Food aktuell
Varia
21.7.2009
Grenzöffnung abfedern mit Swissness

Ein Massnahmenpaket soll die Folgen von Grenzöffnungen für Bauern- und Verarbeitungsbetriebe entschärfen. Bio Suisse und Konsumentenschützer protestieren.


Swissness-Werbung auf Essiggurken von Hugo Reitzel aus hierzulande angebauten Gurken

Über 80 verschiedenen Massnahmen des Bundes sollen dafür sorgen, dass die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft dereinst die Öffnung der Grenzen für ihre Produkte verkraften kann. Das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement hat am 8. Juli den Bericht der "Arbeitsgruppe Begleitmassnahmen" veröffentlicht. Die Folgen eines allfälligen Agrarfreihandelsabkommens mit der EU oder auch eines WTO-Abkommens sollen mit Massnahmen in vier Bereichen abgefedert werden:

Die Stärken der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft sollen gefördert werden, mit "Swissness" als Markenzeichen für umwelt- und tiergerechte Produktion und mit dem Verfolgen einer Qualitätsstrategie.

Die Marktposition soll gesichert und ausgebaut werden, mit einer organisatorischen Straffung der Absatzförderung und zusätzlicher Unterstützung im Export.

Die Standortbedingungen sollen verbessert werden, mit Investitionshilfen, die gleichwertig zu den EU-Hilfen sind, und einem angepassten Direktzahlungssystem.

Befristete Massnahmen sollen den Übergang sozialverträglich machen, zum Beispiel Ausgleichszahlungen für die Landwirtschaft oder Kompensationen für Lagerabwertungen.

Investitionshilfen auch für grosse Verarbeiter

Unter den Massnahmen erhielten degressive Ausgleichszahlungen für die Bauernbetriebe ebenso breite Unterstützung wie Investitionshilfen für die Verarbeiter, die für gleich lange Spiesse gegenüber den EU-Betrieben sorgen sollen. Zu letzteren wird im Bericht festgehalten, dass "das EU-System der Investitionshilfen nicht eins zu eins übernommen werden soll". Während in der EU à-fonds-perdu-Beiträge zum Zug kommen, sollen die Verarbeiter in der Schweiz sowohl mit à-fonds-perdu-Beiträge wie auch mit Investitionskrediten gefördert werden. Kleingewerbliche Betriebe können schon bisher von Investitionshilfen profitieren, neu soll dies auch für grosse Verarbeitungsbetriebe möglich sein.


Swissness-Produkte aus Tierfabriken?


Die Stellungnahmen zu dem Bericht der Arbeitsgruppe zeigen, wo die Gräben durchgehen: So kritisieren die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), die Kleinbauernvereinigung, der Schweizer Tierschutz und auch die Bio Suisse, dass eine Qualitätsstrategie zwar postuliert, aber nicht wirklich umgesetzt werde. Weder sei die gentechnikfreie Produktion als Bestandteil der Marke "Swissness" definiert worden, noch bestehe die Möglichkeit, das Tierschutzniveau weiterzuentwickeln. Zudem werde in Erwägung gezogen, die Höchstbestände in der Tierhaltung aufzuheben. Damit werde den Tierfabriken Tür und Tor geöffnet, schreibt die SKS. Hingegen hätten es die Landwirtschaftsvertreter in der Arbeitsgruppe geschafft, unzählige strukturerhaltende Massnahmen durchzubringen, die lediglich Unsummen an Steuergeldern kosteten.


Swissneswerbung auf Teigwaren von Pistor

Mit dem Ergebnis zufrieden ist hingegen das Konsumentenforum (KF), das in der Arbeitsgruppe im Gegensatz zur SKS vertreten war. Die Forderungen der Konsumentenorganisationen würden im Wesentlichen berücksichtig, schreibt das KF, wichtig sei, dass der Vollzug transparent und effizient sei.

Der Teufel liegt im Detail

Der Schweizerische Bauernverband (SBV) hält die Palette der vorgeschlagenen Massnahmen zwar für umfassend, der Hund liege aber bei der Gewichtung und Finanzierung dieser Massnahmen begraben. Die ökonomische Wirkung der einzelnen Massnahmen auf die landwirtschaftlichen Betriebe sei unklar, die Finanzierung sei noch völlig ungesichert. Der SBV ist nach wie vor gegen ein umfassendes Agrarfreihandelsabkommen mit der EU.


Kommt der Agrarfreihandel mit der EU, sollen auch
grosse Lebensmittelverarbeiter wie zum Beispiel Emmi
Investitionshilfen vom Staat erhalten.


Die Schweizer Milchproduzenten (SMP) betonen, die derzeitige Situation im Milchmarkt führe die Konsequenzen eines Freihandels drastisch vor Augen. Die Einkommenseinbussen aus dem Produktverkauf könnten kurzfristig weder über eine Steigerung der Produktivität noch über Direktzahlungen ausgeglichen werden. Deshalb sei es wichtig, dass in den Verhandlungen mit der EU die Begleitmassnahmen eingeplant und ihre Finanzierung auf eine sichere Basis gestellt werde.

Der Schlussbericht der Arbeitsgruppe geht an den Bundesrat, dieser wird über die konkreten Massnahmen entscheiden und seinen Vorschlag dem Parlament vorlegen. Der Bericht ist zugänglich unter www.blw.admin.ch/aktuell


Finanzierung der Begleitmassnahmen ist noch offen

Zur Finanzierung der Begleitmassnahmen wird in dem Bericht der Arbeitsgruppe nichts gesagt. Der Bundesrat schlug dem Parlament vor, dafür eine Bilanzreserve von zwischen 3,2 und 4 Milliarden Franken zurückzuhalten, die sich aus Zolleinnahmen der Jahre 2009 bis 2016 speist. Der Nationalrat lehnte dies in der Sommersession deutlich ab. Ein Teil der Gegner lehnen den Freihandel mit der EU grundsätzlich ab und sahen damit auch keine Notwendigkeit für eine Bilanzreserve, ein Teil begründete das Nein damit, dass noch nicht klar sei, welche Begleitmassnahmen damit finanziert würden. Mit dem Schlussbericht der Arbeitsgruppe sind diese Informationen nun publik und der Ständerat wird, voraussichtlich in der Herbstsession, den Bundesratsvorschlag wohl etwas gnädiger beurteilen.


(Text: LID / Roland Wyss-Aerni)

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