Food aktuell
Varia
14.5.2008
Freihandel für Landwirtschaft ein Irrweg?

Ökonomieprofessor Mathias Binswanger sieht für die Schweizer Bauern schwarz, wenn der Agrarfreihandel mit der EU kommt. Der Bundesrat sollte die Landwirtschaft genauso verteidigen wie den Finanzplatz, findet er. "Beim Bankgeheimnis sagt der Bundesrat auch einfach Nein".



Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er hat vor zwei Jahren das Buch "Tretmühlen des Glücks" publiziert. Sein Vater, Hans-Christoph Binswanger, gilt als einer der Väter der schweizerischen Agrarreform, die ab 1993 mit der Einführung der ökologischen Direktzahlungen umgesetzt wurde.


Ausgehend von der Theorie der komparativen Kostenvorteile des Ökonomen David Ricardo, die als Fundament der modernen Freihandelstheorie gilt, zeigt er die Unterschiede zwischen der Landwirtschaft und anderen Wirtschaftszweigen auf. Der Landwirtschaft sind natürliche Grenzen gesetzt, weil der Boden als wichtigster Produktionsfaktor nicht vermehrt werden kann. Weil die Landwirtschaft nicht im gleichen Ausmass wachsen und produktiver werden kann wie andere Sektoren, wandert sie gemäss Ricardos Theorie in andere Länder ab oder muss mit Schutzmassnahmen aufrechterhalten werden.

Trotzdem gibt es natürlich auch in der Landwirtschaft auch eine steigende Produktivität. Diese führt aber zu Mehrproduktion und sinkenden Preisen, ohne dass die Nachfrage ansteigt. Dieser Mechanismus gilt auch für die Exportprodukte aus Entwicklungsländern. Weil die Preise für Kaffee, Baumwolle, Soja oder Zucker sanken, wurden viele Entwicklungsländer zu Verlierern des Freihandels.

Roland Wyss-Aerni vom LID hat Mathias Binswanger interviewt.

LID: Herr Binswanger, Sie sind als einer von ganz wenigen Schweizer Ökonomen gegen ein Agrarfreihandelsabkommen mit der EU, wie es der Bundesrat will. Wieso?

Mathias Binswanger: Freihandel ist nicht ein Ziel, sondern ein Mittel zum Zweck. Freihandel ist dann gut, wenn er zu mehr Wohlstand führt, dass heisst, wenn viele davon profitieren und wenige verlieren. In vielen Märkten ist das auch der Fall. In den Agrarmärkten aber produziert Freihandel viele Verlierer und wenige Gewinner. Deshalb ist es auch ökonomisch völlig gerechtfertigt, bei der Landwirtschaft gegen Freihandel zu sein. Wenn man die Grenzen öffnet, dann ist die sichere Versorgung mit Lebensmitteln, die als Ziel in der Bundesverfassung steht, gefährdet. Was dann übrig bleibt, sind ein paar Produzenten von lokalen Spezialitäten, von bestimmten Käsesorten etwa, eine Art Heidi-Landwirtschaft. Daneben werden ein paar Grossbetriebe im Mittelland überleben können, für den Rest der Bauern bedeuten offene Grenzen das Aus.

LID: Die Befürworter eines Agrarfreihandelsabkommens sagen, im Rahmen der WTO werde die Schweiz ohnehin früher oder später gezwungen sein, Zölle massiv abzubauen. Agrarfreihandel mit der EU sei deshalb das kleinere Übel, weil er immerhin auch zusätzliche Exporte erlaube.

Binswanger: Man hat schon bei früheren Europa-Diskussionen gesagt, dass man gewisse Dinge aufgeben müsse, um bei der EU mitreden zu können. Mit Sachzwängen wurde schon immer argumentiert, aber das ist keine sehr mutige Haltung des Bundesrates.

LID: Sie finden also, der Bundesrat könnte selbstbewusster auftreten und gegen aussen sagen: Wir brauchen die hohen Zölle, um unsere Landwirtschaft zu schützen?

Binswanger: …In Wirklichkeit wollen die Bundesräte das gar nicht. Vor allem für Frau Leuthard ist Freihandel ein grosses Anliegen. Aber: Bei der Aufweichung des Bankgeheimnisses sagt der Bundesrat bis jetzt auch "Nein" und das Bankgeheimnis gibt es nach wie vor.

LID: Wie müsste denn nun die Schweizer Agrarpolitik der Zukunft Ihrer Meinung nach aussehen?

Binswanger: Es braucht einen gewissen Schutz an der Grenze. Ohne Grenzschutz fallen fast sämtliche Produkteeinnahmen der Bauern weg. Sie werden dann zu staatlich angestellten Landschaftspflegern, zu Karikaturen dessen, was sich früher einmal Bauer nannte. Die eigene Landwirtschaft zu unterstützen ist kein ökonomischer Entscheid, sondern ein politischer. Rein ökonomisch betrachtet, nach der Theorie der komparativen Kostenvorteile, müsste die Schweiz überhaupt keine Lebensmittel produzieren, denn die Wertschöpfung bei den Banken und in der Pharmaindustrie ist zehn mal höher. Wenn man aber politisch entschieden hat, die Schweizer Landwirtschaft zu erhalten, dann ist das ohne Grenzschutz nur noch möglich, indem man die Bauern de facto zu staatlichen Angestellten macht.

LID: Seit letzter Woche gibt es die Interessengruppe für den Agrarstandort Schweiz (IGAS) in der Grossverteiler und Verarbeiter vertreten sind, Umwelt- und Tierschutzverbände, aber auch mehrere Bauernorganisationen. Setzen diese nun völlig auf das falsche Pferd?

Binswanger: Nein, das sind diejenigen Bauern, die überleben werden, die Schweinemäster zum Beispiel waren von Anfang an dafür. Das sind meist Grossbetriebe.

LID: Auch Bio Suisse, IP Suisse und Kleinbauern-Vereinigung sind dabei...

Binswanger: Die IGAS schreibt, man wolle im Freihandel mit der EU "mutig und offensiv die Chancen sehen". In Wirklichkeit schaufeln die Bauern sich so mutig und offensiv ihr eigenes Grab. Da kann man sich nur wundern. So glaubt die Bio Suisse im Ernst, das sich eine biologische und gentechnikreie Landwirtschaft in der Schweiz bei Freihandel aufrecht erhalten lässt.

LID: Sie plädieren also für das offensive Beibehalten von hohen Zöllen. Damit kommt die Schweiz aber in den WTO-Verhandlungen nicht durch.

Binswanger: Man muss sehen: Auch für die USA etwa ist Agrarfreihandel nur dann interessant, wenn er mit massiven Subventionen im Inland kombiniert werden kann. Hoch subventionierte Produkte auf dem Weltmarkt verkaufen zu können, ist sehr attraktiv, davon profitieren in den USA ein paar grosse Agrokonzerne. Auch in der EU werden Nahrungsmittel mit hohen Subventionen produziert und exportiert.

LID: In den WTO-Verhandlungen wird aber auch der Abbau dieser internen Stützungen verlangt. Glauben Sie, dass EU und USA unter gar keinen Umständen dazu bereit sein werden, und dass deshalb auch nie ein Abkommen zustande kommen wird?

Binswanger: Ja. Die Verhandlungen sind ja total blockiert. Im Zweifelsfall vertritt die USA immer die Interessen der eigenen Wirtschaft und zwar auch dann, wenn es um die Landwirtschaft geht.

LID: Ihr neuestes Buches heisst "Mehr Wohlstand durch weniger Freihandel". Worum geht es darin?

Binswanger: Es geht genau darum, dass Freihandel in der Landwirtschaft meistens nicht zu mehr, sondern zu weniger Wohlstand führt. Und zwar nicht nur für die Schweizer Bauern, sondern auch in den Entwicklungsländern. Es wird immer behauptet, dass diese vom Freihandel profitieren. Tatsächlich aber erhalten wegen Exportsubventionen aus dem Norden diejenigen Länder, die in der landwirtschaftlichen Produktion die komparativen Vorteile hätten, gar nicht die Chance, zu profitieren und Geld zu verdienen. Die ärmsten Länder sind Lebensmittelimporteure geworden, seit sie ihre Grenzen geöffnet haben. Die Produktion in diesen Ländern wurde immer auf ein paar Monokulturen umgestellt, was bedeutete, dass viele Kleinbauern aufgeben mussten, weil jetzt neue Grossbetriebe entstanden. Wenn man auf diese "cash crops", Exportrohstoffe wie Kaffee, Baumwolle, Soja oder Zucker setzt, kann man die eigene Lebensmittelversorgung nicht mehr aufrechterhalten, es muss immer mehr importiert werden. Was an Lebensmitteln importiert werden muss, wurde gar nicht viel billiger, im Gegensatz zu den Exportrohstoffen, wo die Preise gesunken sind. Deshalb profitieren diese Länder nicht einmal jetzt, wo die Lebensmittelpreise wieder steigen, weil ein grosser Teil der Lebensmittel inzwischen importiert wird.

LID: Oft wird argumentiert, dass die Regierungen in den betroffenen Ländern die Preise für Lebensmittel nicht begrenzen dürfen, damit hohe Preise ein Anreiz für mehr landwirtschaftliche Produktion sind.

Binswanger: Das ist nicht so einfach. Wenn in den Entwicklungsländern wieder Grundnahrungsmittel produziert werden sollen, dann braucht es zuerst einmal Kapital für die Kleinbauern. Man kann nicht aus dem Nichts plötzlich wieder diversifizierte Produkte für den eigenen Markt produzieren, wenn man vorher jahrzehntelang auf Monokulturen gesetzt hat.

LID: Wie können die Länder des Nordens in der jetzigen Hungerkrise am besten helfen?

Binswanger: Wichtig ist die Ernährungssouveränität. In der Entwicklungshilfe müssen die Mittel so eingesetzt werden, dass die Versorgung der eigenen Bevölkerung gefördert werden kann.

LID: Ist Ernährungssouveränität nur im Süden wichtig oder auch bei uns?

Binswanger: Mit Ernährungssouveränität ist eigentlich das gemeint, was früher Versorgungssicherheit hiess...

LID: Aber wir leben nicht mehr in Kriegszeiten, wo jedes Land Reserven bilden muss.

Binswanger: Aber man muss sich absichern gegen ungesunde Produktionsbedingungen und Preisschwankungen. So lange ein Land eine eigene Landwirtschaft hat, kann es auch Einfluss nehmen darauf, wie produziert wird. Andernfalls wird es abhängig von dem, was auf dem Weltmarkt angeboten wird.
Von Roland Wyss-Aerni



Nicht in allen Ländern verboten aber in der Schweiz: Käfighaltung von Legehennen.




Seco-Chef Jean-Daniel Gerber kontert: Schweiz muss sich den WTO-Vorschlägen stellen

13.05.2008 - (lid) - Die jüngsten Vorschläge zum Agrardossier der WTO-Verhandlungen zwingen den Bundesrat laut SECO-Direktor Jean-Daniel Gerber, sein Verhandlungsmandat auszudehen.

Ein Verharren auf der bisherigen Position könne sich die Schweiz nicht leisten. Die Vorschläge seien sehr realistisch, sagte Gerber im Interview mit der "SonntagsZeitung". Es scheine, dass die USA und die EU damit leben könnten. "Deshalb wird der Bundesrat nicht darum herumkommen, das Mandat der Schweizer Verhandlungsdelegation auszudehnen."

Die neuen Vorschläge, die im Rahmen der so genannten Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) diskutiert werden, sehen den Abbau der Zölle für landwirtschaftliche Produkte um durchschnittlich 54 Prozent vor. Betroffen wären laut dem Direktor des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) über 600 von insgesamt 1'600 Produkten.

Zudem müsste der höchste zulässige Zoll auf 100 Prozent begrenzt sein, sagte er. Bei 8 Prozent der Einfuhren könnten Ausnahmen gemacht werden. Damit kommt einiges auf die Schweizer Bauern zu. Doch Gerber betont, dass eine Strukturanpassung so oder so erfolge. "Die Frage ist nur, ob sie etwas schneller gehen wird oder etwas langsamer."

Die Landwirtschaft könne auch auf Verbesserungen hoffen. So würden die Preise für vorgelagerte Produkte wie Maschinen oder Düngemittel sinken. Zudem hätten die gut ausgebildeten Bauern dank der hohen Qualität ihrer Produkte durchaus auch Chancen, sofern sie sich auf jene Bereiche konzentrierten, wo sie wettbewerbsfähig seien.

Auch die Direktzahlungen wären vom Abbau nicht in Frage gestellt. Abschied nehmen müssten die Bauern künftig aber von Protektionismus und Subventionen. Diese seien "wie Drogen: Je mehr man bekommt, desto abhängiger wird man. Entsprechend schwieriger wird es, darauf zu verzichten".
Quelle: LID / 13.05.2008)



Seco-Chef Daniel Gerber: Subventionen sind wie Drogen


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