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25.1.2015 Rückblick: Proviande-Symposium 2015
Alle zwei Jahre lädt «Schweizer Fleisch» Fachleute aus den Bereichen Ernährung, Gesundheit, Gastronomie, Wirtschaft und Politik zum Symposium «Fleisch in der Ernährung» ein. Am 22. Januar 2015 war es wieder so weit: Beim diesjährigen Symposium im Kongresszentrum BERNEXPO in Bern standen die historische Entwicklung und die neusten Trends in unserer Ernährung und insbesondere beim Fleischkonsum im Mittelpunkt. Aus der Geschichte lernen Mit seinem Einstiegsvortrag führte Philippe Ligron, Gastronomie-Historiker und Moderator beim Westschweizer Radio RTS, die Zuhörer in die Vergangenheit. Er zeigte auf, dass dem Fleisch seit jeher ein besonderer Platz in der menschlichen Ernährung zukommt. Wie auch die Jagd, blieb der Genuss von Fleisch aber über Jahrhunderte hinweg der reichen und privilegierten Oberschicht vorbehalten. Fleisch galt als Prestigeobjekt, mit dem man den eigenen Reichtum und die damit einhergehenden Privilegien zur Schau stellen konnte. Ebenfalls einen historischen Ansatz verfolgte Prof. Dr. Adrian Rufener von der Berner Fachhochschule. Er erläuterte, wie wichtig es für die menschliche Evolution war, dass unsere Vorfahren lernten, Feuer zu machen. Mit dem Feuer kam die Möglichkeit, Nahrung zu kochen – und aus gegarter Nahrung lässt sich einfacher und mehr Energie gewinnen. Genau diese Errungenschaft machte den Menschen laut Rufener zu dem, was er heute ist. Vom Körperbau und der Entwicklung des Gehirns bis hin zum sozialen Zusammenleben. Die Gegenwart verstehen Auch die heutige Fleischproduktion und der aktuelle Fleischkonsum in der Schweiz und im Ausland wurden ausführlich besprochen. So ging es Dr. Martin Scheeder in seiner Präsentation «Sieh, das Gute liegt so nah» hauptsächlich um die Vorteile von Schweizer Fleisch gegenüber ausländischem. Als Faktoren für die hohe Produktqualität führt er die tierfreundliche Haltung und die artgerechte Fütterung hierzulande an. Viele Regelungen sind in der Schweiz deutlich strenger als im restlichen Europa. Einen Überblick über die Esskultur in anderen Ländern und in den verschiedenen Religionen lieferte Beatrice Conrad Frey. Der mehrheitlich laktovegetarischen Ernährung Indiens beispielsweise stellte sie die Ernährungskulturen Chinas, Japans und der USA gegenüber. Die Ernährungsberaterin zeigte auf, welche Lehren unsere westliche Welt gerade aus der indischen Esskultur ziehen kann, und plädierte insbesondere für die Verwendung regionaler und saisonaler Produkte. Die Zukunft mitgestalten Magister Hanni Rützler aus Wien führte dem Publikum vor Augen, dass die Konsumentinnen und Konsumenten Dienstleistungen und Güter in Zukunft nicht mehr nur noch nach individuellen Bedürfnissen auswählen, sondern immer mehr auch soziale, ökologische und ethische Kriterien beachten werden. Diese Tatsache, Rützler sprach von einem regelrechten Paradigmenwechsel, stellt die gesamte Food- und damit auch die Fleischbranche vor eine grosse Herausforderung. Wer erfolgreich sein will, muss wie die Schweizer Fleischproduzenten qualitativ hochstehende und nachhaltige Produkte anbieten und deren Vorteile für die Konsumenten sichtbar und verständlich kommunizieren. Prof. Dr. Thomas A. Vilgis, Physiker am Max-Planck-Institut, untersucht die chemische Zusammensetzung von Fleisch und die Veränderung der einzelnen Bestandteile wie Proteine, Fette usw. während des Kochens. Im Mittelpunkt seines Referats standen das Sous-vide-Verfahren, die Niedertemperatur-Garmethoden und die Suche nach der Zubereitungsmethode für das saftigste und zarteste Fleisch. Der Fleischkonsum der Zukunft Im Rahmen der Podiumsdiskussion mit Mag. Hanni Rützler, Beatrice Conrad Frey, Philippe Ligron, Dr. Martin Scheeder und Heinrich Bucher, Direktor von Proviande, ging Patrick Rohr der Frage nach, wie unser Fleischkonsum sich künftig verändern wird. Alle Teilnehmenden waren sich einig: Wir werden auch in Zukunft Fleisch essen, denn es ist ein wichtiger Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung und ein beliebtes Genussmittel. Genau so einig waren sich die Referentinnen und Referenten aber darüber, dass es in Zukunft angemessen sein wird, weniger Fleisch zu essen – dafür aber Fleisch von besserer Qualität, also aus artgerechter Haltung und nachhaltiger Produktion. Einen wichtigen Trend sehen sie auch in der Nose-to-Tail-Küche, bei der das gesamte Tier verwendet wird und nicht nur Edelstücke wie Filet und Co. – aus Gründen der Nachhaltigkeit und aus Respekt gegenüber den Tieren. (Text: Proviande)
Die Referierenden und ihre Beiträge: Philippe Ligron, Senior Lecturer in Practical Arts, Brevet fédéral – DFAP, Lausanne: Fleisch in der Ernährung. Ein historischer Überblick. Dr. Martin Scheeder, Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittel- wissenschaften HAFL, Zollikofen, und SUISAG, Sempach: Sieh, das Gute liegt so nah. Die Vorzüge von Schweizer Fleisch. Mag. Hanni Rützler, Geschäftsführerin futurefoodstudio, Wien: Food Change – aktuelle Trends, Hintergründe und Potenziale. Beatrice Conrad Frey, dipl. Ernährungsberaterin FH, Roggwil: So isst die Welt. Die Bedeutung von Fleisch in anderen Kulturen. Prof. Adrian Rufener, MSc Gesundheitspädagogik, dipl. Ernährungsberater FH, Dozent an der Berner Fachhochschule, Bern: Vom Rohköstler zum Gourmetkoch. Die Rolle des Kochens in der menschlichen Evolution. Prof. Dr. Thomas A. Vilgis, Physiker, Max-Planck-Institut, Mainz: Fleisch: Biomaterial zwischen Physik, Chemie und Lebensmitteltechnologie. «foodaktuell.ch» präsentiert Kurzfassungen der Referate in mehreren Teilen. Hier Teil 1: die Referate von Mag. Hanni Rützler und Beatrice Conrad Frey: Food Change – aktuelle Trends, Hintergründe und Potenziale. Von Mag. Hanni Rützler, Geschäftsführerin futurefoodstudio, Wien Wir leben nicht so sehr in Zeiten des Wandels, als in einem Wandel der Epoche. Wir sind dabei das spätindustrielle Zeitalter zu verlassen, sind zugleich aber noch nicht wirklich im Wissenszeitalter gelandet. Dieser noch «unfertige» Epochenwechsel stellt die Lebensmittelbranche und damit auch Fleischproduzenten, aber auch die Konsumenten vor die komplexe Aufgabe, neue Lösungen für Probleme zu erarbeiten, für die viele Akteure mitunter noch nicht einmal ein Bewusstsein entwickelt haben. Es wird – um es mit einem anschaulichen Beispiel aus einem früheren Epochenwechsel zu verdeutlichen – in Zukunft nicht darum gehen, noch bessere Kutschen zu bauen, sondern mit dem Auto ein völlig neues Fortbewegungsmittel zu erfinden. Vor ähnlichen Herausforderungen wie seinerzeit die Hersteller von Fortbewegungsmitteln, steht nun die gesamte Foodbranche. Das alte Paradigma «billiger, schneller, mehr» funktioniert im Hinblick auf endliche Ressourcen, gesättigte Märkte und einer zunehmend aktiven und kritischen Kundschaft nicht mehr. Konsumenten werden in Zukunft nicht mehr weitgehend passive Verbraucher sein, sondern aktiven Prosumenten, die sich als Partner verstehen: Kunden, die nicht nur konsumieren, was ihnen angeboten wird, sondern die die Art und Weise ihres persönlichen Konsums bewusst – als Teil ihres Lebensstils und mit Rücksicht auf ihre Werthaltungen – gestalten und damit auch immer mehr Einfluss auf die konsumierten Waren und Dienstleistungen nehmen. Konsumenten begreifen sich dabei immer mehr auch wieder als Bürger. Das heisst sie nehmen sich nicht nur in ihrer Rolle, die sie im Wirtschaftssystem spielen, wahr, sondern auch in ihrer politischen und gesellschaftlichen Rolle. Prosumenten entscheiden beim Erwerb von Waren und bei Inanspruchnahme von Dienstleistungen nicht mehr nur nach dem individuellen Gebrauchswert, sondern mehr und mehr auch nach sozialen, ökologischen und ethnischen Kriterien. Das herrschende Paradigma von Lebensmittelproduktion, -vertrieb und -konsumation wird sich daher nachhaltig und radikal verändern. Und dies betrifft vor allem die Fleischbranche, die sich in Zukunft noch mehr mit den gesellschaftlichen Diskursen über Gesundheit, Ökologie und Ethik konfrontiert sehen wird. Wohin die Reise geht, lässt sich schon heute in neuen Food Trends lesen. Denn an den Rändern und in den Nischen der Branche finden wir schon heute zukunftsweisende Lösungsansätze und kreative praktische Umsetzungen, die wegweisende Entwicklungen vorzeigen, ausprobieren und damit proaktiv auf den Wandel reagieren. In meinem Vortrag mache ich mich auf die Suche nach Lösungsansätzen und innovativen Umsetzungen, beleuchte deren Hintergründe und verorte sie in den langfristigen sozialen, politischen und ökonomischen Veränderungsprozessen. Mehr Information: www.futurefoodstudio.at. So isst die Welt. Die Bedeutung von Fleisch in anderen Kulturen. Von Beatrice Conrad Frey, dipl. Ernährungsberaterin FH, Roggwil In dieser Präsentation werden einerseits die Einflüsse des Islams, des Judentums, des Hinduismus und des Buddhismus auf den Fleischkonsum beleuchtet, andererseits werden auch der gängigen Phrase «Andere Länder – andere Sitten» einige Worte gewidmet. Essen wird vielerorts nicht nur als Nahrung, sondern auch als etwas «Heilendes» wahrgenommen. So lebt man beispielsweise in Indien häufig lakto-vegetarisch und geht davon aus, dass die traditionelle Kost, die schmeckt, auch gesund hält. Auch weitere Faktoren welche die unterschiedlichen Esskulturen beeinflussen werden in der Präsentation aufgegriffen. Vier Esskulturen werden im Detail betrachtet. Worauf wird in China, Japan, Indien oder den USA Wert gelegt? Beispielsweise gelten in einigen Ländern raffinierte Getreideprodukte und Weissbrot als Statussymbol, da diese Lebensmittel aus westlichen Ländern stammen und somit als Zeichen von Wohlstand verstanden werden. Wie viel und wie oft kommt in diesen Ländern Fleisch auf den Tisch? Und nach welchen Ernährungsempfehlungen sollte sich die Bevölkerung richten? Die Zahlen des Fleischkonsums in der Schweiz und den angesprochenen Ländern verglichen mit den Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung regen zum Denken an. Auch werden interessante Aspekte aus dem Gespräch mit einem indischen Koch, der in der Schweiz ein Restaurant führt, Teil der Präsentation sein. Vergleiche von verschiedenen Esskulturen werden anhand von Bildern aus dem Buch «So essen sie!» von der Autorin Christine Imhof gezogen. Die Fotos zeigen Familien mit Ihrer Ration an Lebensmitteln, welche sie für eine Woche zur Verfügung haben. Wer wird mit wieviel Energie satt? Spielt der Genuss in jeder Kultur eine Rolle? Diese und andere Fragen werden in diesem Zusammenhang besprochen. Sowohl durch das Konsumverhalten der Bevölkerung und deren Wunsch nach immer günstigerem Fleisch, als auch durch die intensive Fleischproduktion öffnet sich die Schere zwischen Mangel und Überfluss immer weiter. Auf Kosten der Umwelt und der Menschen in Entwicklungsländern wird in Industriestaaten Fleisch im Überfluss konsumiert, obwohl ein zu hoher Verzehr von roten Fleischsorten als Risikofaktor für diverse Erkrankungen gilt. Zum Schluss werfen wir noch einen Blick auf Trends und deren Einflüsse auf unser heutiges Konsumverhalten. Inwiefern stehen diese Trends im Zusammenhang mit fremden Esskulturen? Sind aktuelle Trends wie z. B: vegane Ernährung oder «Steinzeiternährung» vertretbar, wenn wir die Welternährungssituation betrachten? (Letzte beiden Bilder: Arthur Rossetti) | |||