Varia | ||||||
2.12.2015 Vollständige Milchmarkt-Liberalisierung Freihandelsabkommen könnten in ein paar Jahren zu einem weiteren Abbau des Grenzschutzes führen. Und damit die Schweizer Milchwirtschaft stark unter Druck setzen. Die Branche will sich bereits jetzt fit machen für den härteren Wettbewerb – mit einer neuen Strategie.
Einkaufstourismus, tiefe Produzentenpreise, steigende Käse-Importe: Die Schweizer Milchbranche kämpft derzeit an vielen Fronten. Langfristig muss sie wohl mit einem ganz anderen Problem klarkommen: Einer vollständigen Öffnung des Milchmarktes. Das wurde am "Milchforum" deutlich, welches von den Schweizer Milchproduzenten (SMP) organisiert wurde. Der Milchmarkt ist derzeit teil-liberalisiert: Seit 2007 gilt beim Käse Freihandel zwischen der Schweiz und der EU, Produkte wie beispielsweise Trinkmilch oder Butter ("Weisse Linie") sind hingegen vor der ausländischen Konkurrenz durch Zölle geschützt. Sinkende Preise erwartet Matteo Aepli, Agrarökonom an der ETH Zürich, bezeichnete eine weitere Marköffnung als grösste Herausforderung für die Schweizer Milchbranche. Der Abbau des Grenzschutzes intensiviere den Wettbewerb, führe zu sinkenden Preisen, lasse die Milchproduktion sinken (falls es keine Begleitmassnahmen gibt) und fördere den Strukturwandel bei Bauern und Verarbeitern. Vor allem austauschbare Produkte wie Butter oder Milchpulver, bei denen eine Differenzierung zum Ausland schwierig ist, werden es laut Aepli schwer haben. Der Druck, den Markt zu öffnen, gehe von den Freihandelsabkommen aus, die derzeit überall auf der Welt ausgehandelt werden bzw. bereits fertig verhandelt sind. Handelspolitisch laufe derzeit bedeutend mehr als noch vor ein paar Jahren, so Aepli. Die WTO-Verhandlungen seien zwar ins Stocken geraten, einzelne Staaten hätten deshalb selbst die Initiative ergriffen und würden nun multilaterale Abkommen aushandeln. Vor kurzem wurden etwa die Gespräche über das Transpazifische Abkommen (TPP) abgeschlossen, mit welchem die weltweit grösste Freihandelszone entstehen wird. Die EU gab kürzlich bekannt, mit Australien und Neuseeland Verhandlungen aufnehmen zu wollen. Schliesslich verhandeln derzeit die USA mit der EU über ein Freihandelsabkommen (TTIP).
Für Aepli ist klar: "Wenn die Amerikaner und die EU zu einem Abschluss kommen, muss die Schweiz etwas unternehmen, damit die hiesige Wirtschaft keine Nachteile hat." Die Landwirtschaft werde dabei wohl kaum ausgeklammert. "Es besteht die Gefahr, dass Verhandlungsergebnisse zwischen anderen Wirtschaftsräumen übernommen werden müssen ohne grossen Spielraum", so Agrarökonom Aepli. Immerhin: Die Milchbranche habe Zeit, um sich für eine Milchmarktöffnung zu rüsten, denn Liberalisierung kommt laut Aepli frühestens in 10 Jahren. Trümpfe ausspielen Bis dahin müsse die Schweizer Milchbranche über einen Plan verfügen, wie sie in einem offenen Markt bestehen könne, sagte Markus Zemp, Präsident der Branchenorganisation Milch (BOM), im anschliessenden Podiumsgespräch. Die BOM habe deshalb begonnen, eine "Mehrwert- und Qualitätsstrategie" auszuarbeiten (siehe unten). Ziel sei es, Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln, die man dann auf dem Markt ausspielen könne. Die Schweiz verfüge über viele Trümpfe: Strenger Tierschutz, hohe Milchqualität, schöne Landschaften, Familienbetriebe sowie Kühe, die auf die Weide dürften. "Wir müssen Schweizer Werte in unsere Produkte hineinpacken", forderte Zemp. Zudem brauche es starke Marken, wie es sie in der Fleischbranche beispielsweise mit "Natura-Beef" gebe. Heumilch als Vorbild Markus Willimann, Präsident der Vereinigung der Schweizerischen Milchindustrie, forderte angesichts der drohenden Marktöffnung einen Schulterschluss innerhalb der ganzen Milchbranche. Zudem brauche es Begleitmassnahmen, etwa in Form einer Milchgeldzulage. Anders als die Milchproduzenten fürchten sich die Milchverarbeiter weniger vor einer Liberalisierung. Willimann: "Die Milchwirtschaft schaut entspannt auf eine allfällige Öffnung." Die Schweizer Milchbranche müsse neue Exportmärkte aufbauen, regte Willimann an.
Unterstützt wurde er von Erhard Richarts vom Forschungszentrum für Ernährungswirtschaft in Kiel, der ebenfalls riet, vermehrt in den Export zu gehen. Auch hochpreisige Milchprodukte könnten – in Kombination mit cleverem Marketing – auf dem EU-Markt abgesetzt werden. Er erinnerte an die österreichische Milchwirtschaft, die mit ihren Heumilch-Produkten Export-Erfolge feiere. Dem widersprach BOM-Präsident Zemp: "Ich wehre mich dagegen, wenn wir nur im Export eine Chance sehen." Zuerst müsse im Inland der Marktanteil gehalten werden. Aepli sah in der Positionierung als "Spezialität" und "Regionalprodukt" eine Chance für Schweizer Milchprodukte, um sich von der ausländischen Konkurrenz abheben zu können. Milchbranche: Mit neuer Strategie in die Zukunft Um im Konkurrenzkampf mit dem Ausland bestehen zu können, entschied der Vorstand der Branchenorganisation Milch im Herbst 2015, eine "Mehrwert- und Qualitätsstrategie" auszuarbeiten. Die Arbeiten dazu stünden noch ganz am Anfang, erklärt BOM-Geschäftsführer Stefan Kohler. Im Dezember würden Projektleiter von allen wichtigen Akteuren der Milchbranche sich zu einer Sitzung treffen und Aufträge definieren, welche schliesslich von Arbeitsgruppen bearbeitet würden. Ziel sei es unter anderem, die Mehrwerte von Schweizer Milchprodukten zu bestimmen und Qualitätskriterien zu definieren, welche dann bei der Vermarktung in die Waagschale geworfen werden könnten, erklärt Kohler auf Anfrage. (Text: LID, erstes Bild: SMP) | ||||||