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17.3.2014 Bio zwischen Ideologie und Kommerz
50 Milliarden Euro, rund 61,1 Milliarden Franken, wurden weltweit im Jahr 2012 für Bioprodukte ausgegeben. Der Schweizer Biomarkt wuchs im gleichen Jahr um 5,3 Prozent auf 1,83 Milliarden Franken. Und Marktführer Coop knackte im letzten Jahr erstmals die Milliarden-Grenze. In keinem Land der Welt geben die Leute pro Kopf mehr für Bioprodukte aus als in der Schweiz. Alles in allem also eine Erfolgsgeschichte. Die allerdings nicht allen passt: Zu viel Geschäft und zu wenig Achtung vor den Grundprinzipien des Biolandbaus, finden die Kritiker des eingeschlagenen Wachstumsweges. Was würde ein Biopionier der Bio 1.0-Generation wie Hans Müller aus den 1930er-Jahren heute denken, wenn er vor dem Biosortiment bei Coop mit Biotomaten aus Marokko, italienischem Bioapfelmus in der Büchse oder der Biofertigpizza stehen würde? Vielleicht würde er den Kopf schütteln. Vielleicht hebten sich aber die Mundwinkel von Müller zu einem zufriedenen Lächeln an, wenn er sähe, wie sich die Ideen "seiner" Biobewegung in den letzten Jahrzehnten erfolgreich in der ganzen Welt ausgebreitet haben. Er würde staunen über die in vielen Ländern gesetzlich festgelegten Bio-Standards und wie ein global funktionierendes Zertifizierungssystem deren Einhaltung garantiert. Es ist das Werk der Bio 2.0-Generation. Bio in der Mainstream-Falle? Ein Abbild dieser Entwicklung gibt die Branchenmesse Biofach in Nürnberg ab, die im Februar zum 25. Mal in Nürnberg stattfand. 42'000 Besucherinnen und Besucher aus der ganzen Welt – viele von ihnen Händler mit dichten Terminplänen –, drängten sich während vier Tagen zwischen den Ständen von über 2'000 Ausstellern aus allen Kontinenten. Von Gummibärchen, Wagyu-Fleisch, Baobab-Fruchtpulver bis hin zu in Flaschen mit abgefülltem Flüssigeigelb für die Industrie gibt es mittlerweile alles in Bioqualität. Ein paar Stockwerke höher über den Messehallen fand gleichzeitig der traditionelle Fachkongress statt, der sich in diesem Jahr ganz der Zukunft widmete. Unter dem Schwerpunktthema Bio 3.0 machten sich die Teilnehmenden Gedanken darüber, wie es mit dem Biomarkt weitergehen soll. Eine Trend- und Potenzialanalyse des Zukunftsinstitutes Österreich beschrieb dazu verschiedene Szenarien, die der Branche als Inspiration dienen sollten.
Als Megatrends wurden schwer greifbare Titel wie "Individualisierung", "Konnektivität", "Neo-Ökologie" oder "Globalisierung" definiert. Letztlich ging es in den Diskussionen darum, ob es im gegenwärtigen Mainstream weitergehen soll oder wieder mehr in Richtung Ursprungsideen des Biolandbaus. Viele Diskussionsteilnehmer haderten mit der zunehmenden Dominanz des Handels, der sich vor allem an wirtschaftlichen Kriterien orientiere. Bioprodukte sind zur austauschbaren Massenware geworden. "Ist der Biotomatenmarkt am Boden, drücken die Einkäufer emotionslos die Preise", sagte Volkert Engelsmann von der holländischen Firma Eosta. Es ging in den Foren aber auch um Schwierigkeiten im Umgang mit Kundschaft, die emotionslos Bioprodukte und Billigprodukte in den gleichen Einkaufswagen legt. Und die Bioszene hat noch ein anderes Problem: "Bio alleine reicht heute nicht mehr!", sagte Markus Fadl vom deutschen Anbauverband Naturland. Heute müsse ein Bioprodukt auch regional, fair und nachhaltig sein. Über diese Aussage würde sich Biopionier Müller bestimmt wundern: Waren das nicht einst unverrückbare Eckpfeiler der Biobewegung? Konkurrenz aus restlicher Landwirtschaft Was ist also passiert? Ganz einfach: Die Welt hat sich seit der Bio 1.0-Generation um Hans Müller weiterentwickelt. Der biologische Landbau spielte dabei in den letzten Jahren eine löbliche Rolle: Unter dem Druck der Bio-Erfolgsgeschichte entwickelt sich gerade in der Schweiz auch die restliche Landwirtschaft in Richtung mehr Ökologie. "Mittlerweile ist der Abstand deutlich kleiner geworden und die Unterschiede verwischen sich", beschreiben die Autoren des Organic 3.0-Berichtes des österreichischen Zukunftsinstitutes das Phänomen.
Noch deutlicher wurde Markus Fadl in Nürnberg: "Bio setzt den Massstab nicht mehr." Tatsächlich ist die Regionalität als Kaufargument mittlerweile wichtiger als Bio. Auch beim Thema Nachhaltigkeit sind die Grenzen nicht mehr so klar. Fünf Mal Unkrauthacken auf dem Acker ist möglicherweise energetisch weniger nachhaltig als eine einmalige Herbizidspritzung. Und die Erntearbeiter im Biolandbau verdienen kaum besser als ihre Kollegen in der üblichen Landwirtschaft. Wie will sich der Biolandbau in Zukunft in diesem Umfeld also wieder besser positionieren? Für Martin Köchli, Präsident des Bioforums Schweiz, ist klar, dass dafür wieder mehr an der Beziehung zum Kunden gearbeitet werden muss: "Der Konsument nimmt heute ein Bioprodukt aus dem Gestell heraus, wie wenn es dort gewachsen wäre, ohne die Hintergründe zu kennen." Köchli würde deshalb direkt dort ansetzen, wo heute die Beziehung zum Kunden abbreche. Kluge Marketing-Konzepte mit realistischem Inhalt seien dafür nötig: "Die Biobranche braucht mündige, gut informierte Kunden." Der Draht zwischen Produktion und den Konsumenten soll wieder direkter werden, beispielsweise mit Kooperativen. Der Tenor am Biofach-Kongress war ähnlich. Obwohl das Bioforum den Eintritt von Bioprodukten in den Massenmarkt kritisch beurteilt, ist für Köchli klar, dass sich dieser Dampfer nicht mehr aufhalten lässt: "Die Richtung können wir aber sehr wohl noch ändern." Vision einer modernen Biolandwirtschaft Wenn es nach Urs Niggli (Bild) geht, soll der Biodampfer auch in neue Gewässer gesteuert werden. Der Direktor des Forschungsinstitutes für biologischen Landbau (FiBL) hat relativ klare Visionen zu Bio 3.0. "Wir stolpern immer noch über das Bild einer idealen Welt, das wir uns selbst geschaffen haben", sagte er kürzlich in einem Referat, anlässlich eines Anlasses der Schweizer Agrarjournalisten. Das Bio-Ei aus der romantisierten Werbung wäre im Laden viel zu teuer. Es müsse mehr am Bild des Biolandbaus als moderne Landwirtschaft gearbeitet werden, sagte er. "Die Branche hat den Einsatz von modernen Methoden und Maschinen zu lange ablehnend betrachtet." Die Überführung von traditionellem Wissen in die Zukunft steht bei ihm nicht im Widerspruch mit der Nutzung von neuen Technologien. Dazu gehörten beispielsweise Mischkulturen, die konsequente Nutzung von Klee als Stickstoffquelle, die Gestaltung von vielfältigeren Fruchtfolgen dank Satellitennavigation. Wenn der FiBL-Direktor sogar öffentlich an die Verwendung von gentechnisch veränderten, schorfresistenten Apfelsorten denkt, führt das in der Branche eher zu verständnislosem Kopfschütteln. Mit solchen Äusserungen regt Niggli aber bewusst die Diskussion an. Zwar redeten viele über Bio 3.0, doch niemand wisse wirklich, was damit gemeint sei, sagte er. Diese Fragezeichen seien gut: "Man denkt in der Branche nun wieder mehr nach!" Offenbar hat sich im Erfolg der letzten Jahre eben doch etwas Trägheit breitgemacht. (Text: LID) Weiterlesen: Was ist eine nachhaltige Kost? | ||||||||||