Food aktuell
Varia
2.2.2008
Sind unsere Lebensmittel-Inspektoren übereifrig?



An der Hygienefachtagung des Labors Veritas und der Hotelfachschule Belvoirpark hat der Lebensmittelinspektor Erich Sager letzts Jahr einen Vortrag gehalten zum Thema: «Ist der Schweizer Vollzug zu streng?». Viele betroffene Betriebe meinen ja, Sager meint nein und erklärt seine Argumente in einem Interview.


foodaktuell.ch: Ist der Vollzug in der Schweiz übereifrig?

Erich Sager: Nein, wir vollziehen das Gesetz adäquat und lassen auch den gesunden Menschenverstand walten. Wir stellen aber oft fest, dass in einzelnen Betrieben ziemlich konzeptlos gearbeitet wird, vor allem in der Gastronomie. Ein klares Betriebskonzept, in welchem auch die Hygiene und die „gute Herstellungspraxis“ (GHP) miteinbezogen werden, ist leider oft nicht erkennbar oder gar nicht vorhanden. Ein solches wäre jedoch die Voraussetzung für eine reibungslose Betriebsführung.

foodaktuell.ch: Werden bei uns die Bestimmungen wirklich nicht konsequenter umgesetzt als in der EU?

Erich Sager: Nein. Natürlich gibt es in der EU ebenso wie bei uns individuelle und situative Unterschiede.

foodaktuell.ch: Sie haben das Hygienekonzept erwähnt. Auch GastroSuisse will, dass minimale Hygienekenntnisse vorgeschrieben und Betriebsbewilligungen an das Bestehen eines gesetzeskonformen Hygienekonzeptes geknüpft werden. Stellen Sie bei Ihren Kontrollen fest, dass gute Hygienekenntnisse tatsächlich mit einem guten Hygienezustand einher gehen?

Erich Sager: Ja selbstverständlich, aber dieses muss dann auch umgesetzt werden und die notwendigen Ressourcen müssen bereitgestellt werden. Hygiene bzw Reinigung bedeutet auch Knochenarbeit.

foodaktuell.ch: Trotzdem stehen viele Gastronomen im Dauerclinch mit dem Vollzug und üben Kritik am System. So fühlen sich etwa städtische Betriebe strenger beurteilt als ländliche.

Erich Sager: Wir machen keine Unterschiede. Wenn sich Betriebsinhaber und Inspektor kennen, kann dies ein Vor- oder Nachteil sein. Bis auf wenige Ausnahmen wurde die Lebensmittelkontrolle in der Schweiz kantonalisiert sprich professionalisiert. Dies kommt der geforderten neutralen Beurteilung sicher entgegen, Vorurteile bezüglich gewisser Begünstigungen können so entkräftet werden. Allgemein glaube ich, dass man diesen «Dauerclinch» nicht überbewerten sollte. Es liegt in der Natur der Sache, dass man sich nicht gerne kontrollieren lässt.

foodaktuell.ch: Den Analyseresultaten in akkreditierten Labors können Ihre «Kunden» kaum widersprechen, anders bei Ermessensentscheiden wie der Beurteilung der allgemeinen Sauberkeit. Kann da Willkür mitspielen?

Erich Sager: Nicht alles ist physikalisch messbar und es gibt Grauzonen. Dennoch ist Objektivität auch bei Ermessensurteilen möglich: Inspektoren können durchaus alten von frischem Schmutz unterscheiden.

foodaktuell.ch: Nicht jede Art von Schmutz ist gravierend. Oft hält man die Befunde für pingelig. Setzen Sie die richtigen Prioritäten?

Erich Sager: Es geht nicht nur um Schmutz. Mindestens so wichtig ist der richtige, fachgerechte Umgang mit Lebensmitteln. Die einzelnen Beanstandungen im Inspektionsbericht sind ausserdem nicht gewichtet. Inspektionen sind Momentaufnahmen, ähnlich wie Tempokontrollen auf der Strasse.



Fachgerechter Umgang mit Pouletfleisch? Handschuhe sind wichtig, und Profis tragen ausserdem keine Uhr.



foodaktuell.ch: Die Prioritätenfrage stellt sich schon früher: Ist es etwa sinnvoll, Kleinbetriebe ebenso oft zu kontrollieren wie grosse?

Erich Sager: Betriebe mit vielen Beanstandungen wurden schon immer fleissiger nachkontrolliert, aber Kontrollpläne sind kantonal unterschiedlich. Neu ist der gesetzliche Auftrag, die Kontrollen risikobasiert durchzuführen. Grössere Betriebe mit leicht verderblichen Lebensmitteln werden dadurch häufiger kontrolliert als problemlosere wie etwa Kioske. Schlecht geführte Betriebe werden häufiger kontrolliert als gut geführte.

foodaktuell.ch: Man verdächtigt manchmal die Inspektoren, gebührenpflichtige Nachkontrollen gezielt als Einnahmequelle zu nutzen. Denkt der Inspektor an die Rentabilität seiner Behörde?

Erich Sager: Nein, wir haben weder eine Provision noch findet dies Eingang in den Qualifikationen.

foodaktuell.ch: Die Gastronomen möchten vom Vollzug auch Beratung erhalten. Warum treten Sie nur als Kontrolleure auf?

Erich Sager: Wir beraten schon, aber dies hat Grenzen. Ein Strassenpolizist ist ja auch kein Fahrlehrer, und intensive Gratisberatung wäre unkorrekt, zeitlich nicht praktikabel und kann zu Fehlinterpretationen führen. Im Prinzip sollten Kontrolle und Beratung getrennt erfolgen, und für die letztere gibt es spezialisierte Firmen und Dienstleistungslabors.

foodaktuell.ch: Was kann ein Betrieb tun, wenn er mit einem Befund nicht einverstanden ist?

Erich Sager: Gegen den Befund selbst kann sich der Betrieb nicht wehren, da es heute keine Möglichkeit für eine Oberexpertise mehr gibt. Aber gegen die Verfügung kann er innert fünf Tagen Einsprache erheben.

Erich Sager – zur Person

Erich Sager, 52, war als Metzgermeister und Abteilungsleiter in der Lebensmittelindustrie tätig vor seiner Weiterbildung zum Fleischkontrolleur und Lebensmittelinspektor. In dieser Funktion arbeitete er während fünfzehn Jahren im Umwelt- und Gesundheitsschutz Zürich und anschliessend beim Kantonalen Labor Basel. Seit einigen Monaten ist im Amt für Verbraucherschutz des Kantons Aargau tätig. Sager ist verheiratet, Vater von zwei erwachsenen Söhnen und verbringt die Freizeit gern am Kochherd, bei gutem Essen oder auf dem Velo.

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