Food aktuell
Varia
14.9.2006
Wie entsteht unerwünschtes Acrylamid?

Hintergrundwissen zu Acrylamid: Bildungsmechanismus, Lagerung von Kartoffeln, Zubereitung von Kartoffelprodukten und wissenschaftliche Erkenntnisse.


Der wichtigste Entstehungsweg des krebs-verdächtigen Acrylamids ist bekannt: Zersetzung der Aminosäure Asparagin unter Mithilfe reduzierender Zucker. In der Kartoffel limitieren Zucker die Acrylamidbildung, weil Asparagin normalerweise im Überschuss vorliegt. Diese neuen Erkenntnisse helfen, Bedingungen z.B. für die Lagerung von Kartoffeln und die Zubereitung kritischer Lebensmittel zu optimieren.

Vor vier Jahren hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass Acrylamid vor allem aus der freien Aminosäure Asparagin gebildet wird, die in der Kartoffel in hoher Konzentration vorkommt und als Speicher für Stickstoff dient (erstmals publiziert anfangs Oktober 2002). Asparagin zersetzt sich bei erhöhter Temperatur unter Verlust von Kohlendioxid und Stickstoff. Dieser Zerfall setzt aber vorgängig die Reaktion mit einer Substanz voraus, die eine Carbonylgruppe trägt. Die wichtigsten derartigen Partner sind die reduzierenden Zucker Fructose und Glucose.

Nach längerer Erhitzung verschwinden diese Zucker allerdings und andere Verbindungen scheinen diese Funktion zu übernehmen. Chemische Reaktionen zwischen reduzierenden Zuckern und Aminosäuren werden unter dem Oberbegriff der Maillard-Reaktion zusammengefasst und finden in den meisten erhitzten Lebensmitteln statt. Sie führen zu Verbindungen, die für Erhitzungsaromen und Bräunung verantwortlich sind, aber offenbar auch zu toxischen Substanzen.

Diese Erkenntnis über den Bildungsweg erleichtert die Interpretation der Beobachtungen und hilft damit vorauszusagen, in welchen Lebensmitteln sich durch starke Erhitzung viel Acrylamid bildet.

In Kartoffeln wird die Bildung von Acrylamid allerdings nicht von Asparagin, sondern von den reduzierenden Zuckern, vor allem von der Fructose, gesteuert. Dies erklärt sich durch die Konzentrationen der beteiligten Substanzen: Bezogen auf das Frischgewicht enthält die Kartoffel rund 0.4-0.8 % Asparagin, aber nur 0.005-0.2 % Fructose, typischerweise etwa 10 Mal weniger als Asparagin. Normalerweise begrenzen Fructose und verwandte Verbindungen die Acrylamidbildung - sonst wären die Acrylamidkonzentrationen in Kartoffelprodukten noch wesentlich höher.



Experimente mit zugesetzter Fructose bestätigen, dass die Acrylamidbildung eine Nebenreaktion der Maillard-Reaktion ist, die glücklicherweise mit einer schlechten Ausbeute (selten mehr als 0.1 % bezogen auf das Asparagin) abläuft. Erst wenn die Konzentration der Fructose jene von Asparagin überschreitet, beeinflusst auch die Konzentration von Asparagin die Bildung von Acrylamid merklich.

Für die Senkung der Acrylamidbildung wird auf diese Weise erklärbar, was im Sommer empirisch gefunden wurde: Der wirksamste Weg, die Acrylamidbildung in Kartoffelprodukten über die Wahl der Kartoffel einzuschränken, führt über eine Reduktion der Zucker.

Tatsächlich schwanken die Konzentrationen der reduzierenden Zucker in der Kartoffel in einem weiten Bereich: Eine zuckerarme frische Kartoffel enthält kaum 100 mg/kg Fructose, eine zuckerreichere über 3000 mg/kg. Die Experimente bestätigten, dass zuckerreichere Kartoffel ein ungefähr entsprechend höheres Potential zur Acrylamidbildung haben.

Optimierte Rohstoffe

Für die Kartoffel bestätigte sich der Befund, dass sich die Lagerung bei unter 8 °C bezüglich Acrylamid ungünstig auswirkt: Die Gehalte an Fructose stiegen bei 4 °C auf 1500-3000 mg/kg Frischgewicht, wobei sich die für frische Kartoffeln beobachteten Unterschiede ausglichen, d.h. in einer ursprünglich zuckerarmen Kartoffel stieg der Fructosegehalt um einen Faktor von ca. 50, bei einer zuckerreichen nur um einen Faktor von 2-3. Die Potentiale zur Bildung von Acrylamid erhöhten sich parallel. Der Anstieg erfolgte verschieden schnell. Bild: Agria eignen sich für Fritiertes, weil sie wenig zur Zuckerbildung neigen.


So stieg das Potential zur Acrylamidbildung in der einen Kartoffel bereits innerhalb 36 Stunden auf das Doppelte, während bei anderen dafür mindestens 10 Tage nötig waren. Rekonditionierung der Kartoffeln bei höheren Temperaturen senkt den Gehalt an reduzierenden Zuckern wieder etwas, aber bei weitem nicht mehr auf das ursprüngliche Niveau.

Verbesserte Zubereitung

Die Acrylamid-Konzentration in zubereiteten Lebensmitteln kann stark beeinflusst werden. Beispielsweise enthielten Röstis aus den gleichen Kartoffeln mit einer für ein gehobenes Restaurant genügenden Qualität (gemäss Hotelfachschule Belvoirpark, Zürich) zwischen 100 und 2000 µg/kg Acrylamid. Die Belastung durch gebratene, gebackene oder frittierte Kartoffelprodukte kann wohl im Mittel um einen Faktor 5 gesenkt werden, ohne dass die Produkte deswegen an Qualität verlieren.

Die Bräunung beim Braten, Fritieren oder Backen ist bei Kartoffeln ziemlich direkt mit der Acrylamidbildung gekoppelt, da diese eine Nebenreaktion der Maillard-Reaktion, der „nicht enzymatischen Bräunung“, ist (dagegen ist die Bräunung von Kartoffeln nicht mit jener von z.B. Brot zu vergleichen). Damit lässt sich die Acrylamidbildung bei der Zubereitung visuell nachvollziehen.

Wichtig ist die immer wieder gemachte Beobachtung, dass mit einer auch nur mässigen zusätzlichen Bräunung schnell ein 5 Mal höherer Acrylamidgehalt einher geht. Dunkelbraune Stellen sollten unbedingt vermieden werden. Kartoffeln mit hohem Zuckergehalt werden schnell gebräunt, entwickeln aber ebenso schnell Acrylamid. Zuckerarme Kartoffeln bilden knusprige und aromatische Produkte auch bei nur schwacher Bräunung – die starke Bräunung ist keine Voraussetzung für ein schmackhaftes Produkt.


Das meiste Acrylamid bildet sich erst gegen das Ende des Brat- oder Frittierprozesses: die Kartoffel muss zuerst mindestens oberflächlich ausgetrocknet sein, damit der Prozess in Gang kommen und die Temperatur der Kartoffel 100 °C übersteigen kann. Beim Rösten oder Backen bildet sich deswegen das meiste Acrylamid in den letzten Minuten, beim Frittieren von Pommes Frites in den letzten 10 Sekunden. Das Ende des Prozesses muss also besonders sorgfältig kontrolliert werden.

Die Temperaturen des Frittieröls, Backofens oder der Pfanne sollten tief gehalten werden. Die Acrylamidbildung hängt zuerst einmal von der Hitzebelastung ab, d.h. von der Kombination von Temperatur und Zeit. Die Konzentrationen können also selbst dann hoch ansteigen, wenn bei mässigen Temperaturen lange erhitzt wird. Bei hohen Temperaturen treten allerdings eher lokale Herde hoher Acrylamidbildung auf (dunkle Stellen in Rösti oder Bratkartoffeln). Zudem wird die Kontrolle des Prozesses eng, da z.B. beim Frittieren am Schluss in wenigen Sekunden viel Acrylamid gebildet wird.

Kochen bleibt komplex und abhängig von Faktoren, welche die Arbeit mit Thermostat und Stoppuhr erschweren. Beispielsweise hängen bei Pommes Frites die Garung/Verkrustung und die Acrylamidbildung von der Effizienz der Wärmeübertragung vom heissen Öl auf die Kartoffel ab. Heftige Wasserverdampfung kühlt den Kartoffelstengel und die Wasserdämpfe bilden ein Kissen, das die Kartoffel vom heissen Öl isoliert.

Der Wärmeübergang hängt von Faktoren wie z.B. der Grösse der Wasserdampfblasen ab. Öle enthalten unterschiedliche Mengen an oberflächenaktiven Komponenten, welche diese Blasenbildung beeinflussen. Deswegen hängt der Wärmeübergang von der Art des verwendeten Öls und allfälliger Zutaten ab.

Die Konsequenzen für die Acrylamidbildung sind ziemlich undurchsichtig. Meistens dürfte eine schnellere Acrylamidbildung mit einem schnelleren Kochprozess einher gehen, so dass eine früher beendete Frittierung zu keinen höheren Acrylamidgehalten führen sollte. (Quelle: KL ZH)

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