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5.5.2015 Gestern Fusionsküche, heute Hybrid Food
Der Trend zu Fusion Food, der vor allem die 1990er Jahre prägte, wurde von avancierten Köchen (in der Gastronomie ebenso wie am privaten Herd) bewusst initiiert. Pioniere wie Wolfgang Puck (in Kalifornien) oder Jean-Georges Vongerichten (in New York und London) begannen schon in den 1980er Jahren mit der gezielten Zusammenführung unterschiedlicher Küchentraditionen. Klassische Gerichte, die für ein Land oder eine Region als typisch gelten, wurden mit ungewöhnlichen Zutaten aus anderen Regionen zusammengebracht. Die Kombinationen fokussierten vor allem auf dem Konzept „East meets West“, auf die Verschmelzung von französischer (Hoch-)Küche mit den fernöstlichen (Hoch-)Küchen aus China und Japan. Hybrid Food dagegen hat etwas demokratisch Befreiendes. Es entwickelt sich auf vielen Ebenen zur kulinarischen Alltagspraxis in einer globalisierten Welt. Ob Mangos aus Indien, Tonkabohnen aus Südamerika oder Thai-Basilikum, Koriander und Kafirblätter – immer mehr exotische Produkte stehen auch im Supermarkt um die Ecke allen zur Verfügung. Seit die Küchen aus aller Welt in den Metropolen gleichberechtigt nebeneinander existieren, muss nichts mehr so gemacht werden, wie man es immer gemacht hat. Obst darf mit Gemüse kombiniert werden, Fisch mit Fleisch, Süsses mit Salzigem, Warmes mit Kaltem, asiatische Gewürze mit europäischen Spezialitäten.
Hybrid Food ist – aus kulinarischer Perspektive betrachtet – die zweite Seite der Medaille, die auf den Namen Glokalisierung hört: Hier – jetzt auch in der „Ersten Welt“ – findet die Kreolisierung der Küchen, dort die bewusste Rückbesinnung auf regionale, ja lokale Kochtraditionen statt. Migration, weltweiter Tourismus und Handel hinterlassen beim Essen, in der Küche und im Bewusstsein der Menschen auf dem ganzen Planeten ihre Spuren. Egal ob man sich des Reichtums und der Vielfalt der Lebensmittel und Küchentraditionen bedient und hybrid kocht oder sich durch strikte Beschränkung auf eine Region bewusst davon absetzt. Neuer Gegentrend zu Local Food Dass die lateinamerikanischen Küchen nun mit neuem Selbstbewusstsein die Gastrowelt erobern, ist eine weitere Auswirkung des Trends Hybrid Food. In den Einwanderungsländern Südamerikas hat das „Mash Up“ in der Küche eine lange Tradition. Und ihre Kochkultur fällt in europäischen Metropolen wie London (mehr als die Hälfte der Einwohner hat einen Migrationshintergrund) auf fruchtbaren Boden, wo – so Charles Bank von der britischen Agentur „the foodpeople“ – fast 40 Prozent der Restaurant-Neueröffnungen Fusion- bzw. Hybrid-Konzepte verfolgen. Ob Jason Athertons „Pollen Street Social“, Miles Kirbys „Caravan“ oder Cláudio Cardoso im „Sushisamba“ – in London wird Hybrid Food mit unverkrampfter Selbstverständlichkeit auch auf Sterne- und Haubenniveau zelebriert. „Now the world is one big village“, bringt es der Küchenchef des „Caravan“ auf den Punkt. Dass Menschen unterschiedliche Lebensmittel in ihre Rezepte integrieren, sei zwar immer schon so gewesen, doch jetzt sind alle Zutaten fast überall erhältlich. Besonders aber: „What’s different is that they are much more relaxed about it now.“ Und das gilt mehr noch in den kochaffinen Privathaushalten, in denen Koriander und Gargant, Quinoa und Chili, geröstetes Sesamöl, Fischsaucen und Verjus nach Lust und Laune mit Kohl und Karotten, Saibling und Chorizo verkocht werden – auch wenn das Ergebnis nicht immer dem strengen Geschmacksurteil eines Wolfram Siebeck oder Jürgen Dollase standhält.
Dass der Trend zum Hybrid Food auch neue Markenprodukte und Gastronomiekonzepte hervorbringt, ist natürlich naheliegend. Etwa den „CronutTM“ (ein Hybrid aus Croissant und Doughnut), den „Dun“ (eine Kreuzung zwischen Doughnut und Mun) oder den „Cragel“ (ein Bagel-Croissant-Zwitter). Zwei Monate und mehr als zehn verschiedene Rezepte hat es gebraucht, ehe der New Yorker Star-Konditor Dominique Ansel die richtige Mischung für seinen CronutTM gefunden hatte. Im Mai 2013 wurde das Gebäck zum ersten Mal verkauft. In wenigen Wochen entstand ein regelrechter Hype um den CronutTM, stundenlange Wartezeiten vor Ansels Bäckerei inklusive. Nun erobert das Trendgebäck Deutschland, auch wenn die Kalorienbomben von den hiesigen Anbietern nicht unter dem Namen „CronutTM“ verkauft werden dürfen - Ansel hat sich nämlich die exklusiven Namensrechte gesichert. Starbucks setzt auf das englische Pendant „Dun“, um das gleich nach der Markteinführung ein Patentstreit entstanden ist. Und weil dem Mixen und Kreuzen keine Grenzen gesetzt sind, gibt es nun auch noch den „Brun” als pikante Variante: einen Brioche-Mun-Hybrid, gefüllt z.B. mit Salami, Parmesan und Pesto. Supermarkt als Restaurant Auch im Handel wird es in Zukunft immer gemischter zugehen. Kein Geringerer als Jamie Oliver hat den Trend zu Hybrid Food mit seinem Concept Store im trendigen Londoner Stadtteil Notting Hill konsequent als erster in die Retail- und Gastronomiebranche umgesetzt: Im „Recipease“ kann man auf zwei Etagen Markenprodukte und -Tableware von Jamie Oliver kaufen, Kaee trinken und Snacks essen oder – mit Unterstützung von Pro-Köchen – sich selbst ein Mittags- oder Abendmenü zubereiten, das vor Ort gegessen oder als DIY-Take-Away mit nach Hause genommen werden kann. Das Konzept wird nicht nur von den Briten enthusiastisch angenommen. Auch hierzulande verschwimmen die Grenzen zwischen Supermarkt (Besuch zum Einkauf für den Heimverzehr) und Restaurant (Besuch zum Verzehr Out-of-home) immer mehr. In Köln und Heidelberg testet Rewe an jeweils zwei Standorten seit Kurzem sein Hybrid-Konzept „Made-By-Rewe“, in dem auch selber gekocht werden kann.
Hybrid Food wird in Zukunft als kulinarischer Ausdruck der Globalisierung selbstverständlicher und ungezwungener serviert werden. Überzeugende Rezepturen sind dennoch nicht beliebig, denn sie setzen beim Koch hohe geschmackliche Sensibilität voraus. Explizite Hybrid-Kreationen wie CronutsTM & Co. sind jedoch – wie viele andere Produkt-Trends – reine Modephänomene. Als zukunftsfähig werden sich jedoch kluge Retail-Gastro-Hybride erweisen: Supermärkte und Restaurants, in denen man einkaufen, kochen und essen kann; Buchhandlungen, die ein Mittagsmenü aus einem aktuellen Kochbuch anbieten; Designshops, die neben Wohn- und Küchenaccessoires auch Feinkostwaren im Sortiment führen. (Text: Food Report 2015, Hanni Rützler, www.zukunftsinstitut.de) Die beliebtesten New Yorker Zwitter-Snacks Cragel: Kombination aus Croissant und Bagel. Cronut: Kreuzung zwischen Croissant und Doughnut. Cuffin: Hybrid aus Cookie und Muffin. Flagel: Kombination aus Fladenbrot und Bagel. Pizzaburger: Hamburger, eingewickelt in eine Pizza und gefüllt mit Käse, Pizzasauce und Speck, garniert mit Salatblatt, Tomate und Essiggurke. Sushi Tacos: In verschiedenen Varianten im Angebot: Thunfisch Sashimi Tostada, Sushi-Röllchen, gefüllt mit Avocado und Chipotle-Sauce oder Gemüse, Fleisch und Bohnenmus in einer Tortilla-Rolle. Sushirrito: In Reispapier nach Lust und Laune eingewickelte Zutaten aus der lateinamerikanischen und asiatischen Küche, die als Burrito serviert werden. (Quelle: HetGZ 6.3.2014) Food-Trends der Zukunft: der Food report 2015 Bereits vor 10 Jahren veröffentlichte das Zukunftsinstitut die erste Food-Trend-Studie der renommierten Ernährungsexpertin und Food-Trend-Forscherin Hanni Rützler. Im Jahr 2013 stand Rützler durch die Verkostung des ersten Burgers aus In-Vitro-Kultur im Mittelpunkt der weltweiten Öffentlichkeit. Welche Trends werden die Foodbranche nachhaltig prägen? Und welche Chancen eröffnen sich dadurch für Handel, Produzenten und Gastronomie? Hanni Rützler (Bild) beschreibt in ihrem Food report 2015 eindrucksvoll wie Hybrid Food, Soft Health, „Do it yourself“ (DIY) Food und Food Pairing die Esskultur zukünftig beeinflussen werden und gibt hilfreiche Tipps wie diese Trends von Branchen genutzt werden können. Schwerpunkte bilden in diesem Jahr die Themen Fleisch und Gastronomie. Zudem wirft Rützler einen Blick auf den Konsumenten von morgen. Quelle: Food Report 2015. www.zukunftsinstitut.de | |||||||