Food aktuell
Varia
8.12.2013
Brasilianischer Forscher kritisiert Gentechnik



Prof. Antônio Ignácio Andrioli von der Universidade Federal da Fronteira Sud in Brasilien ist ein Kritiker des Anbaus von Gentech-Pflanzen. Der Anbau von Gentech-Soja berge nicht nur gesundheitliche Risiken, sondern führe auch zu einer zunehmenden Fremdbestimmung der Landwirtschaft im Anbauland. Und Europa müsse nicht wiederholen, was in Brasilien nicht funktioniert.


Brasilien ist der wichtigste Lieferant gentechnikfreier Soja für Europa. Während in den beiden anderen Hauptproduktionsländern USA und Argentinien kaum noch gentechnikfreie Soja angebaut wird, sind es in Brasilien immerhin etwa 20 Prozent. "In Brasilien bauen wir erst seit 10 Jahren gentechnisch veränderten Soja an", sagte Antônio Andrioli, der vereinfacht von Gensoja spricht, kürzlich bei einem Referat im deutschen Überlingen.

Ein Grund, dass es zum Anbau von Gensoja kommt, sind die Monokulturen. Jahr für Jahr wird dieselbe Pflanze auf derselben Fläche angebaut. Damit spezialisierten sich nicht nur der Landwirt, sondern auch die Unkräuter und Schädlinge und es wurde immer schwieriger, diese zu bekämpfen. Die Resistenzbildung machte dauernd neue Pflanzenschutzmittel notwendig.

Anstatt die Methode zu überdenken, weiteten die Grossgrundbesitzer die Anbauflächen aus. Die Gentechnik schien ein neuer Weg zu sein, die Nutzpflanzen zu schützen, indem man sie gezielt gegen Spritzmittel resistent machte. Ansonsten wären nicht nur die Unkräuter, sondern auch die Nutzpflanzen selbst vernichtet worden. Bild: Sojabohnen.

"Die Methode basiert auf töten", fasst es der Gentechnikkritiker zusammen. Es brauche immer wieder neue Giftstoffe, weil sowohl Unkräuter als auch tierische Schädlinge mit der Zeit gegen die Pflanzenschutzmittel resistent werden. Die Baumwoll-Kapseleule, eine Schmetterlingsraupe, habe sich auf diese Weise zu einem "Superschädling" entwickelt, der sich kaum stoppen lässt.

Natürliche Abläufe wieder verstehen

"Vielleicht ist die Vorgehensweise falsch", hinterfragt Andrioli die Gentechnik. Viele dächten, die Agrarchemiefirmen wollten den Bauern helfen. Doch in Wirklichkeit schafften sie immer neue Probleme. Man müsse wieder das Netzwerkartige in der Natur erkennen und verstehen. Alles, was auf den Feldern wächst, hängt zusammen. So gibt es Pflanzen, welche sich gegenseitig fördern oder hemmen. Mischkulturen und Fruchtwechsel basieren auf dieser Erkenntnis. "Es braucht mehr Wissen, um nachhaltig produzieren zu können", fordert der Wissenschaftler.

In Brasilien hat die Via Campesina, eine internationale Bewegung von Kleinbauern, zu der auch die schweizerische Uniterre gehört, eine neue alternative Universität aufgebaut, die Universidade Federal da Fronteira Sul UFFS. Viele Bauernsöhne und -töchter sowie Indios studieren an dieser Einrichtung, deren Vizepräsident Andrioli ist. Ein Ziel ist, dass eine ökologische und sozialverträgliche Landwirtschaft Alternativen zu Monokulturen und Gensoja entwickeln soll.

Pestizid-Rückstände

In Brasilien kommen pro Einwohner und Jahr 5,2 Liter Pflanzenschutzmittel. Nicht alles wird abgebaut, es gibt Rückstände in den Pflanzen, die für Mensch und Tier nicht ungefährlich sind. Anfangs habe die Regierung beim Breitbandherbizid Glyphosat den Grenzwert bei 0.2 mg/kg Soja festgelegt, doch erhöhte sie ihn bald. Heute lägen die Rückstände auch bei fachlich richtiger Anwendung bei 33 mg/kg. In Europa seien 20 mg/kg erlaubt, so Andrioli "Wer kontrolliert diese Rückstände in Europa?", fragt der Referent.

Nicht nur die Pflanzenschutzmittel, sondern auch die gentechnisch veränderten Lebensmittel bergen nach Ansicht Andriolis Gefahren. Es mache einen Unterschied, ob so genannte Langzeittests gerade einmal sechs Wochen oder vier Monate dauerten. Oft basierten die Zulassungen von gentechnisch veränderten Pflanzen auf Studien der Firmen, welche die Produkte herstellen. Selbst bei den Universitäten hinterfragt Andrioli die Unabhängigkeit.

Weniger Ertrag bei Gentechnik

Man möchte annehmen, dass der Ertrag von Gensoja grösser sei als von herkömmlichen Sorten. Doch dem ist nicht so. Die herkömmlichen Sorten sind ertragreicher, weil sie besser an die lokalen Gegebenheiten angepasst sind. Gentechnisch veränderte Pflanzensorten werden meistens importiert und "hinken" dem Zuchtfortschritt hintendrein. Nicht zuletzt werden bei Soja die Knöllchenbakterien zerstört, wenn man viel Glyphosat spritzt. Die Knöllchenbakterien haben die Fähigkeit, den Stickstoff aus der Luft zu binden und ihn der Pflanze verfügbar zu machen. Dieser verlorene Stickstoff muss dann über Düngemittel geliefert werden.

Trotz des höheren Ertrages von herkömmlichen Sorten setzen viele brasilianische Landwirte auf Gensoja, weil sie damit weniger Arbeit haben. Vor allem schätzen sie, dass sie die Kulturen nicht mehr hacken müssen. Es genügt, das Unkraut abzuspritzen. Allerdings hat dies auch seinen Preis. Landwirte, die so wirtschaften, geben 60 Prozent der Betriebskosten für Pflanzenschutzmittel aus. Der Landwirt arbeitet damit nicht nur der Industrie in die Tasche, sondern gebe es – wie der Referent sagt – auf, Bauer zu sein.

Der Bauer ist zugespitzt gesagt nur noch Traktorfahrer. Anstatt zu überlegen, was er selbst dazu beitragen kann, hohe Erträge zu erwirtschaften, verlässt er sich auf das Wissen der Industrie. "Der Landwirt macht sich selbst arbeitslos", fasst es der kritische Denker zusammen. Zurzeit steigt in Brasilien die Produktionsfläche und trotzdem zieht es immer mehr Menschen vom Land in die Städte. Der Staat lege Priorität darauf, die Grossbauern zu fördern, das heisst Betriebe mit über 2'000 ha. Nur 10 Prozent der staatlichen Hilfen gehen an die Kleinbauern.

"Gentechnik ist ein Rückschritt"

"Ich gehe davon aus, dass Gentechnik ein Rückschritt ist", hält der Andrioli fest. Man wolle damit eine 100-prozentige Wirkung, die man erstens nicht erreicht und zweitens schaffe man damit nur neue Probleme. Andrioli hat berechnet, dass die Produktionskosten bei herkömmlichen Sorten 43 Prozent tiefer liegen als bei Gensoja. Die Bauern, insbesondere die Grossgrundbesitzer, müssten sich bewusst werden, dass sie die Produktionsgrundlagen in den Händen halten und dürften sich nicht von der Industrie abhängig machen, die ganz andere Ziele verfolgt als eine nachhaltige Landwirtschaft.


Jeder gute Bauer ist in den Augen von Andrioli auch Umweltschützer, weil er die Produktionsgrundlagen erhalten will. Mit seinem Votum "Ich möchte, dass jeder Bauer Wissenschaftler wird", will der Forscher die Bauern ermuntern, sich nicht fremd bestimmen zu lassen. Den Europäern gibt der Gentechnikkritiker den Rat: "Europa muss nicht wiederholen, was in Brasilien nicht funktioniert."

Kein Mangel an gentech-freier Soja in Brasilien

Gentechnikfreie oder herkömmliche Soja gibt es auch jetzt noch in Brasilien genügend, nämlich 16 Mio. Tonnen. Das würde genügen, um den Sojabedarf der Tierhaltung in Deutschland und anderer EU-Länder zu decken. Gentechnikfreie Soja ist teurer, weil sie stärker nachgefragt wird und hohe Kontrollkosten bestehen. Es sei im Erzeugerland oft schwierig, herkömmliche Soja und Gensoja auf dem Markt auseinanderzuhalten. Richtigerweise müssten die Kontrollkosten nicht von den Produzenten der herkömmlichen Soja, sondern von den Verursachern des Problems, den Produzenten der Gensoja, getragen werden, so Antônio Andrioli. (Text und erstes Bild: LID)

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