Food aktuell
Varia
8.2.2015
Ernährungssicherheit: Initiative / Gegenvorschlag?


Der Gegenentwurf des Bundesrates zur Ernährungssicherheits-Initiative hat zahlreiche Reaktionen ausgelöst. Während die einen die Kernanliegen der Initiative als nicht erfüllt erachten, halten die anderen Initiative und Gegenentwurf für überflüssig.


Den Bauernverband und das Initiativkomitee freue es, dass der Bundesrat den Handlungsbedarf erkannt habe. Eine Punktlandung sei ihm aber noch nicht gelungen, schreibt der SBV in einer Medienmitteilung. Für den Bauernverband sei es entscheidend, dass der Gegenvorschlag die Kernanliegen der Initiative aufnehme und die inländische Lebensmittelproduktion stärke. Der direkte Gegenentwurf greife zwar einige Ideen wie den Kulturlandschutz auf, er enthalte jedoch keine Gewähr für eine Stärkung der einheimischen Produktion.

Kritisch sieht der Verband auch den Punkt „Zugang zu internationalen Märkten”. Dieser dürfe keinen Abbau des bewährten und existenziellen Grenzschutzes beinhalten. Ebenfalls nicht übernommen worden sei die Notwendigkeit, den administrativen Aufwand zu reduzieren und die Rechtssicherheit zu gewährleisten. Der Verband und das Initiativkomitee wollen nun den Vorschlag im Detail analysieren und die fehlenden Kernanliegen in der Vernehmlassung wieder einbringen. Über das weitere Vorgehen der Initiative wird erst nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen entschieden.

Verein für eine produzierende Landwirtschaft (VPL): „Echte Anliegen verfehlt”

Der Verein - Mitinitiant der Initiative - sieht im Gegenentwurf keine Alternative. Dieser lasse viele Punkte ungeklärt, wiederhole Bestehendes und wolle die Agrarmärkte öffnen, heisst es in einer Mitteilung. Zudem würden die echten Anliegen der produzierenden Landwirtschaft verfehlt, namentlich die Stärkung der inländischen Produktion, die Reduktion des administrativen Aufwands sowie eine angemessene Rechts- und Investitionssicherheit. Der VPL hält deshalb an den Forderungen der Initiative fest.

Bio Suisse: „Falscher Zeitpunkt”

Die Initiative und der Gegenvorschlag kämen zum falschen Zeitpunkt, meint die Dachorganisation der Biobauern. Bio Suisse sei nicht bereit, die Stabilität der Agrarpolitik 14-17 durch eine langwierige Verfassungsdebatte mit ungewissem Ausgang wieder in Frage zu stellen. Dies zumal weder der SBV noch der Bundesrat bisher ihre konkreten Pläne zu Initiative resp. Gegenvorschlag auf den Tisch gelegt hätten. Auch habe noch niemand plausibel darlegen können, welche Ziele mit den bestehenden Mitteln nicht erreicht werden können. Bio Suisse unterstützt aus diesen Gründen weder aktiv die SBV-Initiative noch begrüsst die Organisation den Gegenvorschlag des Bundesrates.

Agrarallianz: „Karten müssen auf den Tisch”

Die Agrarallianz - Mitglieder sind u.a. Bio Suisse, IP-Suisse, die Kleinbauernvereinigung sowie diverse Natur- und Tierschutzorganisationen - fordert, dass die Karten auf den Tisch gelegt werden. Die Allianz will im Dialog erfahren, welche konkreten Gesetzesanpassungen der Bauernverband mit der Initiative erwirken will und welche Konsequenzen daraus für Konsumenten, Landwirtschaft, Markt und Umwelt zu erwarten sind. Dasselbe gelte für den Gegenentwurf des Bundesrates, heisst es bei der Agrarallianz. Insbesondere sei man gespannt darauf zu erfahren, warum die bestehende Verfassung nicht genügen soll, die Ernährungssicherheit auch weiterhin zu gewährleisten.

Vision Landwirtschaft: „Ablehnung in aller Form”

Der Gegenvorschlag gefährde ohne Not die bisherigen Fortschritte der Agrarpolitik 2014-17, schreibt Vision Landwirtschaft. Obwohl der Bund noch weit davon entfernt sei, den Verfassungsauftrag aus Artikel 104 tatsächlich zu erfüllen, wolle er den Text auf halbem Wege schon wieder anpassen. Dies sei abenteuerlich und werde die Agrarpolitik über Jahre noch irrationaler machen als sie in vielen Bereichen heute schon sei. Vision Landwirtschaft lehnt deshalb sowohl den Gegenentwurf als auch die Initiative in aller Form ab.

Schweizerische Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor (SALS): "Potenzielle gefährlich"

Der Gegenentwurf entspreche den Erwartungen nicht, hält die SALS in einer Medienmitteilung fest. Der Bundesrat anerkenne zwar die Bedeutung der Ernährungssicherheit, fahre aber ein falsche Strategie. Die Organisation hält den Gegenvorschlag gar für potenziell gefährlich, da die Ernährungssicherheit mit Lebensmittelimporten gewährleistet werde solle. Dies könne dem Agrarfreihandel Tür und Tor öffnen. Die SALS unterstützt deshalb weiter die Initiative des SBV.

Pro Natura: „Kein neuer Artikel nötig”

Die Naturschutzorganisation zeigt sich überzeugt davon, dass eine nachhaltige Schweizer Landwirtschaft keinen neuen Verfassungsartikel braucht. Sowohl die Initiative als auch der Gegenvorschlag seien unnötig, heisst es in einer Mitteilung. Sie brächten Verunsicherung für die Bauernbetriebe und Unruhe in die Agrarpolitik. Die Produktionsanreize seien bereits in der AP 14-17 sehr hoch und die Landwirtschaft in der Schweiz dürfe nicht intensiver als heute werden. Die Organisation betont zudem, dass das Kulturland über das Raumplanungsgesetz besser geschützt werden könne. (Text: LID)

Gewerbeverband: Marschbefehl ins Heidiland

Die Anzahl der aktuellen Volksinitiativen zur Agrarpolitik steht im umgekehrten Verhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung der Landwirtschaft: Gleich vier Volksbegehren sind aus der bäuerlichen oder grünen Küche lanciert worden, das Wahljahr 2015 lässt grüssen. Ökonomisch und nüchtern betrachtet ist der Befund klar: Alle diese Volksinitiativen sind entweder unnötig oder gar brandgefährlich.

Als erstes kommt die vom Schweizerischen Bauernverband mit grossem Erfolg lancierte Volksinitiative «für Ernährungssicherheit» aufs politische Tapet. Das Begehren klingt zwar sympathisch, ist jedoch schlichtweg unnötig. Der heutige, ausführliche und ausgewogene Verfassungsartikel 104 über die Landwirtschaft ist völlig ausreichend für eine in die Zukunft gerichtete, der Nachhaltigkeit und Qualität verpflichtete Agrarpolitik.

Insbesondere die berechtigte Forderung nach wirksamen Massnahmen gegen den Kulturlandverlust muss durch die Raumplanung auf der Kantons- und Gemeindeebene gelöst werden; eine neue abstrakte Verfassungsbestimmung schützt keinen zusätzlichen Quadratmeter Fruchtfolgeflächen. Das Gleiche gilt für die geforderte Umsetzung der Qualitätsstrategie und die Verringerung des administrativen Aufwands – ein Anliegen, das, wenn überhaupt, nicht nur für die Landwirtschaft, sondern für die gesamte Wirtschaft Gültigkeit erlangen sollte.

Ebenso unnötig ist die vom Bundesrat am 29. Oktober 2014 beschlossene Ausarbeitung eines direkten Gegenvorschlags. Es gibt genügend überzeugende Argumente gegen diese Volksinitiative. Bundesrat und Parlament sollten den Mut aufbringen, das Begehren möglichst rasch, ohne direkten Gegenvorschlag, Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten.

Auch wenn vor lauter Kult um den schwammigen Begriff der Ernährungssouveränität die Initiative keinesfalls unterschätzt werden sollte, gilt auch hier: Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Zudem sind rechtens zustande gekommene Volks­initiativen möglichst rasch und unverfälscht und ohne taktische Spielchen mit direkten und indirekten Gegenvorschlägen zur Abstimmung zu bringen. Das Trauerspiel rund um die Minder-Initiative hat genügend abschreckendes Anschauungsmaterial geliefert.

Zeitlich noch weiter weg ist die von den Grünen Ende Mai 2014 lancierte «Fair-Food-Initiative». Dafür ist sie umso extremer: In der Schweiz sollen nur noch Lebensmittel angeboten werden, die umwelt- und ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Bedingungen hergestellt werden. Diese hohen Anforderungen müssen auch die Importe erfüllen. Handelspolitische Konflikte und eine riesige Bürokratie zur Umsetzung sind so sicher wie das Amen in der Kirche. (Schweizerischer Gewerbeverband sgv, erschienen in der Gewerbezeitung 12.12.2014)


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