Food aktuell
Varia
7.10.2015
Innovationen gezielt fördern aber wie?

Früher hat die Migros mit Imitationen von sich reden gemacht, heute ist sie selber innovativ. Bei der Micarna-Gruppe gibt es seit einem Jahr sogar ein Innovationsmanagement.



Ein Beispiel einer Verpackungsinnovation von Micarna ist die Paperlite-Verpackung: Bio-Charcuterie-Verpackung, welche rund 60 Prozent weniger Plastik aufweist.


Innovationen sind eine langfristige Wettbewerbsstrategie und sollten nicht dem Zufall überlassen werden. Die Frage ist aber, wie man innoviert. Die Zeiten, als nur der Firmenpatron gute Ideen haben und diese umsetzen durfte, sind schon lange vorbei. In einem modernen Unternehmen geht das Thema jeden Mitarbeitenden etwas an, nicht nur die Entwicklungsabteilung. Was sich früher Vorschlagwesen nannte, kann heute professionell gemanagt werden. Dies ist auch nötig, denn beim Innovieren gibt es viele Stolpersteine, oft unbewusste.

So etwa die Firmenkultur: Nehmen Chefs und Kollegen Ideen von andern überhaupt ernst? Werden sie geprüft, im Fall eines Erfolgs honoriert oder vielleicht schon in einem Frühstadium abgewürgt, weil sie von der «falschen Seite» kommen? Wer damit rechnen muss, ausgelacht zu werden, wenn er einen unkonventionellen, konstruktiven Vorschlag macht, hält in Zukunft den Mund. Auch wer sieht, dass gute Ideen allenfalls gestohlen werden.

Wie man Innovationen richtig fördert, seien es Neuheiten bei Produkten, Verpackungen, Prozessen oder Marketingmethoden, lehrt ein professionelles Innovationsmanagement. Die Micarna ist eine der wenigen Unternehmen der Lebensmittelbranche, die ein solches systematisch organisiert und vor einem Jahr sogar einen vollamtlichen Innovationsmanager engagiert hat. Die Redaktion hat nachgefragt, welche Aufgaben dieser hat und wie die Firma ihre Innovationstätigkeit und ihre Produktentwicklung organisiert.

Die kulturellen Voraussetzungen bei der Micarna sind ideal, war doch deren Unternehmensleiter Albert Baumann früher selbst Entwicklungsleiter in der eigenen Firma und somit ein seelenverwandter Innovator. Er gewann im Januar 2015 den SwissAward für sein Projekt der Lernendenfirma Mazubi, bei der Micarna-Lernende mithilfe von Coaching selbst eine virtuelle Firma führen und dabei unternehmerisches Denken üben können. Dieses Beispiel zeigt auch, dass die Innovation nicht auf Produktneuheiten beschränkt ist sondern in allen Bereichen eines Unternehmens vorkommt.

Ideen brauchen fruchtbaren Boden

Das Innovationsmanagement ist die Methodik, Innovationen zu fördern, Stolpersteine zu vermeiden und Effizienz sowie Erfolgschancen zu verbessern. Für Firmen, die ein solches implementieren wollen, gibt es mehrere branchenübergreifende Beratungsfirmen, gute Fachliteratur und Kurse wie zB Kreativ-Workshops bei Idee-suisse (www.idee.suisse.ch) oder bei der Berner Kreativschule GrimmKomm (www.grimmkomm.ch).

Selten findet eine Firma einen Kandidaten für eine Managementstelle, der diese Erfahrung bereits mitbringt, daher sind Weiterbildungen angezeigt. Aber das Wichtigste, damit ein Innovationsmanagement auf fruchtbaren Boden fällt, ist wie erwähnt die richtige Firmenkultur, oft Betriebsklima genannt. Und der ehrliche Wille der obersten Leitung, welche auch die nötigen Ressourcen gewähren muss, vor allem zeitliche.

Die Micarna-Gruppe sieht sich in ihrer Vision als kundenorientierte, leistungsstarke und innovative Leaderin im Schweizer Fleisch- und Seafood-Geschäft. «Daraus ist das Bekenntnis zur Innovation erkennbar», sagt Manfred Bickel, seit einem Jahr Innovationsmanager bei der Micarna. «Verankert ist dies in unserer Innovationstrategie, welche auf Basis von fünf Innovationssäulen «Genuss mit gutem Gewissen» erlebbar machen möchte. Im Fokus stehen Produktneuheiten, die begeistern, sowie Geschäftskonzepte, mit denen sich unsere Kunden profilieren können und kontinuierliche Verbesserungen unserer Abläufe».

Wichtig sei das «Schneeballprinzip», d.h. alle Mitarbeitenden sollen Ideen einbringen und einander dazu motivieren. Der Innovationsmanager ist dabei wie ein Moderator und keineswegs ein Ideen-Monopolist. Auch Kaderpersonen sollen gemäss der Managementlehre kein Vorrecht geniessen, dass ihre Ideen mehr Beachtung erhalten. «Meine Aufgabe ist, als Bindeglied, Networker, Coach, Visionär, Querdenker, Methodenvermittler und Kulturförderer zu agieren. Die Kunst besteht darin, zusammen mit den Mitarbeitenden Trends zu erkennen und neue einzigartige Ideen zu generieren», so Bickel, der früher Geschäftsstellenleiter im Textilverband Schweiz war.


Micarna-Innovationsmanager Manfred Bickel


Micarna fördert die Kreativität mit Workshops, Kooperationen mit externen Beratern, Ideenmanagementmethoden wie z.B. Brainstorming sowie Fachsymposien. Auch den traditionellen Vorschlagbriefkasten gibt es, aber er heisst jetzt «Ideenmanagment» und ist eine E-Mail- bzw. Postadresse. Und nicht zuletzt motiviert ein finanzieller Anreiz für erfolgreich eingeführte Ideen.

«Der Fokus unseres Innovationsmanagements ist dabei losgelöst von der Produktentwicklung. Ziel ist es, über diese hinaus Innovationen zu generieren. Dies fordert von den Mitarbeitenden, Innovation nicht ausschliesslich in Form von Produktneuheiten zu sehen, sondern über den Tellerrand zu schauen beziehungsweise quer zu denken, wo man unabhängig von der Produktelinie innovieren könnte», so Bickel. Es braucht auch ein minimales Wissen zum entsprechenden Thema, um überhaupt auf neue Ideen zu kommen, die nicht schon anderswo realisiert sind. Um dies zu recherchieren, bietet heute Google das wirkungsvollste Instrument und liefert sogar Patentliteraturtreffer.

Kreativität trainieren

Für die Ideenfindung gibt es diverse Methoden und sogar Kreativitätstrainings. Wenn sie Wirkung zeigen und sich genügend Mitarbeitende beteiligen, sprudeln meistens viele Ideen, naheliegende und visionäre, praxisbezogene und revolutionäre, verrückte und scheinbar verrückte. Alle sollten nach denselben Kriterien seriös geprüft werden und dies unabhängig davon, wer sie einbrachte. Zu den üblichen technischen, marketingstrategischen und kalkulatorischen Kriterien kommt bei der Micarna auch die Nachhaltigkeit dazu. «Auf unserem Innovationsradar figurieren auch futuristische Technologien wie Laborfleisch und 3D-Drucker. Wir haben bereits einmal versuchsweise einen Burger gedruckt», verrät Bickel.

Wird eine Idee akzeptiert, gründet man ein Projekt, womit eine weitere Management-Wissenschaft ins Spiel kommt, das Projektmanagement. Auch Projekte müssen professionell gemanagt werden. Meilensteine darin sind der Realisierungsentscheid und die Erfolgskontrolle. Ein Innovationsteam aus allen Geschäftsbereichen der Micarna-Gruppe unterstützt die schrittweise Umsetzung. Abgelehnte Ideen bedürfen einer sachlichen Begründung, damit die Ideenlieferanten Rückschlüsse daraus ziehen können. Oft macht es Sinn, sie später wieder zu prüfen, wenn sich allenfalls die Rahmenbedingungen der Technik oder des Marktes geändert haben. Nicht selten kommen gute Ideen erstmals einfach zu früh.

Um Ideen zu fördern, sind auch informelle Kanäle wichtig. Managementexperten stellen fest, dass z.B. während Kaffeepausen, wo sich Mitarbeitende unterschiedlicher Abteilungen treffen, viele wertvolle Ideen geboren werden. Ein Grund ist der, dass der Mensch eher spontan im lockeren Rahmen kreativ wird als bei Kommando oder unter Druck. Die Micarna ist sich dessen bewusst, aber als Konzern an mehreren Standorten sind solche Begegnungen oft nicht im Rahmen von Kaffeepausen möglich, «jedoch treffen wir uns regelmässig in gemischten Gruppen, in denen alle Hierarchiestufen zusammenkommen», so Bickel. (GB)

Nur realisierte Neuheiten sind Innovationen

Als Innovation gilt eine Invention (Betriebsneuheit, Marktneuheit, Weltneuheit), wenn sie verwirklicht wird. Die Innovationsarten sind:
1. Produktinnovationen, d.h. Neuerungen bei Produkt, Verpackung sowie Dienstleistungen
2. Verfahrensinnovationen: Neuerungen in den Leistungserstellungsprozessen organisatorischer oder technischer Art (günstiger, rascher, hochwertiger, sicherer, ökonomischer etc)
3. Marketinginnovationen: Neuerungen bei Absatz, Werbung, Promotion, Preisgestaltung etc


Ein guter Ort für die Recherche von innovativen Neuheiten sind die Innovations-Sondershows der internationalen Messen. Für technische Recherchen ist die Patentliteratur-das Richtige.



Tipps für Tagungen zum Thema Innovation

Innovation und Innovationsmanagement waren ein Thema am Swiss Food Tech Day 18.9.2015 an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften BFH-HAFL in Zollikofen. Das Innovationsnetzwerk Swiss Food Research präsentierte seine Tätigkeiten der forschungsbasierten Innovation. Dozent Patrick Bürgisser wies darauf hin, dass Innovationsmanagement, Produktentwicklung und Projektmanagement zur Ausbildung der Hochschule gehören, dass die Studenten Innovationsprojekte bearbeiten und dass die HAFL Beratung zu Innovationsprozessen offeriert. Weitere Tagungen zur Innovation stehen bevor:

Schweizerisches Verpackungsinstitut SVI: Tagung «Kennen Sie die zukünftige Lebensmittelverpackung?». Referat von Martin Amann, Gründer, Institut für limbische Kommunikation, Erlenbach: Müssen 80-90 % der Innovationen im Lebensmittelbereich als Flop enden? Am 6.11.2015 in der EMPA Dübendorf. www.svi-verpackung.ch

Im Rahmen des DLG-Forums Innovation 2015 diskutieren Experten über aktuelle Innovationsstrategien in einem dynamischen Marktumfeld. Die Veranstaltung findet am 24. und 25. November 2015 in Frankfurt am Main statt. www.dlg.org/forum-innovation

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