Grundbedürfnisse zur Selbstverständlichkeit: Wir fühlen uns nicht direkt bedroht. Und die Regale in den Läden sind ja immer voll. Wir haben gute Jahre hinter uns und schon sind wir sorglos geworden. Wir verhalten uns so, als könnten weder die Landessicherheit noch die Ernährungssicherheit je wieder einmal in Gefahr sein. Die Politik ist generell sehr grosszügig mit den Ausgaben, die Landessicherheit und die Ernährungssicherheit sind aber permanent unter Druck. Dabei geht es gerade hier um unsere elementarsten Bedürfnisse. Zum Glück haben die Bürger immer wieder die Möglichkeit, Gegensteuer zu geben. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden wir nächstes Jahr über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge für die Armee abstimmen - das ist eine entscheidende Abstimmung über unsere Sicherheit. Bitte nutzen Sie diese Gelegenheit für ein klares Bekenntnis zur Landessicherheit! Im Frieden und Wohlstand begegnen viele nicht nur der Armee mit Unverständnis, sondern auch der heimischen Landwirtschaft. Aber ist die Welt tatsächlich ein Supermarkt mit einem ewig üppigen Angebot, aus dem wir uns einfach jederzeit bedienen können? Darauf möchte ich näher eingehen: Trends Schauen wir uns doch mal an, wie sich die Welt entwickelt. Wir sehen dann schnell, dass uns gerade im Bereich Landwirtschaft, Ernährungssicherheit und Landesversorgung gewaltige Veränderungen bevorstehen. Ich möchte hier einige Trends ansprechen, die meiner Meinung nach zu wenig beachtet werden, obwohl eigentlich die Alarmglocken läuten müssten. Die Weltbevölkerung nimmt zu: Und das sehr schnell. Bevölkerungsstatistiker rechnen mit einem jährlichen Wachstum von um die 80 Millionen Menschen. Das ergibt in jeweils etwa 12 bis 13 Jahren ein Wachstum von einer Milliarde - Tausend Millionen Menschen mehr, die auch jeden Tag essen und trinken müssen. Die Nahrungsmittelpreise steigen: In den letzten Jahren ist es immer wieder zu ganz massiven Preissteigerungen von Grundnahrungsmitteln in gewissen Weltregionen gekommen. Das zeigt uns, dass die Nachfrage zunimmt. Weltweit werden die Ressourcen knapper. Ob es sich nun um Öl, Wasser, Rohstoffe oder Nahrungsmittel handelt. Und was knapp ist, wird begehrt und teuer. Nahrungsmittel haben eine politische Bedeutung: Denn die meisten Länder können solche massiven Preissteigerungen weder wirtschaftlich noch politisch verkraften. Die Folge sind politische Unruhen, die oft durch steigende Lebensmittelpreise ausgelöst oder verschärft werden. Nahostexperten sehen zum Beispiel auch die Proteste und Revolutionen in den arabischen Ländern in einem Zusammenhang mit steigenden Lebensmittelpreisen. Wir alle wissen, dass knappe Ressourcen wie zum Beispiel Erdöl eine politische Bedeutung haben. Um Öl wird sogar Krieg geführt. Wir müssen davon ausgehen, dass in Zukunft auch Lebensmittel eine solch politische Bedeutung erhalten. Weltweit findet ein Wettlauf um die Ressourcen statt: Aus dieser politischen Bedeutung der Lebensmittel ergibt sich ein weltweiter Wettlauf der Grossmächte um landwirtschaftliche Ressourcen. Dieser hat bereits begonnen: Mit Investitionen, Verträgen und politischer Einflussnahme versuchen westliche Staaten und die aufstrebenden Staaten Asiens die Deckung ihres Bedarfes zu sichern - und den andern zuvorzukommen. Staaten, die es sich leisten können, kaufen sich grosse Flächen wertvollen Landwirtschaftslandes auf der ganzen Welt zusammen. Die aktuellste Meldung ist nur wenige Tage alt: Die NZZ berichtete, China kaufe in der Ukraine Ackerland von einer Fläche, die fast so gross sei wie die Schweiz. Wenn ein Land wie China, das seit Jahrhunderten für langfristige Strategien bekannt ist, dermassen viel in seine Versorgungssicherheit investiert, sollte uns das zu denken geben. Die Welt wird nicht stabiler: Man sagt, die Welt werde kleiner, sie werde ein Dorf. Diesen Eindruck kann man tatsächlich erhalten, so wie Waren ausgetauscht werden, so wie die Menschen reisen und wie wir das Weltgeschehen mitverfolgen, als passierte es in der eigenen Stube. Aber dieser Eindruck täuscht. Die Distanzen schrumpfen ja nicht, nur die Verbindungen werden besser. Und mit diesen Verbindungen steht und fällt dann alles. Der internationale Warenaustausch wird immer komplexer und damit auch anfälliger für Störungen. Wir haben keine Garantie, dass die Transportwege immer offen sind und die Kommunikation immer funktioniert. Nicht nur Land- und Wasserrouten, auch die virtuellen Verbindungen können unterbrochen werden. Bis vor kurzem glaubten viele, die Welt und insbesondere Europa würden zu einer Staatengemeinschaft zusammenwachsen. Die wirtschaftliche Verflechtung ergebe eine globale Arbeitsteilung: Jeder macht das, was er am besten kann - und das weltweit. Mit der Schulden-Krise ist diese Entwicklung in Frage gestellt. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Volkswirtschaften sind nicht kleiner geworden, im Gegenteil! Unter dem Druck der Krise sind die Auseinandersetzungen auch zwischen an sich befreundeten Staaten härter geworden - in der Not ist halt doch jeder sich selbst am nächsten. Wir haben erlebt, dass die Grossmächte vermehrt auf Macht statt auf Recht setzen. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns bewusst sein, dass uns jede Abhängigkeit erpressbar macht. Fazit Wenn wir es kurz und bildlich zusammenfassen: Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen unseren Dörfern und dem „globalen Dorf". Im Dorf gehen wir schnell über die Strasse zum Nachbarn, wenn uns zum Beispiel dummerweise ein Kilo Mehl fehlt. Wir Schweizer können aber nicht einfach um die Ecke anklopfen, wenn unserem Land das Brotgetreide ausgegangen ist. Plötzlich ist man froh, man hat einen eigenen Bauernstand und bezieht nicht alles vom andern Ende der Welt. Was ist zu tun? Ich meine, wir sollten die weltweiten Entwicklungen stärker in unsere Überlegungen zur Landwirtschaft einbeziehen. Internationalisierung und Strukturwandel sind zu hinterfragen, unsere Stärke - die einmalig hohe Qualität - ist dagegen weiterhin zu pflegen. Aus meiner Sicht ist es höchste Zeit, dass wir über unsere Versorgungssicherheit öffentlich diskutieren. Ich möchte zu dieser Diskussion mit sieben Thesen beitragen: 1. Abhängigkeiten vermeiden Wir beziehen einen Teil der Waren aus Ländern, die politisch alles andere als stabil sind. Damit wird deren Instabilität auch zu unserem Problem. Das spricht nicht gegen den Handel mit solchen Staaten. Allerdings spricht es dagegen, sich in deren Abhängigkeit zu begeben, falls es vermeidbar ist. Denn wir wollen nicht von andern abhängig und damit erpressbar sein. Aber nicht nur die Abhängigkeit von einem einzelnen Anbieter ist heikel, auch totale Abhängigkeit vom Weltmarkt kann bei lebenswichtigen Gütern wie Nahrungsmitteln problematisch sein. Für mich ist darum klar, dass die Landwirtschaft nicht einfach eine wirtschaftliche Angelegenheit ist. Denn es geht um die Versorgung mit Lebensmitteln. Wie es das Wort sagt: Um Mittel zum Leben und Überleben. Darum ist es falsch, bei der Landwirtschaft einfach nur nach dem Preis und der Rentabilität zu fragen. Die Landwirtschaft erfüllt eine Aufgabe im Landesinteresse; sie leistet einen Beitrag zur Wahrung unserer Souveränität. Und sie leistet in einer Krisensituation einen Beitrag zum Überleben. Eine starke heimische Landwirtschaft und eine möglichst hohe Autonomie der Versorgung müssen uns etwas wert sein. 2. Selbstversorgungsgrad erhöhen, Produktionsfläche sichern Wenn wir die globalen Entwicklungen ernst nehmen wollen, muss es unser Ziel sein, den Selbstversorgungsgrad zu erhöhen. Nur so können wir Abhängigkeiten minimieren. Nur so können wir sicherstellen, dass es auch bei Lieferunterbrüchen oder Verknappungen nicht sofort zu Versorgungsengpässen kommt. Der Selbstversorgungsgrad kann allerdings nicht allein durch moderne Anbaumethoden gesteigert werden. Für die Produktion von Lebensmitteln braucht es nun halt einfach gutes Landwirtschaftsland. Jetzt ist es aber so, dass Land auch für anderes gebraucht wird: Es braucht Land für neue Wohnungen, es braucht Land für den Ausbau der Infrastruktur. Wenn man durch die Schweiz fährt, sieht man überall, wie Siedlungen sich ausbreiten und das Landwirtschaftsland zurückgeht. Das ist ja nicht erstaunlich bei dieser starken Zuwanderung. Aber es ist nicht unproblematisch, wenn im grossen Stil bestes Bauernland verbaut wird. Denn was einmal verbaut ist, das ist der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion für immer verloren. Es beunruhigt mich, wie schnell der Boden verschwindet, der uns ernähren soll. Ich meine, es ist darum höchste Zeit, dass wir unsere landwirtschaftliche Produktionsfläche für die Zukunft sichern. 3. Gute und gesunde Produkte herstellen Wir setzen auf Qualität, seit jeher. In allen Bereichen. Schweizer Qualität ist ein Markenzeichen, ein Wesensmerkmal unseres Landes. Da wollen wir bei den Nahrungsmitteln gewiss zuletzt darauf verzichten. Schliesslich geht es um unsere Gesundheit und um den Umgang mit Natur und Umwelt. Eine Industrielandwirtschaft mit Tiertransporten quer durch Europa kann uns Schweizern einfach nicht sympathisch sein. Unsere heimischen Lebensmittel zeichnen sich durch weltweit höchste Qualität aus. Das ist ein Wettbewerbsvorteil: Wer Schweizer Produkte kauft, der muss sich nicht vor einem Lebensmittelskandal fürchten. Die hohe Qualität hat aber auch direkte Auswirkungen auf die gesunde Ernährung der Bevölkerung und somit auf die Volksgesundheit sowie die Gesundheitskosten. Und vor allem sind gute und gesunde Produkte auch Lebensqualität. Wir wollen also weiterhin auf Qualität setzen. Das setzt aber eine professionelle Landwirtschaft voraus - und damit bin ich beim nächsten Punkt ... 4. Auf professionelle Landwirtschaft setzen Es ist toll, dass sich viele Leute hobbymässig mit Landwirtschaft befassen. Aber es ist tragisch, wenn richtige Bauern mit ihrem Betrieb so wenig verdienen, dass sie sich eine andere Arbeit suchen müssen und den Hof nur noch in der Freizeit betreiben können. Und es ist noch mehr als nur tragisch: Wenn wir unsere Landwirte von fähigen Berufsleuten zu Hobby-Bauern degradieren, verlieren wir unglaublich viel Know-how. Denn diese Berufsleute verfügen über das Wissen, wie wir die weltbesten Nahrungsmittel herstellen. Verlieren sie ihre Existenzgrundlage, verliert unser Land dieses Know-how und damit natürlich auch seinen hohen Qualitätsstandard. Das würde uns Jahrzehnte zurückwerfen. Und im Krisenfall ist es noch schlimmer, da ist es bei der Landwirtschaft wie bei der Armee: Man kann sie nicht einfach in wenigen Jahren wieder aufbauen. In der Krise kann man nicht mehr wettmachen, was man vorher versäumt hat. 5. Produzierende Landwirtschaft erhalten Eine ökologisch nachhaltige Produktion ist wichtig und stärkt das Vertrauen der Konsumenten in die Produkte. Aber wir müssen aufpassen, dass wir den Bogen nicht überspannen: Es kann nicht sein, dass vor lauter Nachhaltigkeit nicht mehr produziert werden kann. Alpenrosen sind schön, aber wir können sie nicht essen. Die Landwirtschaft soll eine Produktionsbranche sein, die eine Bedeutung für die Volkswirtschaft hat und nicht nur für die Landschaftspflege. Bauern sind Unternehmer und brauchen auch den nötigen Handlungsspielraum für unternehmerische Innovation. Mit der Überregulierung würgen wir kreative Entwicklungen der Branche ab. Oder anders gesagt: Zuerst schreibt man alles vor, und dann kritisiert man mangelndes Anpassungsvermögen an Marktentwicklungen. 6. Verarbeitende Industrie im Land behalten Was für die Herstellung gilt, gilt auch für die Weiterverarbeitung. Wir setzen alles auf die Qualität, hohe Standards sind wichtig. Aber passen wir auf, dass wir nicht mit unsinniger Überregulierung die Nahrungsmittelindustrie gegenüber ausländischen Konkurrenten schwächen oder sie zur Abwanderung ins Ausland zwingen. 7. Standort Schweiz stärken Und damit komme ich zu meinem siebten und letzten Punkt: Wir müssen ganz grundsätzlich unserem Wirtschaftsstandort Schweiz mehr Sorge tragen. Denn nicht nur die Landwirtschaft und die verarbeitende Industrie leiden unter immer mehr staatlichen Auflagen. Die zunehmende Regulierung belastet auch viele andere Branchen. Ich habe vorhin davon gesprochen, wie der härtere Konkurrenzkampf um Ressourcen die Welt prägen wird. Das ist die eine Seite der globalen Entwicklung. Die andere Seite ist der schärfere Konkurrenzkampf der Wirtschaftsstandorte. Wir sind dafür gut aufgestellt, wir haben innovative KMU, wir haben gut ausgebildete und tüchtige Arbeitnehmer, wir haben Rechtssicherheit und politische Stabilität. Aber wir haben leider auch die Tendenz, unseren Unternehmen mit immer noch mehr bürokratischen Vorschriften das Leben schwer zu machen. Passen wir auf, dass wir nicht mit Verboten und Auflagen all jenen einen Klotz ans Bein hängen, denen unser Land den Wohlstand verdankt!
Ein Land ohne Landwirtschaft, ein Land ohne Bauernstand verliert den Bezug zur Vergangenheit, zur Natur, zur Tradition, zum Brauchtum, zur Scholle - und damit verliert es seine Werte und Wurzeln. Als solches Land würden wir nicht mehr lange Bestand haben. (Text: Ueli Maurer) | |||||