Food aktuell
Varia
31.3.2009
Was können «Kassensturz»-Tests bewirken?


Sind Vorzugsbutter und Kochbutter sensorisch unterscheidbar? Die Milchbranche weiss es aber der «Kassensturz» will es auch wissen und informiert die Konsumenten.


Während Firmen ihre Produkte testen lassen, um die Marktchancen zu optimieren, führen Konsumentenorganisationen Tests durch, um verschiedene Produkte miteinander zu vergleichen oder Werbeaussagen mit der tatsächlichen Beschaffenheit. Dies ist sinnvoll, um den Konsumenten im Dschungel der Informations- und Werbeflut eine neutrale Orientierungshilfe zu geben. Konsumredaktionen wie die Fernsehsendung Kassensturz stellen nicht nur Fragen nach der Beliebtheit sondern vergleichen diese auch mit dem Preis. Letztlich wollen sie bei diesen Tests herausfinden, welche Produkte oder Firmen kundenfreundlich sind und wo allfällige schwarze Schafe vorkommen. Da der Kassensturz nur indirekt von Werbekunden abhängig ist, kann er sich unverblümte Kritik eher leisten als Publikums- und Fachzeitungen.

Wenn Produkte in einem seriösen Test durchfallen, erfährt der Konsument die unabhängige «nackte Wahrheit». Aber ein seriöser Test ist anspruchsvoll, aufwendig und strapaziert leicht das Budget. Dennoch steigerte der Kassensturz den letzten Jahren die Professionalität seiner Sensoriktests, engagierte den Sensoriker Patrick Zbinden als Berater und arbeitet heute meistens mit Fachjuroren. Die Tests umfassen gemäss Zbinden sowohl objektive Fragen (z.B. nach der Abwesenheit von Fehlern oder nach dem Schärfegrad) als auch subjektive (Skala von 1 bis 6 bzw von «sehr schlecht» bis «sehr gut»).

Bei der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, die ein grosses und aktives wissenschaftliches Sensoriklabor führt, wendet man allerdings ein, dass die Kombination von objektiven und subjektiven Fragen unwissenschaftlich sei, und dass nach statistischen Regeln mindestens acht Fachprüfer nötig seien. Aus den Noten aller Juroren berechnet man beim Kassensturz den Durchschnittswert pro Produkt und verwendet diesen für die Schlussrangierung. Wenn ein Juror ausschert, wird seine Meinung in einer Konsensrunde besprochen. Dieses Vorgehen entspricht den Methoden der Qualitätsprämierungen, wie sie einige Branchen mit Produkten ihrer Verbandsmitglieder regelmässig durchführen, allerdings jene mit etwas mehr Prüfern pro Produkt.


Viele Branchenverbände führen nationale oder internationale Qualitätsprämierungen durch wie etwa für Weine, Edelbrände, Backwaren, Confiserieprodukte, Fleischwaren, Bioprodukte. Bild: Swiss Cheese Awards.


Hohes Nutzen-Schaden-Potenzial

Die Veröffentlichung der Kassensturzresultate kann dank ihrer hohen Beachtung eine grosse negative oder positive Wirkung auf den Umsatz der getesteten Produkte haben, was auch Kassensturz-Redaktionsleiter Wolfgang Wettstein bestätigt. Ein seriöses Testkonzept mit einer fundierten Berichterstattung ist daher unabdingbar, um zu vermeiden, dass graue Schafe schwärzer oder weisser aussehen, als sie wirklich sind.

Ein hellgraues Schaf anzuschwärzen nur um der Sensation willen darf nicht das Ziel des Schweizer Fernsehens sein. Auch unzulässige Verallgemeinerungen sind zu vermeiden: Wenn beispielsweise eine Handvoll Fachjuroren das Aroma eines Produktes als zu stark oder zu schwach bewertet, bedeutet dies nicht unbedingt, dass die ganze Bevölkerung ebenso urteilt. Ausserdem lassen sich Konsumenten von wesentlich mehr Kriterien beeinflussen.

Gesamtwertungen von Fachjuroren in der subjektiven «gut-schlecht»-Skala kann man zwar teilweise (meistens mit grossem Vorbehalt) auf die Gesamtbevölkerung extrapolieren, aber dies gilt nur für die Sensorik, die nicht immer das wichtigste Kriterium ist. So erwarten Konsumenten von einem Economyprodukt nicht dieselbe sensorische Perfektion wie von einem Gourmetprodukt, denn das entscheidende Verkaufsargument ist der Preis. Ferner gewichten sie anders als Fachjuroren, und auch die Verpackung oder das Design haben grossen Einfluss. Nicht umsonst führen professionelle Marktforschungsfirmen Tests mit 100 bis 1000 Konsumenten und ausgeklügelten Fragen durch, was die Auftraggeber mehrere 10'000 Franken kosten kann.

Unausgewogen ist unlauter

Eine Interpretation des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb UWG besteht gemäss Wettstein darin, dass jeder veröffentlichte Test konzeptionell ausgewogen und begründbar sein muss, also beispielsweise die meistverkauften Produkte einschliesst. Willkürliche oder diskriminierende Produkteselektionen sind unlauter. Dies ebenso wenn man nur den Branchenprimus namentlich mit einem Problem erwähnt, das die ganze Branche hat, sonst entstünde der Eindruck, diese herausgepickte Firma sei ein schwarzes Schaf.

Ausgewogenheit ist notabene immer «gute journalistische Praxis». Aber Testorganisatoren sind nicht immer über jeden Verdacht erhaben: So wird beispielsweise die ZHAW hin und wieder von Redaktionen zu einer Teilnahme eingeladen, und die Sensorik-Leiterin stösst auf Unverständnis, wenn sie nach der geplanten Testmethode und dem Fragebogen fragt. Tipps und konstruktive Kritik würden abgelehnt.

Kassensturz-Fallbeispiel Fertigpizza

Ein Kassensturztest am 5.9.2006 zeigte eine grosse Qualitätsvariation bei vorgebackenen Fertigpizzen. Am Test nahmen zwar Fachjuroren teil, aber sie wussten, dass sie Fertigpizzen degustierten. Eine derartige Degustation ist nicht vollständig blind und könnte zu tendenziösen Noten führen, da die Prüfer vielleicht unbemerkt einen Anti-Goodwill-Abzug machen (vor allem wenn es in diesem Fall gewerbliche Bäcker oder Pizzaioli sind): Der Mensch ist selten ein wirklich neutrales Messinstrument. Von Profi-Degustatoren ist zwar zu erwarten, dass sie keine Gefälligkeitsnoten geben (z.B. eine 3 statt eine 4, um den Pizzerien einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen). Aber Laien neigen stark zu Gefälligkeitsantworten und fallen auf Suggestivfragen herein.

Als das Kassensturzteam den Pizzeriagästen eröffnete, sie hätten soeben eine nicht als solche deklarierte Fertigpizza gegessen und vor laufender Kamera nach der Meinung fragte, wollte sich verständlicherweise keiner eine Blösse geben, indem er antwortete «nicht so schlecht». Selbst wenn es so gewesen wäre. Im Gegenteil: der Gefilmte wollte vor den Kassensturz-Zuschauern als Gourmet auftreten und spottete daher über die Fertigpizza (die er im Alltag vielleicht trotzdem kauft). Bei dieser Vorgehensweise konnte eigentlich nur dieses Resultat entstehen. Fazit: Bei Vergleichen über die Klassengrenze hinweg muss man alle Kriterien erfassen und besonders den Preis.

Kassensturz-Fallbeispiel Rohschinken

Fleischexperten unter Aufsicht des Sensorikers Patrick Zbinden zeigten, dass «teure ausländische Rohschinken das Geld meistens nicht wert sind, und einige günstige einheimische Produkte bei der Spitzenklasse mithalten können». Getestet wurden blind 13 Rohschinken von Economy-Bestsellern bis zu ausländischen Markenprodukten. M-Budget von Migros erreichte die Note genügend und kostete 4.15 pro 100 Gramm - das beste Preisleistungs-Verhältnis im Test. «Genügend» erreichte der Bündner Rohschinken bei Spar, und «gut» der exklusive Jamon Ibérico de Bellota von Globus, mit 26 Franken pro 100 Gramm der teuerste in der Degustation.


Kassensturz-Testsieger Jamon Ibérico de Bellota. Bild: Degustation im Metzgercenter Zürich


Der Test war trotz der geringen Jurorenzahl seriös und das Fazit keine Überraschung. Dass die Billiglinie der Migros eine mittlere Qualität zu einem relativ tiefen Preis bietet, gilt für viele Produkte und begründet den Erfolg dieser Linie. Und dass Markenprodukte teilweise überteuert sind, ist eine branchenübergreifende Erfahrung. In den hohen Preisen sind hohe Werbekosten mitkalkuliert (nicht ungedingt hohe Margen). Hier bietet der Kassensturz eine wertvolle Orientierungshilfe, da er Transparenz ins Marken/Preis-Wirrwarr bringt.

Kassensturz-Fallbeispiel Butterqualität

Der Kassensturz verglich im Mai 2008 den Geschmack von Buttersorten von Bio über Vorzugsbutter und Kochbutter bis zu Prix-Garantie: Fünf Fachleute bewerteten unter der Leitung von Sensoriker Patrick Zbinden in einer Blind-Degustation 14 Buttersorten. Verwendet wurde eine 6-Punkteskala für Textur, Geschmack, Geruch und Aussehen (1 = sehr schlecht, 6 = sehr gut). Fazit: Teure Butter schmeckt nicht immer besser, Kochbutter schmeckt oft gleich gut wie Vorzugsbutter, und am besten schmeckt frische Biobutter. Das Testkonzept war fundiert, aber der Schluss, dass die Gesamtbevölkerung ebenso urteilt, theoretisch betrachtet voreilig. Immerhin: Man kann davon ausgehen, dass Herr und Frau Jedermann nicht feinere Gaumen besitzen als die Fachleute. So oder so ist das Fazit ein seit langem offenes Geheimnis bei Branchenkennern.

Kassensturz-Fallbeispiel Sauce Hollandaise

Der Kassensturz verglich vor acht Jahren (damals noch ohne Sensorikberatung) Sauce Hollandaise eines Spitzenkochs mit industriellen Fertigsaucen. Am besten bewertet wurde das Produkt von Knorr mit Note 5.5 von 6, während die von Jean-Claude Wicky im Basler Gourmet-Tempel Bruderholz frisch zubereitete Sauce nur auf dem zweiten Platz landete. Die Prüfer waren eine Spargelbäuerin, ein Fitnessinstruktor, eine Schauspielerin und ein Kochlehrling (also damals noch nicht Fachjuroren). Wären es Stammgäste im Bruderholz gewesen, hätte wohl die Probe von Wicky gesiegt. Der Spitzenkoch betonte, seine Hollandaise sei die echte und rassiger im Geschmack. Die Fertigsaucen hingegen fand er «geschmacklich neutraler».


Sauce Hollandaise: die echte ist nicht unbedingt die beim breiten Publikum beliebteste.


Gerade auf den neutralen Knorrgeschmack waren diese vier Prüfer offenbar futtergeprägt und die Gourmetsauce war ihnen vermutlich zu extravagant. Man kann anerkennen, dass die Firma Knorr ihr Produkt bestens auf den Publikumsgeschmack getrimmt hatte, aber man darf nicht folgern, es sei besser als die Gourmetsauce. Man darf ausserdem vermuten, dass die Gesamtbevölkerung (nicht Stammgäste in Gourmettempeln) ebenfalls die Knorrsauce bevorzugt hätten. Denn Knorr testete gemäss damaligen Angaben die Beliebtheit ihrer Produkte mit 500 bis 1000 Personen.

Dieser Test beweist also nicht viel mehr als die Existenz von Klassenunterschieden bei Sauce Hollandaise, wie sie bei fast allen Produktarten bestehen. Und man darf Klasse nicht mit Qualität verwechseln: Oder ist etwa ein Zweistern-Hotel «schlecht», wenn es nicht dasselbe bietet wie ein Fünfstern-Hotel?

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