Food aktuell
Varia
17.7.2007
Effekthascherei mit molekularer Küche: Kommentar.

Molekulare Küche ist der letzte Schrei und besitzt viel Showpotenzial. Aber was heisst molekular Kochen wirklich? Jede Küche ist molekular, denn alle Lebensmittel bestehen aus Molekülen. Kochen ist ein Prozess, den Lebensmittelchemiker und Verfahrensingenieure gut erforscht und viele Bücher darüber geschrieben.

Aber Kochen - im «Pauli» in vierzehn Grundzubereitungsarten beschrieben – ist eine traditionelle Kunst, die sich bis anhin mit Stolz von der beargwöhnten Chemiewissenschaft abhob. Chemiker und Lebensmittel-Ingenieure ihrerseits nahmen sich keine Mühe, den Köchen chemische Vorgänge wie die Bräunung oder das Gelieren zu erklären, da diese zuwenig naturwissenschaftliche Grundkenntnisse hatten.

Nun beginnen sich die zwei Welten zu berühren und sogar zu verschmelzen, denn es gibt immer mehr Grenzgänger mit Doppelkompetenzen. Die Stundenzahlen der Lebensmittel-Technologie der Fachhochschulen Wädenswil HSW und Sion HEVS steigen stark an, und viele Studenten hatten ein Lebensmittelhandwerk wie Koch, Bäcker oder Metzger gelernt vor der Berufsmatur. Sie sind ideale Bindeglieder, da sie sowohl die Sprache der Handwerker wie auch jene der Wissenschafter sprechen.

Hochschulen wie Neuenburg und Wädenswil öffnen ihren Elfenbeinturm den wissensdurstigen Handwerkern und bieten Kurse in Theorie und Praxis an. Aber was motiviert die Köche, ihre Theoriekenntnisse zu vertiefen? Sie sind ja schon Könner, die aufgrund ihrer Erfahrung Erfolg haben können, auch wenn sie sich bei der Interpretation der chemischen Vorgänge manchmal irren.

Gezielte Verbesserungen

Die molekulare Küche bietet mehrere Chancen: Ein vertieftes Verständnis der Vorgänge beim Kochen und Essen (Sensorik) eröffnet Potenziale für die Qualitätsverbesserung und Neuprodukte-Entwicklung. Und zum Andern kann man mit Methoden des Lebensmittellabors Effekte erzielen, welche die Gäste beeindrucken. Beides – neuartige Komponenten wie auch Effekthaschereien – sind wirksame Marketinginstrumente, welche potenzielle Gäste neugierig machen oder Bankett- und Cateringgästen unvergessliche Eindrücke bieten.


Bis alle Gäste die kalt gelierten Fruchtsaftperlen mit dem kaviarähnlichen Mundgefühl (Bild) gekostet haben, werden noch viele Molekularköche regen Zulauf erfahren. Allerdings ist beim Arbeiten mit den Zaubermittelchen Sorgfalt angesagt: Bei Zusatzstoffen gibt es zwar unbedenkliche und natürliche wie die Hydrokolloide (z.B. Alginate oder Johannisbrotkernmehl), für die keine gesetzlichen Höchstmengen und kaum Anwendungsbeschränkungen bestehen.

Aber es gibt auch synthetische wie Methylcellulose und Polyglycerinester, die zwar bei normaler Dosierung unbedenklich sind aber Imagediskussionen auslösen könnten. Und Vorsicht ist geboten vor künstlichen Zusatzstoffen, bei welchen oft strenge Dosierungs- und Anwendungs-Restriktionen bestehen.

Zusatzstoff-Orgien?

Während die Industrie bei Conveniencefood die Zusatzstoffe seit Jahren so weit wie möglich vermeidet, lassen sich molekulare Köche von deren Wirkungen faszinieren und scheinen bei Eigenverwendung toleranter zu sein als bei Convenience-Zutatenlisten. Die Industrie schickte ihre E-Nummern-verliebten Food-Designer ins Pfefferland, doch in Gastronomieküchen wachsen nun neue heran. Auch Gäste, die den kulinarischen Nervenkitzel suchen sind mit flüssigem Stickstoff gut bedient.


Doch psychologische Barrieren relativieren die molekularen Spielereien: Der Mensch ist nebst der gelegentlichen Neugierde in seiner Ernährungstrategie vor allem eines: konservativ. Er isst sein Leben lang am liebsten das, was er als Kind von der Mutter erhielt und lernt nur langsam, auch Scharfes, Bitteres und Neuartiges zu mögen. Die Regel, was man nicht kennt, sollte man nicht essen, basiert auf einem sinnvollen Urinstinkt: Unbekanntes und abartig Schmeckendes ist in der Natur meistens unbekömmlich oder giftig. Bekanntes und Beliebtes löst Wohlgefühle aus aber Neuartiges instinktiv eher sensorischen Stress. Nur wenige abgebrühte Gourmets lassen sich gern stressen.

Die Moral von der Geschicht’:

Molekulare Zaubereien werden nur punktuell (etwa als Dekor) über den Modetrend hinaus Nachhaltigkeit erfahren – im Gegensatz zu etablierten Konzepten wie die Pizzeria oder das Chinarestaurant. Auch diese waren hierzulande einmal neu, aber sie etablierten sich auf hohem Niveau. Warum wohl? Das Neuartige dort beschränkt sich auf Äusserlichkeiten (Pizzaiolo, Wok, exotische Gewürze), aber eine Pekingente schmeckt nach Ente und schmilzt nicht wie ein Gummibärchen.

Wenn jedoch das naturwissenschaftliche Wissen der Qualitätsverbesserung dient, hat der molekulare Koch gut investiert: er kann luftigeres und konstanteres Soufflé produzieren oder zarteres Lamm servieren. Wenn er es dann vor den Gästen mit dem Bunsenbrenner abflämmt und mit Melonenkavier garniert, erreicht er beide Ziele: bessere Qualität und er hat mit ein bisschen Show die Gäste beeindruckt. Diese kommen nicht nur wegen der Show: Wichtiger als die Stichflamme auf dem flambierten Dessert ist der süsse Schmaus selbst.



Obwohl seit langem bekannt: auch Flambieren ist molekular. Übrigens: Kennen Sie den Unterschied zwischen Chemie und Physik? Physik ist wenn es «chlepft» und Chemie ist wenn es stinkt? Nicht ganz: Chemie kann sehr gut schmecken aber auch explodieren. Dasselbe gilt für Moleküle, die auch nur eine Art von Chemie sind.


Fazit: Wenn eine neuartige Komponente aussieht wie Kaviar, schmeckt wie Melone und schmilzt wie Glace, mag dies ein paar Mal lustig sein, doch gegen den guten alten Hunger und Glust eignen sich besser währschafte Würste mit Salaten, die so schmecken wie sie aussehen.

Weiterlesen; Molekulare Küchen-Zaubereien

Copyright http://www.foodaktuell.ch