Food aktuell
Varia
7.12.2007
Ist die Cervelatkrise abwendbar?


Der Präsident des Schweizer Fleischfachverbandes und FDP-Nationalrat Rolf Büttiker will mit einem Vorstoss im Parlament die traditionelle Schweizer Cervelat retten. Deren Haut besteht aus brasilianischen Rinderdärmen. Aus Angst vor BSE lässt die EU diese Innereien nicht mehr als Lebensmittel zu. Weil die Schweiz ihr Lebensmittelrecht der EU angepasst hat, muss sie den Import von brasilianischen Rinderdärmen auch verbieten.

Bereits im nächsten Frühsommer werden sich die Darmvorräte dem Ende zu neigen, berichtete die Gratiszeitung "20 Minuten" am Dienstag, 5. Dezember. Dies hat Folgen: "An der Euro 08 gibt’s keine Original-Cervelat mehr", ist sich Rolf Büttiker, Präsident des Schweizer Fleischfachverbandes und FDP-Nationalrat, sicher.

Deshalb will er noch in der laufenden Session eine Interpellation einreichen und darin den Bundesrat auffordern, in Brüssel Druck auszuüben, damit das Importverbot mindestens teilweise aufgehoben werde. Oder dass für die Schweiz eine Ausnahmeregelung formuliert wird. (Quelle: LID 5.12.2007)

Rolf Büttiker im Interview mit dem «Migros Magazin»

Auszug aus dem Beitrag im Migrosmagazin 3. Dezember 2007

Warum probiert man nicht andere Wursthüllen aus?

Rolf Büttiker: Das tun wir. Vorletzte Woche nahm ich in Basel mit Fachleuten an einer Degustation teil: Wir testeten Cervelats mit Kunsthüllen, argentinischen Rinderdärmen und polnischen Schweinsdärmen. Das Resultat war eine Katastrophe. Ich war geschockt. Wir haben lange geglaubt, es gäbe einen gleichwertigen Ersatz. Wir haben uns getäuscht.

Was ist das Problem?

Ob Geschmack, Farbe, Krümmung oder Grillfestigkeit: Nur mit brasilianischen Rinderdärmen ist ein Cervelat ein Cervelat. Ich befürchte, dass der Cervelatumsatz nächstes Jahr um 30 Prozent einbricht, falls wir keine Lösung finden.

Ist sich Bern des Problems bewusst?

Eben nicht. In der Wintersession reiche ich eine Interpellation ein. Ich weiss, dass ich mit meinem Wurstvorstoss einige Lacher ernten werde, aber mir ist es absolut ernst damit. Ich muss das Parlament und den Bundesrat sensibilisieren. Schliesslich hat der Cervelat eine gesellschaftspolitische Dimension. Früher galt er als Arbeiterkotelett, heute ist er in allen sozialen Schichten gleichermassen beliebt. Die Schweiz ohne Cervelat ist wie Italien ohne Pizza.

Was erwarten Sie vom Bundesrat?

BSE ist kein Thema mehr, darum müssen Rinderdärme wieder als Lebensmittel zugelassen werden. Denkbar ist auch eine Teilöffnung - einige Wissenschafter sagen, dass gewisse Teile des Rinderdarms gar nicht BSE-infiziert sein können. Da aber nicht Bern, sondern Brüssel zuständig ist, glaube ich nicht an eine rasche Entscheidung. Bei gewissen EU-Bestimmungen ist Spielraum vorhanden, aber im sensiblen BSE-Bereich? Das wird schwierig.

Sie treten für einen umfassenden Freihandel mit der EU im Agrar- und Lebensmittelbereich ein. Bei den Fleischproduzenten machen Sie sich dadurch keine Freunde.

Die Bauern haben Angst. Aber Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Die Produzenten müssen wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der grosse Durchbruch bei der Welthandelsorganisation (WTO) kommt. Dann wird es sackgrob, denn dann stehen unsere Landwirte mit Bauern auf allen Kontinenten in Konkurrenz, nicht nur mit Europäern. Ich bin der Meinung, dass wir innerhalb der EU besser fahren. Vor zehn Jahren haben wir die österreichischen Landwirte bemitleidet, weil sie sich im EU-Markt behaupten mussten. Heute gehts ihnen besser denn je.

Trotzdem: Für die Schweizer Bauern wird es hart.

Eben haben wir die Agrarpolitik 2011 beschlossen, bald kommt die Agrarpolitik 2015. Dieses Gewurstel ist unsäglich, die Bauern wissen nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Einmal heisst es das, dann wieder das Gegenteil. Ist der Agrarfreihandel beschlossen, herrschen endlich klare Verhältnisse. Und das ist elementar.

Wann ist Ihrer Meinung nach mit einem Agrarfreihandelsabkommen Schweiz-EU zu rechnen?

Frühestens 2015. Der Weg dorthin ist steinig, und es braucht natürlich flankierende Massnahmen zugunsten der Fleischverarbeiter.

Warum setzt sich ausgerechnet der Schweizer Fleisch-Fachverband für die Marktöffnung ein?

Der Grenzschutz geht ans Lebendige. Auf Schweinscarrés etwa erhebt die Schweiz 300 Prozent Zoll! Die Folge der Abschottung: Jährlich gehen unserer Branche 200 Millionen Franken durch das Versteigerungsverfahren und nochmals 600 Millionen durch den Einkaufstourismus verloren. Und der Export ist faktisch inexistent: Nur 1,5 Prozent der Inlandfleischproduktion gehen ins Ausland.

Müsste Schweizer Fleisch im Ausland nicht besser vermarktet werden?

Das Chueli in der Werbung steht für Schoggi, nicht für Fleisch. Das ist wirklich ein Problem. Wir werden im Ausland unser Marketing verbessern müssen. Schliesslich ist die EU nicht nur eine Konkurrentin für die Schweizer Fleischproduzenten sondern auch eine Chance.



Rolf Büttiker – zur Person

Dipl. Naturwissenschafter
FDP-Ständerat des Kantons Solothurn
Präsident des Schweizer Fleischfachverbandes SFF
Inhaber eines Wirtschaftsförderungsbüros in Olten
Alter: 57
ledig


Auszug aus dem Interview im Migros Magazin vom 3. Dezember 2007
Bilder: foodaktuell.ch

Weiterlesen: Bald Cervelatnotstand wegen Wursthüllen-Knappheit?

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