Food aktuell
Varia
26.8.2006
Neue Wege im Bioprodukte-Marketing

Potenzial für Bio: Konzepte mit Öko aber auch Lifestyle, Ethik und Gesundheit.


Sind neue Wege im Bio-Marketing notwendig? Nein, aber vielleicht braucht es neue Energien im Marketing der Bio-Branche. Marketing, das auf den vier Instrumenten Produkt – Distribution – Preis – Kommunikation spielt, muss sich ständig den neuen Gegebenheiten anpassen. Für Bio-Produkte gibt es dabei keine Sonderregelungen, sondern es gilt dasselbe ABC in der Vermarktung wie für konventionell produzierte Lebensmittel.

Sicher hat der Biomarkt von millionenschweren Marketingkampagnen profitiert. Die beiden grössten Schweizer Anbieter halten 75% des Marktanteils. Das Wachstum fand hauptsächlich dort und nicht im Direktverkauf oder im Bio-Fachmarkt statt. Unterdessen ist der (Wachstums-)Markt in eine Sättigungsphase übergetreten.

Situations-Analyse

Die Ursachen für den Einbruch der Wachstumszahlen sind vielschichtig. Die einmalige Situation im Schweizer Detailhandel mit dem quasi Duopol von Migros und Coop und den Anstrengungen aller Marktbeteiligten bescherte der Branche eine im europäischen Vergleich einzigartige Konsumquote. 2003 betrug der Pro-Kopf-Konsum der Schweizer für Bio-Produkte mit 101 EUR/Jahr doppelt so viel wie bei den zweitplatzierten Dänen!

Die ausgeprägte Marktsättigung im Schweizer Detailhandel und der verschärfte Konkurrenzkampf durch den Markteintritt ausländischer Anbieter werden den Markt auch in den nächsten Jahren auszeichnen. Der intensivierte Image- und Preiskampf gräbt dem Handel Umsatz und Margen ab und beschleunigt den Konzentrationsprozess innerhalb der Branche (Übernahme Pick-Pay-Filialen durch Denner).

Stärkere Segmentierung des Angebots

Die neuesten Anstrengungen von Manor, Migros und Coop mit den Premiumlinien Gran Delizia, Migros-Sélection (Bild) und Coop-Fine Food sind ein überdeutliches Zeichen. Analog dem englischen Vorbild Tesco versuchen sich die Anbieter gegenüber dem Discount zu differenzieren. Die von Tesco kopierte Erfolgsstrategie lautet, unter dem Dach Coop oder Migros sowohl Billigprodukte als auch Luxusartikel anzubieten.


Eine weitere Konkurrenz im höherpreisigen Segment erhalten Bio-Produkte durch den Ausbau „gesundheitsfördernder“ Angebote. Kalorienbewusstes Essen ist ein Dauerthema. Die Bevölkerung wird dicker und träger. In Grossbritannien wurde bereits ein Ampelsystem am POS (Verkaufspunkt) getestet, welches die Konsumenten mit Hilfe von Farben auf fettreiche und fettarme Produkte hinweist und damit zu einer gesunden Ernährung beitragen will. Werbeverbote für besonders problematische (sprich fettreiche) Lebensmittel werden diskutiert.

Preise bewegen sich in Richtung EU

Neben diesen Entwicklungen wird der Preis ein zentrales Element bei der Kaufentscheidung bleiben. Die Preise werden sich den Verhältnissen in der EU weiter annähern und die Konsumenten bei den Kaufentscheidungen massgeblich leiten. Die banale Erwartung der Konsumenten wird sich weiter Richtung „more for less“ entwickeln.

Zudem ist zu erwarten, dass Schweizerinnen und Schweizer immer weniger ihres Haushaltsbudgets für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren ausgeben werden. Waren es 1990 noch 12.8 % des Haushaltbudgets, so sind es heute 8.3 %. Der Kuchen für den Detailhandel wird eher kleiner als grösser, obwohl das Bevölkerungswachstum ein moderates Wachstum möglich macht Durchaus grösser werden jedoch die Wettbewerbsintensität und der Kampf um Marktanteile.

Mögliche Wachstumslokomotiven

Bio-Produkte, insbesondere Bio-Früchte und –Gemüse können von verschiedenen Konsum- und gesellschaftlichen Trends profitieren. Denkbar ist, dass die Bio-Angebote neuen Schwung aus dem Westen erhalten. Bei der Konsumgruppe „LOHAS“ (Lifestyle of Health and Sustainability) wird ein verantwortungsvolles und naturbezogenes Leben zum dominanten Lebensstil. In den USA machen die LOHAS bereits ein Drittel der Gesamtbevölkerung aus und die „New York Times“ vermutete, dass sich die LOHAS zum am schnellsten wachsenden Markt überhaupt entwickeln könnten.


Der LOHAS-Anhänger als „meditierender Bio-Feinschmecker und modebewusster Wasserstoff- Autobesitzer“ will aber nicht auf Stil und Genuss verzichten

„Ethik Food“ und Konsum fürs gute Gewissen haben bei den LOHAS Hochkonjunktur. Kein Wunder wächst der Bio-Markt in den USA mit 15-20%. Alleine mit Bio-Früchten und – Gemüse werden 2,2 Milliarden USD umgesetzt.

Silberne Revolution oder Grey Consuming

Die Alterung der Gesellschaft ist in unseren Breitengraden eine Tatsache und die „silberne Revolution“ der daraus resultierende Megatrend, der für die Bio-Angebote wichtig wird. Die Zielgruppe der „reifen Bevölkerung“ weist gegenüber der durchschnittlichen Schweizer Bevölkerung ein hohes Gesundheits- und Qualitätsbewusstsein auf. Der Preis ist bei den 45- bis 60-Jährigen tendenziell weniger wichtig. Zudem legt diese Gruppe grossen Wert auf ökologische Produkte.

Gesundheit ist ein Trend in unserer Gesellschaft, der grösseren Einfluss auf das Lebensmittelangebot hat. Vor allem Bio-Produkte, aber auch fettarme Produkte profitieren von diesem Trend. Bio allgemein und Früchte und Gemüse im Besonderen werden von den Konsumenten als gesund wahrgenommen. Früchte und Gemüse sind zudem diejenigen Lebensmittel, bei welchen die Konsumentinnen und Konsumenten am sensibelsten sind.

Mit der Globalisierung und dem Entstehen von Massenmärkten und Grosskonzernen wächst als Gegentrend das Bedürfnis der KonsumentInnen nach Sicherheit, Nachvollziehbarem, Bekanntem und Authentischem. Regiosortimente wie Heidi oder AdR von der Migros sind dabei eine ernsthafte Konkurrenz für Bio-Angebote (Bild: Luzerner Lebkuchen im Angebot der Luzerner Migros).


Regionale Herkunft wird von vielen Konsumentinnen als wichtiger eingestuft als das Merkmal Bio. Die regionalen Bio- Spezialitäten von Coop vereinen (zum Glück) Regio mit Bio. Momentan führt Coop über 80 Produkte im Sortiment. Das langfristige Umsatzziel dieser Linie lautet 100 Millionen Schweizer Franken.

Wie Chancen nutzen

Wir leben in einer kaufkräftigen alternden Gesellschaft, die sich gesund ernähren will. Aber der Bio-Umsatz in der Schweiz dümpelt. Migros schafft ein Wachstum von 2%, während der Marktführer Coop 2005 einen Index von 98 % erreicht hat. Man kann diese Zahlen auch als Erfolg sehen.

Wo und wie kann nun ein professionelles Marketing ansetzen und dazu beitragen, dass Bio wieder in aller Munde ist? Einige Beispiele machen Mut und geben vielleicht Ideen. Sie sind in der Folge entlang der Marketing-Eckpfeiler Distribution, Produkt, Preis und Kommunikation aufgelistet und haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.


Seit Jahren besteht der Biosupermarkt Vatter beim Bundesplatz in Bern an bester Lage. Im Januar 2006 hat der erste Yardo-Biosupermarkt (Bild) im Zentrum von St.Gallen eröffnet (am Neumarkt) und plant weitere Filialen in Zürich und Basel.

Distribution: In der Schweiz sind die Bio-Supermärkte im Vormarsch. Weitere Optionen: Direktvermarktung, Internet, Pup-up-Stores: Plattform für verschiedene Jungunternehmer, die Ihre Produkte temporär in städtischer Umgebung vorstellen.

Produkt: Innovationen im Sortiment, Spezialisierung auf einzelne Produkte, neue Produkte _ Das Produkt muss in Zukunft noch stärker im Vordergrund stehen. Bio kommt in den Hintergrund (nice to have). Produkte-Qualität wird wichtiger. Beispiel: Erfolgsgeschichte Bio-Käserei Andeer.

Kommunikation: Für ein erfolgreiches Marketing sind in einem Unternehmen alle Massnahmen miteinander zeitlich und inhaltlich abgestimmt und auf die wichtigsten Zielgruppen ausgelegt. Im Idealfall ergänzen sich diese Aktivitäten in der Bio-Branche aus Sicht der Konsumenten.

Neben den hier aufgeführten Ideen dürfen die „Grossen“ nicht vergessen werden. Coop und Migros als wichtigste Vermarkter von Bio-Produkten zu stärken, ist mittelfristig die effizienteste Methode den Bio-Markt anzukurbeln. Beide werden weiterhin in den Biomarkt investieren. Bio wird also vor allem wachsen, wenn es gelingt, bei Coop und Migros die Lust auf Bio immer wieder von Neuem zu wecken.

Auszug aus einem kürzlich gehaltenen Referat von Christof Dietler (dietler clavadetscher GmbH, Beratung für Food-Marketingkonzepte)
Bilder: foodaktuell


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