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2.1.2009 Überleben im «Age of Less»
Eat less. Consume less. Waste less. So lautet gemäss David Bosshart, CEO des GDI Gottlieb Duttweiler Institute in Rüschlikon/Zürich, das Motto für die Zukunft. Heute lande in England ein Drittel der verkauften Lebensmittel auf dem Müll. Den weltweit 800 Millionen Unterernährten stünden eine Milliarde Übergewichtiger gegenüber – Survival of the Fattest. Zudem glichen sich die globalen Konsummuster immer mehr an; China etwa, das heute im Verhältnis zur Bevölkerung gleich viele Autos besitze wie die USA im Jahr 1918, werde mehr Mobilität wollen. Das ruft nach Mässigung, und was uns die Vernunft nicht lehrt, übernimmt der Regulator. Schon heute steigt die Gesetzesdichte rasant. So verwundert es nicht, dass sich die Zahl der Lobbyisten in Amerika in den vergangenen sieben Jahren verdreifacht hat. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis nach der Zigaretten- und Alkoholwerbung auch die Reklame für Lebensmittel eingeschränkt wird. Willkommen also im «Age of Less», einem Zeitalter, in dem sich Hersteller und Handel auf einen radikalen Paradigmenwechsel einstellen müssen: Nach Jahren, in denen unersättliche Konsumenten und schier unerschöpfliche Produktionsmittel stetige Absatzsteigerungen bescherten, kehren jetzt die Vorzeichen. Wie aber können Anbieter noch wachsen, wenn weniger plötzlich mehr ist? An seiner 58. Internationalen Handelstagung (IHT) vom 11. und 12. September 2008 suchte das GDI Antworten. Koryphäen aus Forschung und Praxis skizzierten die aktuellen Entwicklungen und zeigten Strategien für die Zukunft. Das neue «Zeitalter des Weniger» hat bereits begonnen, wie der Business Director des britischen Marktforschers IGD, Steve Barnes, zeigte. In den vergangenen zwanzig Jahren habe sich der weltweite Güteraustausch mehr als verdreifacht, jetzt aber würden protektionistische Netzwerke bilateraler Abkommen rasant zunehmen. Das fortschreitende Bevölkerungswachstum um weitere fünfzig Prozent auf neun Milliarden Menschen bis ins Jahr 2050 werde Knappheiten zusätzlich verschärfen. Bereits seit der Jahrtausendwende gehe der Anteil der Landwirtschaftsfläche zurück. Der Klimawandel verschlimmere die Situation weiter, ab 2012 werde der CO2-Handel die Produktionskosten in der EU zusätzlich erhöhen. Insgesamt verliere Westeuropa gegenüber den BRIC-Staaten an Dynamik, «das globale Zentrum der Schwerkraft verschiebt sich Richtung Osten». Andere Spielregeln Auch Peter Wippermann, Gründer und CEO des Hamburger Trendbüro, stellte fest: «Wir erleben einen Umbruch, der andere Spielregeln mit sich bringt als die Industriekultur.» Das beeinflusst den Handel schon heute, wie der Kommunikationsprofessor anhand zahlreicher Praxisbeispiele belegte: Bereits lassen sich rezeptpflichtige Medikamente in den USA an Automaten beziehen, und in den Real-Läden der deutschen Metro-Gruppe werde man bis Ende Jahr mit dem Handy bezahlen können. Die Firma Path Intelligence werte Bewegungsströme von Kunden mit Mobiltelefon aus – und helfe damit den Supermarktbetreibern, ihr Ladenlayout und Angebot zu optimieren. Der frühere Buchhändler Amazon sei heute das zweitgrösste Online-Handelsunternehmen nach Ebay und verkaufe neu sogar verderbliche Esswaren. Der US-Elektronikhändler Circuit City garantiere seinen Online-Bestellern, dass das Gekaufte innerhalb von 24 Minuten zum Abholen im Geschäft bereit sei – und generiere so Zusatzumsätze durch Gelegenheitseinkäufe am Point of Sale, der sich neu zum Point of Contact wandle. Plötzlich treibe der Online-Handel den stationären an, in Deutschland habe der E-Commerce-Umsatz den von Shoppingcentern überflügelt. Gleichzeitig böten immer mehr vor allem junge Menschen eigene Produkte im Web an und umgingen so die klassischen Vertriebskanäle. Ungeachtet vom Wandel im Handel üben immer mehr Kunden Konsumverzicht. Die vielen Umwälzungen verunsichern sie, «Consumer Confusion». Nach Jahrzehnten der Masslosigkeit greife eine neue Bescheidenheit um sich, eine freiwillige Einfachheit, stellte die Konsumexpertin Simonetta Carbonaro an der 58. IHT fest. Die Konsumenten verlangten nach einer Denkpause: «Auf die hedonistische Tretmühle der „Zuvielisation“ folgt als neuer Lebensstil nüchterne Glücklichkeit.» Die Konsumenten bevorzugten zunehmend massvolle und authentische Produkte mit einem überzeugenden Wertestandpunkt. «Wir bewegen uns von einer Ökonomie des materiellen Reichtums zu einer Ökonomie der Bedeutsamkeit», so Carbonaro. «Age of Less» somit auch bei den Kunden. Zurück zur Echtheit Der Paradigmenwechsel hat für Anbieter einschneidende Konsequenzen. Einfachheit wird zentral, eine klare Strategie unverzichtbarer denn je. Wie das in der Praxis aussehen kann, demonstrierte an der 58. Internationalen Handelstagung eine Reihe von Anbietern. Eataly etwa, ein elftausend Quadratmeter grosses Lebensmittelparadies in einer umgebauten Turiner Fabrik, will konsequent nur die besten Esswaren anbieten. Nach drei Jahren Marktanalyse entschied sich Gründer Oscar Farinetti für eine «Rückbesinnung auf echte Nahrungsmittel». Dass inzwischen auch Tokyo und New York Eataly-Filialen haben, spricht für das Konzept. Einfach und verständlich ist auch die Strategie von Ikea: Möglichst vielen Leuten den Alltag erleichtern. Das gehe nur mit tiefen Preisen und hoher Produktqualität, erklärte die langjährige Ikea-Managerin Josephine Rydberg-Dumont in Rüschlikon. Dank dem Multiplikationseffekt hoher Stückzahlen lohnten sich selbst die allerkleinste Verbesserung, die geringste Kostensenkung – und damit auch intensive Forschung. Ikea verstehe tiefe Kosten denn auch als kreativen Ansporn, als Weg in Richtung Nachhaltigkeit und letztlich als Wachstumstreiber. Mit einigem Erfolg: Der Umsatz hat sich von 1997 bis 2007 vervierfacht. Für das Konzept des Discounts sind tiefe Kosten und maximale Einfachheit ebenfalls zentral, wie der deutsche Handelsexperte Thomas Roeb aufzeigte: Kleine Auswahl, tiefer Preis – das versteht der Kunde. Allerdings beruhe der Erfolg des Formats auf dem deutschen Verhältnis von hohen Personal- und tiefen Raumkosten. Solche Kostenvorteile liessen sich nur bedingt ins Ausland transportieren, schon in Osteuropa seien die Voraussetzungen ganz anders. Einfachheit ist auch ein Strategiemerkmal von Spar Österreich, beschränkt sich der Wachstumsführer gemäss seinem Vorstandsvorsitzenden Gerhard Drexel doch konsequent auf die drei Formate Spar, Interspar und Eurospar (plus Shoppingcenter). Das Unternehmen wolle sich als «anders» positionieren und so den ersten Platz in den Herzen der Österreicher erobern. Der Einsatz von moderner Architektur als Wettbewerbsfaktor sei dabei ebenso wichtig wie etwa eine konsequente Dach- und Eigenmarkenstrategie. Eine klare und damit für den Kunden verständliche Strategie – das ist am oberen Ende des Preisspektrums entscheidend. Für Maurizio Borletti, den Mitbesitzer und Vorsitzenden der Warenhausketten Printemps und La Rinescente, heisst das eine Rückbesinnung auf alte Werte, etwa auf eine grandiose Architektur und auf viel Innovation; mithin also auf das Einkaufserlebnis in den «Kathedralen des Kommerzes». «Weg vom Generalistentum, hin zum spezialisierten Warenhaus mit Luxus als Kerngeschäft», so lautet Borlettis Devise. Und «the Age of Less» verschont selbst unsere Städte nicht, wie die GDI-Forscherin Martina Kühne an der Handelstagung zeigte. Sie vertrat die These, dass ökologisches Leben in der Zukunft im urbanen Umfeld stattfinde. Pläne für CO2-neutrale Städte belegten dies ebenso wie die wachsende Zahl so genannter Urban-Farming-Projekte. Für den Einzelhandel böten sich dabei drei Wege: Erstens «reduce», Distanzen müssten vermieden werde. Beim täglichen Einkauf ebenso wie bei der Belieferung neuer Nachbarschaftsläden mit regionalen Produkten oder beim nach Manhattan zurückgekehrten Milchmann. Nähe schafft Vertrauen «Die Nahversorgung gewinnt im Rahmen der städtischen Verdichtung wieder an Bedeutung, nachdem sie vom Lebensmitteleinzelhandel in den vergangenen Jahren eher vernachlässigt wurde», so Kühne. Ihre zweite Strategie betitelte die GDI-Expertin mit «reuse»: Die Umnutzung bestehender Bausubstanz, wie sie etwas vom Anbieter Manufactum praktiziert werde, spiele eine wichtige Rolle auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Und den dritten Weg, «recycle», illustrierte Kühne anhand des schwedischen Kleider-Labels Filippa K, das seit vergangenem Sommer in Stockholm einen Second-Hand-Shop für seine Kollektionen führt. Der Trend ist damit klar: Weniger und einfacher bedeutet in Zukunft besser. Bloss, einer darf jetzt nicht auf der Strecke bleiben – und auch das wurde an der 58. IHT deutlich: der Mitarbeiter. Wie zentral motivierte Angestellte für den Erfolg eines Unternehmens sind, zeigte der eindrückliche Bericht des ehemaligen Southwest-Airlines-Chefs James F. Parker. Der Billigflugpionier habe nur dank seinen motivierten Mitarbeitern so ausserordentlich erfolgreich werden können. Glückliche Angestellte machten glückliche Kunden machten glückliche Aktionäre. Das habe sich nicht zuletzt nach 9/11 gezeigt, als Kunden aus Solidarität mit dem Unternehmen auf Rückerstattungen verzichtet hätten – nicht wenige, weil sie irgendwann im Leben von einem motivierten Southwest-Mitarbeiter gut behandelt worden seien und so enge Bande zum Unternehmen geknüpft hätten. Entsprechend nimmt die Airline bei ihren Rekrutierungen die Haltung der Bewerber genau unter die Lupe. Einmal sei ein hoch qualifizierter Pilot abgelehnt worden, weil er eine Rezeptionistin beim Vorstellungsgespräch herablassend behandelt hatte. Eine Kultur der Wertschätzung sei die Voraussetzung für den Erfolg, betonte Parker. Man könne Mitarbeiter nicht steuern, denn jedes Verbot lasse sich umgehen. Man könne einzig dafür sorgen, dass sie das Richtige tun und zum Erfolg beitragen wollten; dass sie die Ziele der Firma verstünden; und dass sie an die Relevanz des eigenen Beitrags glaubten. Darum gebe es wohl keine andere Fluggesellschaft, bei der Angestellte nach Dienstschluss freiwillig den Kollegen beim Müllkehren helfen würden. «Solche Leute haben nicht einfach einen Job, sondern eine Mission», ist Parker überzeugt – in jeder Branche. Und tatsächlich unterstrich in Rüschlikon die frühere LVMH-Managerin Concetta Lanciaux die Bedeutung des Humankapitals für Luxusmarken. Neue, branchenfremde Talente aus der Konsumgüterindustrie und aus Übersee hätten wesentlich zur Renaissance zahlreicher europäischer Traditions-Brands beigetragen. Was es nun aber genau braucht, um seine Angestellte zu motivieren, das beschrieb an der GDI-Tagung Peter Nieschmidt. Soziale Intelligenz sei die wichtigste Eigenschaft eines Chefs, so der Professor und Management-Trainer: die Fähigkeit, die Welt mit den Augen eines anderen zu sehen; zu erarbeiten, wer die Mitarbeiter im Team überhaupt seien. Nur so könnten die Leute richtig eingesetzt werden. Qualifikations- und Kompetenzentfaltung seien die Voraussetzung für Arbeitsplatzzufriedenheit. Das Schlimmste für jeden Chef müsse sein, die volle Entfaltung eines Mitarbeiters nicht ermöglicht zu haben. Nicht das Fachwissen zähle, sondern die Menschenkenntnis. Führen bedeute, soziale Interaktion zu steuern. Und wie erfolgreich schlagen sich da die Händler? Im Ranking der Top-US-Arbeitgebern führt das Magazin «The Economist» bereits auf dem dritten Platz einen Einzelhändler auf, nämlich die recht traditionellen Wegmans Food Markets. In Deutschland hingegen liegt Ikea Deutschland als bestrangierter Händler erst auf Platz 19 der vom «Manager Magazin» ermittelten beliebtesten Arbeitgeber für Manager. Da besteht klar noch Potenzial. Denn, wie sagte David Bosshart in seinem Closing: «Brands are people.» (Text: Alain Egli, Manager PR & Communications des GDI Gottlieb Duttweiler Institust) | ||||