Food aktuell
Varia
8.3.2009
Handwerks- und Industrie-Produkte im Vergleich

Industrien dringen immer mehr und mit Erfolg auf das Territorium der Handwerker vor. Beispiel: Handwerklich aussehende herzförmige Ravioli aus industrieller Produktion bei Hilcona.

Am 1. März ist Naturel, ein neues Handwerkslabel in der Bäckereibranche gestartet. Sein ZIel liegt stark im Bedürfnis der gewerblichen Bäckereien nach Abgrenzung zur Industrie. Handwerksbäcker wollen den Kunden exklusive Produkte bieten, welche Wettbewerber wie Hiestand, Jowa oder Migros-Hausbäckereien nicht imitieren können.

Die handwerkliche Produktanmutung ist einer der Megatrends unserer Zeit: Wer handwerklich produziert, verspricht Exklusivität und lobt dies in der Werbung aus. Auch industrielle Hersteller, die vollautomatisch produzieren, versuchen ihren Produkten und Verpackungen zumindest ein handwerkliches Aussehen zu verleihen – oft mit Erfolg. Oder sie zeigen in der Werbung Handwerker an der Arbeit und suggerieren, auf diese Art würden ihre Produkte hergestellt. Die Grenze zwischen Premiumqualität vom Handwerksbetrieb und Economyqualität aus der Industrie löst sich zusehends auf.

Dieser Trend wirft zwei Fragen auf: warum hat die industrielle Herstellung ein schlechtes Image? Und was heisst eigentlich Handwerk bzw. wo liegt die Grenze zur Industrie? Antworten auf die erste Frage, wenn auch oft einseitige, findet man bei Konsumentenschützern oder Slow Food, die zu den grössten Industrie-Kritikern gehören. Ihr Argument: die Industrie mache langweilige Massenprodukte, denen innere Werte fehlen, die mehr versprechen als sie halten.

Steht die Industrie wirklich im Widerspruch zu Qualität? Nein, und die Frage ist falsch gestellt. Man darf nicht Qualität mit Klasse verwechseln. Die Industrie stellt meistens Produkte der Ein- bis Dreisterne-Klasse her zu entsprechend tiefen Preisen, Handwerksbetriebe jedoch solche der Drei- bis Fünfsterne-Klasse (Premiumprodukte) zu höheren Preisen. Bei Einsterne- bzw. Economyprodukten sind die Erwartungen weniger hoch. Klasse ist definiert als die Höhe der Erwartung, und Qualität als deren Erfüllungsgrad und als Fehlerfreiheit.

Zum Beispiel: Ein Economyprodukt enthält weniger wertvolle Zutaten (etwa ein Aroma statt echte Nüsse) aber es darf keine ranzigen Zutaten enthalten (das wäre ein Fehler). Industrie- sowie Economyprodukte sind also nicht von «schlechter Qualität» sondern sie erfüllen eine andere Erwartung, nämlich die des tieferen Preises (und bieten dafür weniger Luxus). Eine Stärke der Industrie ist ausserdem die hohe Qualitätskonstanz. Ein sinnvolles Kriterium für den Handwerk-Industrie-Vergleich ist eher das Preis-Leistungs-Verhältnis.

Ein Alltagsprodukt der gewerblichen Bäckerei Bauer in Zürich mit sichtbarem Handwerks-Touch: Der Zopf ist nicht aus vier sondern fünf Strängen geflochten und hebt sich sichtbar ab von Massenprodukten.

Die Industrie kann bei vielen Produktarten zwar auch ein hochklassiges Niveau erreichen, so etwa bei Fine Food im Coop oder Sélection in der Migros, aber dies gehört meistens nicht zu ihrem Marketingkonzept. Es gibt sogar Industrieprodukte, die an Wettbewerben, in denen sie gegen Handwerksprodukte antraten, Medaillen erlangten. Oder es gibt Beispiele, wo Handwerker zugestehen (sollten), dass die Industrie bessere Qualität produziert, so etwa bei Kartoffelchips und -frites.

Mit welchen Kriterien soll man nun eine Grenze zwischen Handwerk und Industrie ziehen? Worin besteht der Unterschied zwischen industrieller und handwerklicher Produktionsweise? Auch Handwerker arbeiten mit Maschinen, aber tendenziell sind Industrieanlagen kontinuierlich und stärker automatisiert. Handwerker arbeiten eher batchweise und steuern die Maschinen anhand sensorischer Beurteilungen. Industrieanlagen besitzen ausgeklügelte Regelungen mit Messsonden, die nahe an die Leistungen der menschlichen Sensorik herankommen. Aber der Mensch ist immer noch vielseitiger und flexibler. Er kann besser mit variierenden Rohstoffen umgehen als die kommerziell üblichen Maschinen.

Was eine Maschine kann und was nicht, ist eine Frage des Konstruktionsaufwandes. Aufwändige Maschinen sind teuer, daher macht die Industrie meistens Kompromisse zwischen Kosten und Klasse. Sie produziert zu relativ tiefen Preisen für die breiten Käuferschichten. Und sie tut es in der Regel mit tadelloser konstanter Qualität. Handwerksbetriebe dagegen sprechen mit exklusiveren Produkten kaufkräftigere Kunden an, aber sie kranken manchmal ein wenig an schwankender Qualität.

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