Food aktuell
Varia
9.5.2008
Konkretere Auswege aus der Cervelaskrise

Hochkarätige Fachpersonen der Taskforce Cervelat zeigen vier Handlungsachsen auf, wie die Schweiz vom Cervelathaut-Notstand befreit werden könnte. Därme aus Paraguay und von naturnah gehaltenen Rindern sind zwei davon.


Wursthüllen aus Rinderdärmen gelten als Lebensmittel. Konsumentinnen und Konsumenten verlangen neben qualitativ hochwertigen Produkten auch eine praktisch hundertprozentige Unbedenklichkeit der Produkte. Die BSE-Problematik hat gezeigt, dass die Risikobeurteilung in der Lebensmittelthematik dabei oft im Mittelpunkt steht. Die Task-Force hat deshalb ein erstes Teilprojekt definiert, bei der in einer Meta-Analyse eine Neubeurteilung des BSE-Risikos von Rinder-Naturdärmen vorgenommen wird.

1. Stossrichtung: Neue Risikobeurteilung

Eine internationale Arbeitsgruppe wird dabei nicht nur qualitative, sondern auch quantitative Aspekte beurteilen müssen. Die Informationen werden aus wissenschaftlichen Publikationen zusammengetragen, analysiert, interpretiert und in Berechnungen eingebracht, damit das BSE-Restrisiko von Rinderdärmen neu begutachtet werden kann. Diese Arbeit soll der EU-Kommission unterbreitet werden, die eine wissenschaftliche Begutachtung durch die EFSA (EU-Lebensmittelbehörde, European Food-Safety Authority) verlangen wird.

Stand der Arbeiten: Ein Kick-Off-Meeting hat statt gefunden und die wissenschaftliche Arbeit wurde aufgenommen.
Zeitdauer: einige Monate
Frühest mögliche Lösung: Ende 2009

2. Stossrichtung: Alternative Beschaffungsmärkte

Zur Zeit dürfen Wursthüllen aus Rinderdärmen nur aus Ländern mit einem vernachlässigbaren BSE-Risiko in die EU und die Schweiz eingeführt werden. Neben den bekannten Ländern Argentinien, Uruguay, Australien und Neuseeland sollte Paraguay Ende Mai 2008 von der OIE (Welttiergesundheitsorganisation, Office Internationale des Epizooties) diesen Status erhalten. Ein entsprechender Antrag wurde von Paraguay in der OIE eingereicht.

In der Zwischenzeit soll ein Exportbetrieb in Paraguay so vorbereitet werden, dass die Zulassungsnummer im Juni bei der EU beantragt werden kann. Sofern die OIE der neuen Klassifizierung „BSE negligible risk“ zustimmt.

Stand der Arbeiten: Letzte Arbeiten im Exportbetrieb und beim staatlichen Veterinärdienst in Paraguay laufen. Der Antrag wurde der OIE unterbreitet
Zeitdauer: wenige Monate
Frühest mögliche Lösung: ab Juli 2008

3. Stossrichtung: Nelore (Zebu) Kompartiment Brasilien

Dieses Projekt hat zum Ziel, das Nelore Produktionssystem als Teil der Rindfleisch-Produk-tion in Brasilien als vernachlässigbares BSE-Risiko beim OIE zu deklarieren. Nelore Rinder werden ausschliesslich auf der Weide gehalten und erhalten zeitlebens kein Kraftfutter. Damit ist auch eine eventuelle Infektion mit BSE ausgeschlossen. Diese Tiere sollen in bestimmten Schlachthöfen geschlachtet und deren Därme exklusive zu Wursthüllen aufgearbeitet werden.

Das Projekt wurde den brasilianischen Behörden und der Fleisch- und Darmindustrie vorgestellt. Eine erste Beurteilung hat gezeigt, dass ein Interesse, insbesondere der brasilianischen Darmexport-Industrie vorhanden ist. Natürlich hätte Brasilien lieber das ganze Land in der Kategorie „negligible risk“. Da die Anforderungen aber hoch sind und sie wegen der langen Inkubationszeit von BSE über viele Jahre eingehalten werden müssen, wird dies nicht so schnell möglich sein. Ein schrittweises Vorgehen über eine Kompartimentslösung macht deshalb Sinn. Diese Lösung wird Geld und Zeit kosten.

Stand der Arbeiten: Vorabklärungen im Sinne einer Machbarkeitsanalyse sind vorgenommen.
Zeitdauer: Ein Antrag an die OIE wäre für Mai 2009 vorgesehen. Eine EU-Zulassung des Exports von Nelore Rinderdärmen aus Brasilien wäre erst nach der Entscheidung im OIE möglich.
Frühest mögliche Lösung: 2009 / 2010

4. Stossrichtung: Qualitätsvergleich

Bereits anfangs 2008 wurde in einer ersten Serie von Versuchen Schweinsdärme sowie Rinderdärme aus Argentinien und Uruguay den brasilianischen Referenzprodukten gegenübergestellt und den Medien am 15. Januar 2008 präsentiert. Die Muster aus Argentinien erwiesen sich als qualitativ problematisch. Uruguay liefert gute Qualität aber zu geringe Mengen. Ausserdem wurde die Verwendung von Kunstdärmen getestet.

In einer zweiten Versuchsreihe von Ende Mai 2008 werden nun zusätzlich Rinderdärme aus Australien und Neuseeland und eventuell Paraguay im Vergleich zu den bereits geprüften alternativen Beschaffungsländern untersucht.

Stand der Arbeiten: Die zweite Versuchsreihe wird auf Ende Mai vorbereitet.
Zeitdauer: Eine Dokumentation ist auf Ende Juni geplant.
Frühest mögliche Lösung: Ob weitere Beschaffungsländer eine Alternative darstellen, wird sich aus den Resultaten des Qualitätsvergleiches ergeben.

Referat von Ueli Kihm, Leiter der Firma SAFOSO


Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Kihm war während 10 Jahren Direktor des Bundesamtes für Veterinärwesen. Heute leitet er die Beratungsfirma SAFOSO (Safe Food Solutions). Am 26. April 2008 wurde ihm im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten der Universität Zürich der Titel eines Ehrendoktors für seine Leistungen bei der Bekämpfung der Rinderseuche BSE verliehen.




Engagement für Versorgung mit Wursthüllen.

Referat von Daniel M. Mäder, Geschäftsführer der Darmhandelsfirma Max Ramp: Der Cervelas wird traditionell seit jeher in einen engen Rinderdarm gefüllt. Stammte dieser Naturdarm am Anfang noch aus eigener Schlachtung, so zeichnete sich mit steigendem Wohlstand und Konsum sehr schnell auch eine Darmknappheit ab. Dies war für unsere Branche der Zeitpunkt neue Rohwarenmärkte zu erschliessen. Wegen des enormen Bestandes an Rindern fiel die Wahl rasch auf Brasilien. Die dortigen Zebu-Rinder lieferten nicht nur die Menge an verlangten Kalibern (Durchmessern), sondern die Därme dieser Rinderrasse war und ist praktisch fettfrei und sehr stabil.

Für andere Märkte und Produkte wurden auch Verbindungen nach Uruguay, Paraguay und Argentinien geknüpft, was uns heute angesichts des Ausfalls von Brasilien sehr zugute kommt. Leider werden in diesen Ländern grösstenteils europäische Rinderrassen herangezüchtet, was einen für den Cervelas weniger geeigneten Rinderdarm abgibt. Ausnahme bildet hier Paraguay, welches einen relativ grossen Bestand an Zebu-Rindern aufweist.

Trotz diesen Nachteilen in Uruguay und Argentinien sind wir in der heutigen Situation sehr auf Importe von Rinderdärmen aus diesen Ländern angewiesen. Sie helfen, dass die Lager an brasilianischer und paraguayanischer Ware noch eine Zeitlang reichen. Gefordert ist in diesem Zusammenhang auch die Fleischindustrie, muss sie doch mit Provenienzen arbeiten, welche das brasilianische Ideal nicht ganz erreichen.

Die Frage nach den Lagerbeständen an Cervelas-Därmen ist wohl eine der schwierigsten. Im Moment verfügt der Darmhandel und sicherlich ein Teil der Wurstproduzenten über Lager, die das laufende Geschäft abdecken. Der Verbrauch ist sehr Wetter abhängig, d.h. ist die kommende Grillsaison von schönem Wetter begleitet, werden sich die Lager schneller reduzieren, als bei Dauerregen. Die Lager sind aber endlich, weshalb auch die Darmbranche alles daran setzt, weiterhin für eine Öffnung Brasiliens und Paraguays zu kämpfen.

Im weiteren engagieren wir uns auf nationaler und internationaler Ebene für eine Neubeurteilung des BSE-Risikos bei Rinderdärmen, wie dies die sehr kritische FDA (US Food and Drug Administration) in positivem Sinne bereits getan hat. Der Besuch von Mitgliedern der „Task Force“ in Brasilien und Paraguay war sehr positiv. Wir konnten in beiden Ländern, sowohl mit Behördenvertretern, wie auch mit Fleisch- und Darmproduzenten diskutieren. Es wurden von uns Lösungsvorschläge vorgestellt und die verantwortlichen Personen haben ihre Mithilfe versprochen.

Generell haben wir darauf hingewiesen, dass ihnen neue Wege nicht nur Chancen in der Schweiz und der EU, sondern auch mehr Sicherheit in anderen wichtigen Weltmärkten verschaffen werden. Die ganze Delegation war beeindruckt von dem hohen Standard den die Darmproduktions-Betriebe in Brasilien und Paraguay aufweisen. Die Infrastruktur ist modern, hygienisch und konsequent ausgebaut. Die Rückverfolgbarkeit des Rohmaterials ist zu jedem Zeitpunkt gewährleistet und protokolliert.

Die in Paraguay produzierten Rinderdärme sind von bester Qualität und können sicherlich einen wesentlichen Beitrag zur Entschärfung des aktuellen Problems leisten. Wir sind zuversichtlich, dass Paraguay im Mai `08 von der O.I.E. wieder als Land mit „negligible risk“ anerkannt wird. Dies öffnet dem südamerikanischen Land den Zugang zur EU und der Schweiz. Die Hoffnung, dass die Behörden Paraguays einen der wichtigsten Darmexporteure des Landes wieder auf Exportbetriebsliste setzen und ihn der EU melden ist sehr gross. Die Dauer des ganzen Verfahrens abzuschätzen ist schwierig. Sollte alles optimal laufen, so rechnen wir dieses Jahr noch mit zugelassenen Darmexporten aus Paraguay. (Referat von Daniel M. Mäder, Geschäftsführer der Darmhandelsfirma Max Ramp AG)



Daniel Mäder, Geschäftsführer Max Ramp AG von der Presse belagert. Das Medieninteresse an emotionalen Themen wie «Rettung einer Schweizer Traditionswurst» ist gross. Durch die intensive Berichterstattung wird die Cervelas erst recht zum Nationalheiligtum.


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