Food aktuell
Varia
4.12.2007
Hygienesünder anprangern? Einige Kommentare


Bei zertifizierten Produkten, seien es AOC, IGP oder Regionalmarken wie Culinarium Ostschweiz, haben die Konsumenten Gewähr, dass zusätzlich zum Lebensmittelinspektor eine weitere Fachperson die Hygienesituation eines Betriebes unter die Lupe nimmt. Auch Gastronomen beteiligen sich bei Culinarium. Bild: Fleisch aus der Region bei CCA in Gossau mit Culinarium-Gütesiegel.

Der Zuger Gesundheitsdirektor Joachim Eder fordert Transparenz für die Konsumenten und meint: «Ein Betrieb, der die gesetzlichen Regeln einhält, wird durch die Offenlegung der Inspektionsbefunde gestärkt». Auch die Stiftung für Konsumentenschutz SKS ist fürs Veröffentlichen: Andreas Tschöpe, politischer Fachsekretär, meint, dass «gesundheitsgefährdende oder bedeutende deklaratorische Mängel veröffentlicht werden sollten zwecks Transparanz für die Konsumentenschaft und damit der Wettbewerb spielt».

Vorzeigebetriebe könnten profitieren. Der Baarer Metzgermeister Karl Heinzer und der Chamer Konditormeister Roger von Rotz, beide Inhaber von Vorzeigebetrieben, könnten mit einer Veröffentlichung leben laut dem Konsummagazin K-tipp. Andere Betriebsinhaber, ebenfalls von Vorzeigebetrieben, sind dagegen:

Kommentar von Bruno Heini, Inhaber der Konditorei-Cafés Treichler in Zug und Heini in Luzern



Mein grösster Vorbehalt gegen die beabsichtigte Veröffentlichung von Inspektionsberichten ist, dass voraussichtlich Kleinbetriebe Grossbetrieben gegenüber massiv benachteiligt werden.


Meist ist es so, dass beispielsweise ein Konditor oder Metzger am selben Standort produziert und verkauft. Tritt ein Problem in der Produktion auf, soll dieses zukünftig im Verkaufslokal angeschlagen werden. Der Nachteil zum Grossbetrieb zeigt sich nun darin, dass der Grossbetrieb meistens nicht am selben Standort produziert. Wird ein zweigeteilter Grossbetrieb zukünftig die Hygieneberichte trotzdem im Verkaufslokal anschlagen müssen? Und wie soll dies geschehen bei ausserkantonaler Herstellung und bei fehlendem Datenaustausch über die Kantonsgrenzen hinweg?

Ausserdem: Müssten dann konsequenterweise nicht auch die Berichte von Handelswaren-Zulieferanten veröffentlicht werden, deren Produkte im Wiederverkauf stehen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Grossverteiler in jeder Filiale mehrere tausend Berichte aufhängen können - die benötigten Wände wären wohl gar nicht vorhanden.

Fazit: Der schwarze Peter bleibt bei den Kleinen hängen. Unter dem Vorwand des Konsumentenschutzes nimmt die Lebensmittelkontrolle dann die Interessen der Industrie wahr. Dabei haben die Konsumenten durchaus ein Interesse, auch in Kleinbetrieben einzukaufen. Abgesehen von den volkswirtschaftlichen Zusammenhängen, arbeitet doch die grosse Mehrheit in KMUs und nicht in der Industrie oder bei Grossverteilern.


Kommentar von Hans Enzler, Chef der Gastro-Hygieneanstalt in Schaan FL und ehemaliger Lebensmittelinspektor



Hans Enzler (vorne links an einer Schulung über Fritierölqualität): Viele Punkte sprechen für eine Veröffentlichung von Betriebskontrollen, aber meiner Ansicht nach eher noch mehr dagegen.


Mikrobiologische Untersuchungen sind aus meiner Sicht aussagekräftig, produktbezogen und objektiv beurteilbar wie etwa Geschwindigkeitskontrollen auf der Strasse. Zumindest wären sie eine regelbare und für alle gleiche Beurteilung. Ein Versuch mit der Veröffentlichung von Berichten, die auf solchen Laborresutaten basieren, wäre prüfenswert.

Aber ich denke auch, dass einige Punkte von den Vollzugsbehörden, die zur Veröffentlichung der Resultate neigen, vernachlässigt werden. So etwa der Druck auf den Inspektor selbst. Ich bin überzeugt, dass viele meiner ehemaliger Kollegen und Kolleginnen in einer solchen Situation die Eigenschaften der Mängel nicht oder nur noch geringfügig umschreiben. Der Druck auf das Inspektionspersonal wird sehr stark zunehmen.

Man stelle sich vor, dass eine solche Veröffentlichung auch dann existenzbedrohend sein kann, auch wenn dies nicht gerechtfertigt ist. Der Leser von Medienberichten interpretiert selbst auch noch dazu und bleibt als Kunde weg. Eine Nachkontrolle wird nötig zwecks Neubeurteilung. Und wenn der Betriebsinhaber mit Politikern befreundet ist, könnte er versuchen, Druck auf die Kontrollbehörden auszuüben.


Kommentar der foodaktuell-Redaktion: Die Nebenwirkungen sind stärker als die Medizin



Eine drohende Veröffentlichung von unhygienischen Zuständen könnte zwar Sünder unter Druck setzen, so dass sie der Hygiene mehr Beachtung schenken. Dies vor allem, wenn es am fehlenden Wollen liegt, aber bei fehlendem Wissen und Können ist die Wirkung fraglich.

Die Nebenwirkungen dagegen dürften einiges stärker sein als die Medizin selbst: Die Sensationspresse hätte reichlich gefundenes Fressen und wäre weniger um Objektivität bemüht als um Leserzahlen (Bild: 20minuten).


Ob die Medizin wirkt ist fraglich: Es ist naiv zu glauben, dass schlecht benotete Betriebe die verlangten Dokumente freiwilllig ins Schaufester stellen. Und wird ein Kunde danach suchen und den Verkäufer oder Kellner mit viel Zivilcourage danach fragen? Wird er auf den Besuch verzichten, wenn er eine Ausrede zu hören bekommt und den Betrieb anzeigen wegen Nichterfüllen der Deklarationspflicht? Kaum.

Auch das Konzept entspricht einem veralteten Qualitätskontroll-Denken: man sollte nicht nur kontrollieren um Noten zu protokollieren sondern um allfällig nötige Massnahmen einzuleiten. Noten sind nicht das Ziel sondern ein Instrument. Mit derselben Logik der Transparenz-Schaffung müssten Kunden von einem Taxifahrer, Arzt oder Reiseleiter ein Leumundszeugnis verlangen, bevor sie deren Dienste in Anspruch nehmen.

Wenn der Staat seine Bürger trotz bestehenden Gesetzen und Vollzugsinstrumenten vor einzelnen schwarzen Schafen warnt, sie aber gewähren lässt, zeigt er Schwäche. Etwa so wie wenn er Löcher in der Autobahn bloss signalisiert statt sie zu flicken.

Weiterlesen: Dauerproblem Hygiene in einzelnen Restaurants

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