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24.2.2007 Konsum- und Herstelltrends beim Wein Herr und Frau Schweizer trinken immer weniger Wein und ändern ihre Vorlieben. Umgekehrt sorgen clevere Marketingstrategen für massgeschneiderte Weinaromen, um den Massengeschmack zu treffen. Die Weinwelt spaltet sich in Charaktertropfen und «Coca-Cola-Weine». Letztes Jahr Jahr nahm der Der Weinkonsum nimmt stetig ab und liegt heute bei 34 Liter pro Kopf und Jahr. Vor allem inländische Weine gehen zurück gemäss Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), ausländische dagegen legen zu. Beide Trends betreffen je zur Hälfte Rot- und Weissweise. Der Hauptgrund für den Rückgang ist der Gesundheitstrend und die neue Promillegrenze. Darunter leidet vor allem die Gastronomie, obwohl nur rund fünfzehn Prozent des Weinkonsums ausserhaus stattfindet. Dies eine Schätzung von Ernest Dällenbach, Geschäftsleiter der Vereinigung Schweizer Weinhandel. Innerhalb der Provenienzen gibt es Verschiebungen: Zu den Aufsteigern gehören gemäss Dällenbach Sizilien, Chile und Argentinien. Absteiger seien Burgund wegen hoher Preise und Australien, das allmählich aus der Mode kommt. Weitere Trends sind Bioweine, deren Qualität Fortschritte macht, und leichte Tropfen mit sieben bis zehn Prozent Alkohol. Aber alkoholfreie wie der kalifornische Ariel verharren in einer Nische und sprechen eine Moslem-Käuferschaft an. «Tendenzen bei den Kaufmotiven sind nebst Aktions- oder Dauertiefpreisen starke Brands, die Werbeunterstützung liefern», so Dällenbach. Bei C+C Angehrn kennt man ebenfalls die Trends: Einkäufer Markus Meny nennt Spanien (Gran Riserva), Chile (Carmenere-Traube) und vor allem Schweizer Charakterweine wie Walliser Cornalin und Tessiner Merlot. Dieser steht «heute oft auf Bordeaux-Niveau steht», so Meny. Bei den Traubensorten seien Chardonnay und Cabernet eher rückläufig. Auch bei den Gebindearten gibt es Verschiebungen: Halbliterflaschen legen aus vielen Gründen zu: die neuen Promillegrenze wirkt sich aus, die Haushalte werden kleiner, halbe Liter haben tiefere Preise und bringen weniger Gewicht in die Einkaufstasche. Seit Kurzem legen auch Bag-in-Box-Verpackungen im mittleren Preissegment zu. Deren Vorteile sind ein wesentlich günstigerer Literpreis und der Oxidationsschutz dank des Vakuums. Bei den Verschlussarten geht man aus Qualitätsgründen allmählich weg vom Naturkorken und hin zum Kunstkorken oder – bei Schweizer Weinen – zum Drehverschluss. Der Glasstopfen dagegen ist noch zu teuer. Kalifornische Weine besser als französische Schweizer Weine sind meistens gut bis sehr gut, aber beim Spitzen-Image haben viele Schweizer Winzer Nachholbedarf. Die Voraussetzungen für weitere Steigerungen sind gut: in der Schweiz ist der Ausbildungsgrad hoch. Allerdings ist unser Wetter unzuverlässig, weshalb die Weinbauern sorgfältig arbeiten, müssen, damit die Trauben gesund bleiben. Bei den ausländischen Weinen zeichnet sich eine Umschichtung ab: In internationalen Blinddegustationen einer Fachjury belegten kürzlich kalifornische Weine die ersten fünf Plätze. Erst auf den Rängen sechs bis neun folgten Bordeaux-Weine. Dieses Resultat geht aus einem Test hervor, der zugleich im Kalifornien und London stattfand. Schon vor dreissig Jahren kamen die Verkoster zum gleichen Ergebnis und läuteten damit den weltweiten Siegeszug der kalifornischen Weine ein. Hauptfaktor Traubensorte Der Wein ist eines der wenigen Agrarprodukte mit variierendem Charakter, der sowohl von Pflanze und Terroir wie auch von der Verarbeitungsart bestimmt wird. Gemäss Philipp Schwander, Master of Wine, ist die Traubensorte der Hauptfaktor für das Weinaroma: «Zwischen einem geschmeidigen Pinot noir und einem kräftigen Syrah liegen Welten. Riesling ist leicht und fruchtig, Chardonnay säurearm, kräftig, alkoholreich und Cabernet Sauvignon tieffarben und herb». Der Reifung dagegen wird oft zuviel Bedeutung beigemessen: Die meisten Weine sollten jung getrunken werden. Und die Reifung verläuft nicht linear. «Sogar Bordeaux wird nach 20 Jahren nicht mehr besser», so Schwander. Ideal für die Lagerung sind zwölf Grad und siebzig Prozent relative Feuchte. Je kälter jesto langsamer reift der Wein. Wichtig ist auch die Abwesenheit von Fremdgerüchen im Keller. Trotz Charakter-Reichtum der Weine: die Beliebtheit und somit die Marketinganstrengungen gehen eher in Richtung eines weichen, geschmeidigen, nicht zu schweren Massengeschmacks. Geschmeidig wird ein Wein mit einer gerbstoffarmen Traubensorte, kurzer Gärzeit an den Traubenschalen, wenn man ihn schönt (Gerbstoffe mit Gelatine ausfällt) und im Eichenfass ausbaut. Um Weine auf einen beliebten Geschmackstyp zu trimmen, werden sie in der Neuen Welt oft technologisch «strukturiert» (d.h. zerlegt und die Teile in geänderten Mengen neu zusammensetzt). Dass solche Designerweine kaum noch Terroir- und Jahrgangscharakter haben, ist eine logische Konsequenz. Ob dies ein Vorteil oder Nachteil ist, hängt von individuellen Vorlieben bzw der Zielgruppe ab. Tabubruch bei der Weinveredlung Weitere neue Freiheiten kommen bei der Weinbereitung hinzu: Schweizer Winzer dürfen ohne Deklaration Holzspäne zugeben, damit der Wein den Eichen-Geschmack rascher annimmt. Im ersten bilateralen Vertragspaket verpflichtet sich die Schweiz, beim Wein für EU-harmonisierte Vorschriften zu sorgen. Pierre Studer vom BAG begründet den Verzicht auf die Deklarationspflicht: «Die Eichenchips-Behandlung bedeutet keine Gesundheitsgefährdung». Offen ist laut Bundesamt für Landwirtschaft BLW noch, ob alle Weine so behandelt werden dürfen oder nur jene ohne AOC. Zwischen Europa und der Neuen Welt besteht ein grundlegender Mentalitäts-Unterschied: In Europa respektiert und fördert man Terroir und Kultur, in Übersee dagegen betrachtet man Wein als designbar wie Softdrinks. Aber technische Tricks kommen dem Marketing entgegen: die Winzer sind weniger von der Natur abhängig und können den gewünschten Geschmack massschneidern. Die Kantonschemiker wehren sich gegen die Neuerung: «Ohne Deklaration werden die Konsumenten getäuscht», meint Hans Rudolf Hunziker, Präsident des Verbands der Kantonschemiker. Auch die Stiftung für Konsumentenschutz SKS fordert die Deklarationspflicht, damit die Wahlfreiheit gewährleistet sei. Und der Schweizer Weinbauernverband denkt nun gemäss einem Bericht des Tagesanzeigers über ein Eichenfass-Label nach beim Verzicht auf die Holzspäne-Behandlung. Da Wein ein Naturimage besitzt (abgesehen vom notwendigen Übel der schwefligen Säure), könnte die Aufweichung des Reinheitsgebots ohne Deklaration dem Weinkonsum langfristig schaden – Kassensturz & Co werden das heisse Thema nicht auslassen. Die Zulassung solcher strukturierter Weine warf in den Medien keine grossen Wellen. Aber «Europa wird von charakterlosen Weinen aus den USA überschwemmt werden», prophezeite das Tagesanzeiger Magazin unter dem Titel «Der Coca-Cola-Wein» und es appellierte an die traditionellen Winzer, länderübergreifend ein Reinheitsgebot zu initiieren, in welchem die önologischen Praktiken geregelt wären. Einzelne Winzer oder ganze Appellationen könnten dieser Charta beitreten und erhielten das Recht, ihre Flaschen mit einem Label zu kennzeichnen. Die Konsumenten sollen wissen, ob sie Designerweine oder sanft gekelterte Terroir-Gewächse kaufen». Weiterlesen: Internationale Weinprämierung IWPZ 2006 | |