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15.4.2007 Auswege aus dem Cassis-de-Dijon-Dilemma Chancen und Risiken des Cassis-de-Dijon-Prinzips in einseitiger und gegenseitiger Variante Um den freien Warenverkehr zwischen der Schweiz und EU-Länder zu fördern, wurden in den vergangenen Jahren Anpassungen im Schweizer Lebensmittelrecht vorgenommen. Die Hochschule Wädenswil (HSW) organisierte zu diesem Thema in Zusammenarbeit mit dem Europa Institut an der Universität Zürich (EIZ) die Tagung «Forum 2007 zum Lebensmittelrecht EU-Schweiz» am 21.3.2007: foodaktuell präsentiert einen Auszug aus dem Referat von Beat Hodler.
Zur Ausgangslage: Die Schweiz ist nur teilweise in den EU-Markt integriert: der Landwirtschaftssektor ist (noch) vom Freihandel ausgeklammert und die Verarbeitungsprodukte sind im tarifarischen Bereich teilweise liberalisiert (keine Industrieschutzzölle – Rohstoffpreisausgleich nach "Schoggi"-Gesetz und Protokoll Nr. 2). Und die Schweiz hat den "acquis communautaire" nicht übernommen (Ablehnung des EWR-Vertrags). Daher besteht der Zwang zum autonomen Nachvollzug! Die Revision des Bundesgesetzes über Technische Handelshemmnisse (THG) steht nun an und der Bundesrat erwägt eine einseitige Übernahme des Cassis-de-Dijon-Prinzips (CdD). Er bekennt sich zum Ziel einer möglichst umfassenden Harmonisierung, d.h.: Abweichungen vom EG-Produkterecht (und vom Cassis-de-Dijon-Prinzip) nur wenn "wesentliche öffentliche Interessen" gefährdet sind Cassis-de-Dijon-Prinzip als zusätzliches Instrument zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse im nicht-harmonisierten Bereich Einseitige Übernahme des Cassis-de-Dijon-Prinzips Die Argumente des Bundesrats für einseitige Anwendung sind: Eine raschere Umsetzung ist möglich Sie ist abgestimmt auf spezifische Bedürfnisse der Schweiz Ein grösserer Handlungsspielraum besteht für Ausnahmen vom harmonisierten EG-Recht Aussetzung des CdD-Prinzips gegenüber einzelnen Ländern ist möglich Verhandlungen über Gegenseitigkeit erst im Rahmen eines Agrar- Freihandelsabkommens
Die Haltung der fial: Im harmonisierten Bereich: JA zu einer vollständigen und zeitgerechten Übernahme des EU-Lebensmittel- rechts (volle EU-Kompatibilität des CH-Lebensmittelrechts) Verzicht auf heute noch bestehende Sonderregelungen, z.B. - Landwirtschaftliche Deklarationsverordnung (LDV) - Deklaration des Produktionslandes (Art. 15 LKV) und Herkunft der Rohstoffe (Art. 16 LKV) EU-kompatibler Vollzug, d.h. keine restriktivere Auslegung als in vergleichbaren EU-Ländern. Beispiele: Abbildungen bei aromatisierten Lebensmitteln, Lesbarkeit der Etiketten etc. Im nicht-harmonisierten Bereich: JA zur Übernahme des "Cassis-de-Dijon"-Prinzips Klar bevorzugt: auf Gegenseitigkeit, d.h. auch für Exporte in die EU Unabdingbar: "gleich lange Spiesse" für Hersteller im Inland, d.h. keine Inlanddiskriminierung! Argumente der fial für eine gegenseitige Anwendung sind: Vermeidung einer Diskriminierung der CH-Exporte in die EU-Länder Übernahme des gesamten "acquis communautaire", auch des künftigen (eine Bedingung der EU, damit keine Diskussionen über Ausnahmen entstehen).
Die Problematik der Inland-Diskriminierung stellt sich auch in der EU. Entscheidend sind die Mindestanforderungen an den Gehalt von wertbestimmender Zutaten. Beispiele: - Rahmglace: in der Schweiz 8 % Milchfettgehalt in UK 5 %, Portugal 7 %, Deutschlang 18 % Rahm - Eierteigwaren: in der Schweiz 135 g Vollei in Deutschland 100 g Schadet eine Angleichung von Schweizer Produkten an ein tieferes EU-Niveau oder nicht? Diese Frage kann nur im Einzelfall beantwortet werden: Bei Massenprodukten schadet sie nicht, wohl aber bei Premiumprodukten. Eine Lösung sieht die fial in Anlehnung an Paragraph 4 der deutschen Lebensmittelkennzeichnungsverordnung. Vorschlag des Bundesrates zur Vermeidung der Inland-Diskriminierung: Entwurf THG Art. 16c, Abs. 1: Die in der Schweiz für den Export in ein EU/EWR-Land hergestellten Produkte können auch in der Schweiz in Verkehr gebracht werden, wenn sie: die technische Anforderungen der EG erfüllen (Nachweis durch Hersteller, Art. 18a) in einem EU/EWR-Land rechtmässig in Verkehr gebracht werden die nationalen Anforderungen eines EU/EWR-Landes erfüllen und in diesem Land rechtmässig in Verkehr gebracht werden (Nachweis durch Hersteller, Art. 18a) Hersteller muss auf diesem Markt "auch wirklich tätig" sein (kein Missbrauch!) CH-Hersteller muss deklarieren: "hergestellt nach … Vorschriften" (Art. 16 Abs. 2) Konsequenz: Wer exportiert, kann die Inlanddiskriminierung vermeiden! Wer nicht exportiert, bleibt diskriminiert! Gegenvorschlag der fial THG Art. 16c – "Verhinderung der Inländerdiskriminierung": CH-Hersteller kann Produkt abweichend von den geltenden LM-rechtlichen Bestimmungen in Verkehr bringen, wenn solche Produkte nach Art. 16b (d.h. unter Berufung auf CdD) in der Schweiz in Verkehr sind. CH-Hersteller hat nicht nachzuweisen, dass Importprodukt den EU- oder den nationalen Bestimmungen entspricht (dies ist Sache des Vollzugs, bzw. des Importeurs); Nachweis, dass Produkt in Verkehr ist, genügt! THG Art. 16d, Abs. 2 - "Produktinformation": Importprodukte und Inlandprodukte müssen – in gleicher Weise – einen Hinweis tragen, in welcher Hinsicht sie von den schweizerischen Produkt- anforderungen abweichen (in Anlehnung an Paragraph 4 der deutschen Lebensmittelkennzeichnungsverordnung) Text: Auszug aus dem Referat von Beat Hodler an der HSW-Tagung «Forum 2007 zum Lebensmittelrecht EU-Schweiz» am 21.3.2007: Bilder: foodaktuell Die schweizerische Nahrungsmittelindustrie in Kürze: Dachverband fial: Anzahl Firmen (Mitglieder der fial-Branchenverbände): 200 Anzahl Betriebstätten *) 238 Anzahl Beschäftige 33'235 Personen Bruttolohnsumme CHF 2,445 Mia. Gesamtumsatz CHF 15,084 Mia. Inlandumsatz CHF 13,8106 Mia. (87 %) Exportumsatz CHF 1,978 Mia. (13 %) Die CH-Nahrungsmittelindustrie exportiert ca. 20 % der Produktion (mengen- mässig); davon gehen rund zwei Drittel in die EU 70 % der CH-Agrarausfuhren (von ca. 2,8 Mia. Franken) gehen in die EU 77 % der CH-Agrareinfuhren (von ca. 7 Mia. Franken) stammen aus der EU Die Schweiz importiert vor allem Agrarrohstoffe und exportiert hauptsächlich landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte (Quelle: fial, Statistische Erhebung für das Jahr 2005) Weiterlesen: Cassis de Dijon: hiesige Hersteller diskriminiert? | |||||||||